Archivbild: Papierfähnchen der bayerischen AfD-Landtagsfraktion
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Archivbild: Papierfähnchen der bayerischen AfD-Landtagsfraktion

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Bayerischer Landtag: Wie steht es um die Abgrenzung zur AfD?

"Aus Versehen" haben zwei CSU-Abgeordnete im Bundestag für einen AfD-Antrag gestimmt und so für Schlagzeilen gesorgt. Im Bayerischen Landtag votierten schon fast alle Fraktionen zumindest für AfD-Berichtsanträge - der Parlamentsalltag ist komplex.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Es war der vierte Anlauf seit Jahresbeginn, der neunte insgesamt. "Geben Sie sich einen Ruck", forderte Bayerns AfD-Landtagsfraktionschef Ulrich Singer vergangene Woche im Plenum. Und der AfD-Parlamentarier Uli Henkel appellierte an alle Abgeordneten, endlich über ihren Schatten zu springen und für ihn zu stimmen. Doch wie zuvor andere AfDler verfehlte auch Henkel bei der Wahl zum Landtagsvizepräsidenten die erforderliche Mehrheit klar. Laut Geschäftsordnung des Bayerischen Landtags stellt zwar jede Fraktion eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten - der AfD-Posten ist aber seit 2018 unbesetzt und wird es bis zur Landtagswahl im Oktober wohl auch bleiben.

Wenn es um die Besetzung dieses herausgehobenen Amts geht, ziehen CSU, Freie Wähler, Grüne, SPD und FDP an einem Strang. Übereinstimmend betonen sie die Notwendigkeit einer "Brandmauer" zur AfD. Die Abgrenzung zu den Rechtspopulisten sei für seine Fraktion zentral, "eine Zusammenarbeit völlig undenkbar", sagt beispielsweise der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, Tobias Reiß. Seine SPD-Kollegin Simone Strohmayr betont, die AfD sei eine demokratieverachtende und rechtsradikale Partei, eine Zustimmung zu AfD-Anträgen komme für die Sozialdemokraten nicht in Frage.

In der Tat: Inhaltliche AfD-Anträge lehnten die anderen Fraktionen in den vergangenen fünf Jahren zu Hunderten ab. Bei der Frage, wie fest die "Brandmauer" im Landtag steht, gehen die Meinungen der Parteien aber wieder auseinander. Die Tücke liegt im Detail: Im parlamentarischen Alltag stellen sich zuweilen praktische Fragen, auf die die Parteien unterschiedlich antworten.

Zustimmung zu AfD-Berichtsanträgen

Besonders deutlich zeigt sich das am Umgang mit sogenannten Berichtsanträgen der AfD-Fraktion. Dabei geht es nicht um Gesetzesvorhaben, vielmehr wird mit solchen Berichtsanträgen die Staatsregierung aufgefordert, schriftlich oder mündlich zu konkreten Fragen Auskunft zu geben - im Fall der AfD beispielsweise zu den bayerisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, der Gesundheitsverträglichkeit von 5G oder den Fischbeständen im Freistaat.

Parlamentarische Gepflogenheit ist hier - ähnlich wie bei der Besetzung bestimmter Landtagsposten - normalerweise eine fraktionsübergreifende Zustimmung. "Üblich ist eigentlich, dass man Berichtsanträge der Opposition zumindest in schriftlicher Form immer annimmt", sagt der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Andreas Winhart. "Das war bei uns nicht immer der Fall." Viele AfD-Berichtsanträge seien abgelehnt worden, der eine oder andere aber doch durchgekommen.

Auf BR24-Anfrage listet das Landtagsamt 19 solcher AfD-Anträge auf, die seit 2018 in einem Fachausschuss und nachfolgend auch im Plenum Zustimmung gefunden haben. CSU und Freie Wähler votierten bei all diesen 19 Anträgen im federführenden Ausschuss mit der AfD, die FDP in neun der Fälle, die SPD dreimal, die Grünen kein einziges Mal. Mehrere Fraktionsgeschäftsführer erfuhren erst durch den BR, dass ihre Parteifreunde in Ausschüssen wiederholt AfD-Berichtsanträgen zugestimmt hatten.

Absprachen im Ausschuss

Als die CSU-Bundestagsabgeordneten Andreas Scheuer und Alexander Radwan kürzlich mit ihrer Zustimmung zu einem AfD-Antrag Schlagzeilen machten, sprachen sie von einem Versehen. Das Ja bayerischer Abgeordneter zu AfD-Berichtsanträgen in Landtagsausschüssen war in der Regel eine bewusste Entscheidung, der teilweise auch eine kontroverse inhaltliche Debatte vorausging.

Vereinzelt wurden in den Ausschüssen AfD-Berichtsanträge unverändert beschlossen, zuletzt im Juni zur Fachkräftesituation in Bayern. In den meisten Fällen wurden die Anträge aber mit kleinen oder sogar weitreichenden Änderungen verabschiedet. Zum Teil geht aus Protokollen der Ausschusssitzungen hervor, dass es vorab Absprachen zwischen Vertretern der Regierungsfraktionen und AfD-Abgeordneten gegeben hatte.

Der erste Antrag in der Auflistung des Landtagsamts reicht ins Jahr 2019 zurück - und zeigt Uneinigkeit selbst innerhalb der Fraktionen. Damals forderte die AfD eine Auskunft über Schädlingsbekämpfung, im federführenden Landwirtschaftsausschuss stimmten außer den Grünen (Enthaltung) alle Fraktionen zu. Im Umweltausschuss votierte nur die FDP mit der AfD, alle anderen lehnten den Berichtsantrag ab. Bei der abschließenden Abstimmung im Plenum hoben wiederum CSU und Freie Wähler mit der AfD die Hand, während sich Grüne, SPD und FDP enthielten. In allen anderen Fällen folgte das Plenum der Empfehlung des jeweils zuständigen Fachausschusses, ohne über die Anträge eigens abzustimmen.

