"Scheindebatte": Kritik an Söder-Vorstoß für Sprachtest-Pflicht
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Eine Deutschförderklasse in Wien

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"Scheindebatte": Kritik an Söder-Vorstoß für Sprachtest-Pflicht

Mit einer Deutschtest-Pflicht vor der Einschulung will CSU-Chef Söder gegen Sprachdefizite bei Migranten-Kindern vorgehen. Die Reaktionen des zuständigen Ministers, der Opposition und von Verbänden reichen von Verwunderung bis hin zu scharfer Kritik.

Über dieses Thema berichtet: BR24live am .

"Keinen Schnellschuss" will CSU-Chef Markus Söder nach eigenem Bekunden, sondern ein sorgfältig erarbeitetes Konzept: Zum Schuljahr 2024/25 sollen nach dem Willen des bayerischen Ministerpräsidenten Kinder im Freistaat vor der Einschulung zum verpflichtenden Sprachtest. Mädchen und Buben mit zu großen Deutschdefiziten sollen dann nicht in die erste Klasse kommen, sondern ein "verpflichtendes Vorschul-Kita-Jahr" absolvieren.

Söder präsentierte diese Idee am Montag nach einer Sitzung des CSU-Vorstands und betonte, das Thema "Sprachdefizite in der Schule" sei von vielen Lehrern und Eltern an ihn herangetragen worden. Mit dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und der Bildungsgewerkschaft GEW hatte er seinen Vorstoß aber vorab genauso wenig abgestimmt wie mit dem Kultusministerium: "Das haben wir entsprechend zur Kenntnis genommen", sagt Minister Michael Piazolo (Freie Wähler) dem BR dazu.

Piazolo: "Das machen wir schon"

Piazolo betont, es gebe jetzt schon sogar mehrere Sprachstand-Feststellungen bei Kindern, beispielsweise bei der Schuleingangsuntersuchung und bei der Schuleinschreibung. Auch verfüge der Freistaat über ein "sehr differenziertes" Fördersystem. "Es werden schon sehr viele Kinder - es sind über 30.000, wenn ich das richtig im Kopf habe - schon vor der Schule zusätzlich im Vorkurs Deutsch entsprechend sprachlich getrimmt." Was jetzt vorgeschlagen worden sei, "das machen wir schon", versichert Piazolo.

Söder hatte erläutert, dass an den Grundschulen 30 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund hätten. Für eine erfolgreiche Integration seien Sprachkenntnisse notwendig. "Wenn man die Sprache am Anfang nicht optimal stärkt, dann müssen wir später mit anderen Herausforderungen umgehen." Daher werde es künftig "zu Schulbeginn - ähnlich wie die Schuleingangsuntersuchung - verpflichtende Sprachtests" geben. Im neuen Schuljahr werde mit den Kommunen und Lehrerverbänden ein Konzept erarbeitet.

Lehrerverband: "Wer soll das machen?"

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) zeigt sich grundsätzlich zwar bereit, unter bestimmten Voraussetzungen an einem solchen Konzept mitzuarbeiten. "Wenn wir uns jetzt Sorgen machen um die Kinder, die die deutsche Sprache nicht gut können, dann finden wir das richtig", sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann dem BR. "Wenn wir diese Kinder aussortieren wollen oder wegschieben wollen (...), dann finden wir das nicht richtig."

Eine Sprachstand-Diagnose müsse unbedingt an eine "gute Förderung" gekoppelt sein. Sie frage sich dabei: "Wer soll das machen?" Viele Vorkurse Deutsch seien nicht zustande gekommen, "weil wir keine Lehrerinnen und Lehrer mehr haben". Und auch in den Kindergärten fehle Fachpersonal.

GEW warnt vor früher Ausgrenzung - Kritik der Grünen

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern lehnt Söders Vorstoß ab: "Weil wir glauben, dass es Kinder schon sehr früh ausgrenzt", sagt GEW-Landeschefin Martina Borgendale. Sie plädiert dafür, auch Kinder mit Sprachdefiziten in Regelklassen zu unterrichten, "weil Kinder und Jugendliche voneinander sehr viel lernen". Bei Bedarf könnten Schülerinnen und Schüler stundenweise gefördert werden.

Ähnlich äußert sich die Grünen-Bildungsexpertin im Landtag, Gabriele Triebel. Es sei grundsätzlich vernünftiger, wenn Kinder mit Sprachdefiziten reguläre Klassen besuchen und "nur stundenweise für den Sprachunterricht herausgenommen werden". Von der Idee eines verpflichtenden Vorschul-Kita-Jahres hält Triebel wenig: Wenn ein Kind von seiner Entwicklung her schulreif sei, "sollte es in die Schule gehen, um dann eben dort gezielt gefördert werden". Allerdings habe Söder nicht gesagt, wie er den "akuten Lehrermangel bewältigen möchte".

AfD beansprucht Idee für sich

Nach Meinung des AfD-Abgeordneten Oskar Atzinger übernimmt die CSU eine Forderung seiner Partei: "Kurz vor der Wahl will nun auch die CSU das Problem in den Fokus rücken und damit beim Wähler punkten." Allerdings brauche es verpflichtende Sprachtests nicht erst vor der Einschulung, sondern schon für alle Vierjährigen, "zumindest für die mit Migrationshintergrund". Dann bliebe ausreichend Zeit, damit "Defizite aufgeholt werden können".

Der AfD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Martin Böhm, hatte kürzlich verlangt, Muttersprachler und Nicht-Muttersprachler an Grund- und Mittelschulen getrennt voneinander zu unterrichten. Auf diese Weise könnten "die perfekt muttersprachlichen Kinder eine vernünftige Bildung bekommen". Die anderen müssen "in ganz besonderen Klassen weitergebildet werden".

SPD: "Endlich Problem erkannt"

Ähnlich wie Piazolo verweist auch SPD-Bildungsexpertin Simone Strohmayr darauf, dass es jetzt schon Sprachtests für Vorschulkinder gebe. "Gemangelt hat es an den Konsequenzen, die aus diesen Sprachtests resultiert sind." Die Vorkurse Deutsch seien wegen des Lehrermangels "fast alle ausgefallen". Ähnlich sei die Lage bei den Förderstunden an Grundschulen. "Wenn Herr Söder jetzt einen solchen Vorschlag macht, kann ich sagen: schön, endlich Problem erkannt." Er solle aber erklären, wie diese Angebote dauerhaft gewährleistet werden könnten. "Man hat die Instrumente, es fehlen nur die Kräfte dafür."

FDP: "Eigentlich nur ein Wahlkampfgag"

Der FDP-Abgeordnete Matthias Fischbach spricht von einem "Wahlkampfgag". Letztlich lenke die CSU damit von den Problemen ab, die sie in den vergangenen Jahrzehnten mitverursacht habe: "Lehrermangel an den Schulen, es fehlt die Zeit für individuelle Förderung, Erziehermangel in den Kitas, es fehlen ausreichende Kita-Plätze, gerade für die, die es am nötigsten hätten." Statt eine solche "Scheindebatte" zu führen, gelte es, "endlich" den Lehrer- und den Erziehermangel anzugehen.

Die CSU-Pressekonferenz mit Markus Söder vom Montag:

CSU-Chef Markus Söder
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CSU-Chef Markus Söder

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