Freie Wähler plädieren für "kluge Brandmauer"

Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, Reiß, sieht hier keinen Widerspruch zur Abgrenzungsstrategie seiner Fraktion. "Bei Berichtsanträgen geht es nicht um den Antragsteller, sondern um Transparenz", betont er. "Egal, ob die Grünen und die SPD oder die AfD einen Bericht der Staatsregierung einfordert, stimmen wir hier in vielen Fällen zu."

Der parlamentarische Geschäftsführer der FW-Fraktion, Fabian Mehring, spricht in diesem Zusammenhang von einer "klugen Brandmauer". Eine parlamentarische Brandmauer strikt nach dem Motto "Wenn oben AfD draufsteht, dann lehnen wir ab" genüge gelegentlich nicht. Nach Einzelfallabwägung müssten die Regierungsfraktionen solchen Berichtsanträgen manchmal zustimmen. Sonst könnte die AfD laut Mehring nach außen hin den Eindruck erwecken, die Staatsregierung verweigere sich bestimmten Debatten oder habe gar etwas zu verbergen. Daher könne es im Einzelfall "klüger sein", von der Staatsregierung einen Bericht einzufordern und "damit die Rechtspopulisten in der Sache zu stellen".

Grüne warnen: Brandmauer nicht erschüttern

Jürgen Mistol von den Grünen sieht das anders: "Brandmauer ist Brandmauer." Er warnt: "Jedes Steinchen, und sei es noch so klein, das man aus dieser Mauer herausbricht, macht die Mauer instabiler." Deswegen wären CSU und Freie Wähler laut Mistol gut beraten, "bei ihrem Abstimmungsverhalten die Brandmauer zu festigen und nicht zu erschüttern". Die Grünen-Abgeordnete Gisela Sengl, die im Agrarausschuss mehrfach ein Ja zu AfD-Berichtsanträgen miterlebte, beklagt: Zum Teil sei an AfD-Anträgen so lange herumgedoktert worden, bis sie aus CSU-Sicht zustimmungsfähig gewesen seien. Das sei "skandalös".

Auch der FDP-Abgeordnete Dominik Spitzer hatte im vergangenen Herbst im Gesundheitsausschuss das Vorgehen der CSU als befremdlich kritisiert, wie aus dem Protokoll hervorgeht: Der diskutierte Antrag zu Gewinnen von Kliniken atme die Missgunst der AfD, und er verstehe nicht, weshalb er so lange umformuliert werden solle, bis man ihm zustimmen könne. Auf Vorschlag der CSU wurde schließlich die Überschrift des AfD-Antrags geändert und die Begründung komplett gestrichen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Matthias Fischbach, begründet die Zustimmung von liberalen Abgeordneten zu AfD-Berichtsanträgen gerade mit den Änderungen durch "die Mehrheit der demokratischen Fraktionen". Die neuen Versionen seien dann "gemeinsam mit den Regierungsfraktionen verabschiedet" worden. Grundsätzlich stimme die FDP-Fraktion Anträgen der AfD nicht mehr zu - denn diese habe sich im Landtag über die Jahre immer weiter radikalisiert.

Kicken mit AfD-Abgeordneten?

Auch jenseits der Ausschussarbeit stellt die AfD die anderen Fraktionen vor viele praktische Fragen: Reagiert man bei Debatten auf AfD-Provokationen oder ignoriert sie? Wie geht man mit den AfD-Kollegen persönlich um? Meidet man Podiumsdiskussionen mit AfD-Teilnehmern oder stellt man sich ihnen?

Die Münchner "Abendzeitung" befasste sich kürzlich in einem Artikel beispielsweise mit einem Mini-Fußballturnier, bei dem im Team des FC Landtag Abgeordnete von Grünen, SPD und FDP zusammen mit zwei AfD-Parlamentariern aufgelaufen seien. "Das geht gar nicht", kritisierte der Nürnberger Linken-Stadtrat Titus Schüller in der Zeitung. "So etwas ist doch eine Steilvorlage für die AfD, um zu sagen, dass sie ein ganz normaler Teil der Gesellschaft und des politischen Betriebs sind."

Fischbach, der Teil des Landtagsteams war, verteidigte seine Teilnahme. Veranstaltungen des Landtags stünden nun mal allen Fraktionen offen. "Sollen wir diese denn alle boykottieren, wenn sich dafür ein AfDler meldet?" Niemand könne "ernsthaft fordern, den Rechten so eine Macht zu geben". Ähnlich argumentierten auch Grünen-Abgeordnete.

Aigner: "Raus aus dem Empörungsmodus"

Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) betonte kürzlich, die AfD fordere die Demokratie heraus. Der Ton im Landtag sei rauer geworden, die Debattenkultur habe gelitten. Trotzdem mahnt sie eine stärkere inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD an. "Wir alle sollten uns dieser Partei auch endlich inhaltlich stellen. Und das passiert, finde ich, immer noch zu wenig."

Den Wählerinnen und Wählern müsse klargemacht werden, wofür die AfD eigentlich stehe. "Sich ständig zu empören, die Partei nur zu ignorieren, das hat nichts gebracht, vielleicht sogar im Gegenteil." Genauso falsch wäre es laut Aigner, die AfD zu umarmen oder "gar ihre Narrative nachzuplappern". Die Landtagspräsidentin fordert daher: "Raus aus dem Empörungsmodus, hin zu einer inhaltlichen, in der Sache harten Auseinandersetzung mit der AfD."

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