Wie gehen Ermittler bei ungeklärten Kriminalfällen vor? In einem mutmaßlichen Mordfall steht nach 45 Jahren die Auflösung dank neuer Technik kurz bevor. In einem anderen Cold Case setzt der Ermittler seine Hoffnung auf die Öffentlichkeit.
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Ermittler rollen Cold Cases auch nach Jahren wieder auf, weil sich die forensische DNA-Analyse immer weiter entwickelt.

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Kommen zwei Cold Cases aus Bayern endlich zur Aufklärung?

Wie gehen Ermittler bei ungeklärten Kriminalfällen vor? In einem mutmaßlichen bayerischen Mordfall steht nach 45 Jahren die Auflösung dank neuer Technik kurz bevor. In einem anderen Cold Case setzt der Ermittler seine Hoffnung auf die Öffentlichkeit.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Zwei junge Frauen werden ermordet: Claudia Obermeier und Cornelia Hümpfer. Claudia Obermeier ist 22 Jahre alt, als sie 1990 in Mittelfranken umgebracht wird. Cornelia Hümpfer ist 1978 gerade mal 18 Jahre alt, als sie in Unterfranken stirbt.

Die Täter sind in beiden Fällen bis heute nicht verurteilt worden. Sie zählen deswegen inzwischen zu den sogenannten "Cold Cases", also bislang unaufgeklärten Kriminalfällen. Die Ermittlungen werden nicht eingestellt, denn Mord verjährt nicht. Und tatsächlich: Dank neuer DNA-Methoden und technischer Entwicklungen gibt es Hoffnung.

Mordfall Cornelia Hümpfer: Täter seit 45 Jahren nicht verurteilt

Gerhard Stark erinnert sich, als sei es erst vorgestern gewesen, sagt er: Am 21. April 1978 war er am Morgen, kurz nach fünf Uhr früh, mit seinen Kollegen gerade auf dem Weg zur Arbeit. Es dämmerte noch – und trotzdem fiel ihm auf dem Feld neben der Straße bei Schweinfurt etwas ins Auge: "Da hab ich eine grüne Jacke gesehen, erst hab ich gedacht, das ist eine Puppe, weil die war ja nicht so groß. Und dann bin ich rüber gelaufen," erzählt er in der Dokumentation von Kontrovers - Die Story. Gerhard Stark hat vor 45 Jahren die Leiche von Cornelia Hümpfer gefunden.

Zum Video: "Cold Case: Mord verjährt nicht" von Kontrovers - Die Story

Erste Indizien schon am Fundort sichtbar

Stark erzählt, wie er 1978 auf das Feld läuft und was er dann sieht. Das Bild von damals scheint er noch heute vor Augen zu haben. Die Leiche habe auf dem Bauch gelegen, der Kopf in Richtung Straße gedreht.

Sie war schneeweiß und die Jacke, ich weiß nicht wieviel genau, aber mindestens sieben, acht, neun Messerstiche hat man hinten gesehen, die Jacke war direkt ausgefranst. Dann denkt man, meine Güte, was ist das, wenn man selber fünf Kinder hat, und sieht dann ein Mädchen da liegen, dann ist man richtig geschockt." Gerhard Stark

Das Bild sollte sich für immer in die Erinnerung des heute 84-Jährigen brennen. Doch er hat damals nicht nur den Leichnam von Cornelia Hümpfer entdeckt, sondern auch eine Beobachtung gemacht, die für die Ermittlungen wesentlich werden sollte: "Dann hab ich diese Autospuren deutlich gesehen, die sind so rein- und wieder rausgefahren", beschreibt er die Reifenspuren, die er an diesem Morgen neben der Straße sieht. Wegen dieser Reifenspuren steht die Kriminalpolizei im Fall Cornelia Hümpfer kurz vor dem Erfolg.

Claudia Obermeier: Täter auch nach 33 Jahren nicht ermittelt

Anders sieht das hingegen im Cold Case von Claudia Obermeier aus, dem sogenannten "Flora-Mord". Claudia Obermeier war Wirtin des "Flora-Heims" in Röthenbach an der Pegnitz. Die Gaststätte in einem Kleingartenverein gibt dem Fall seitdem den Namen. Obermeier wird 1990 auf dem Weg nach Hause in einem Waldstück erwürgt. Die These: Es war ein Sexualdelikt. Claudia Obermeier versuchte sich zu wehren. Um die Tat zu vertuschen, erwürgte der mutmaßliche Mörder die junge Frau.

Vor zweieinhalb Jahren übernimmt Kommissar Wolfgang Eberle den Fall und rollt ihn nochmal neu auf: "Ungeklärte Mordfälle werden in gewissen Zeitabständen immer mal zur Überprüfung an die ursprünglich sachbearbeitenden Dienste zurückgegeben." Der Kommissar geht den Fall und alle Hinweise von damals nochmal durch - und findet tatsächlich eine neue Spur im Flora-Mord.

Technische Entwicklungen bei Cold Cases relevant

Für neue Erkenntnisse alter Fälle sind auch technische Fortschritte relevant. So können auch Jahre nach einer Tat noch neue Spuren entdeckt werden. Im Bayerischen Landeskriminalamt in München etwa können Spezialistinnen wie Stephanie Helfer mit modernsten Verfahren DNA-Spuren an den Asservaten finden, die so zu der Zeit, als Claudia Obermeier getötet wurde, noch nicht einmal denkbar gewesen wären. "Die DNA-Spur, die man dazu braucht, muss eine gewisse Qualität haben, aber das ist nach 30, 40 Jahren noch möglich", erklärt sie.

So einen Erfolg können sie auch hier verbuchen: DNA-Spuren aus dem Fall Obermeier sind 22 Jahre nach ihrem Tod bei einem Baustellen-Einbruch gefunden worden – nur etwa zehn Kilometer vom Fundort der Leiche 1990. Für Ermittler Eberle steht fest: "Klären wir den Baustellen-Einbruch, klären wir den Mord." Doch die DNA-Spuren stimmen mit einstigen Verdächtigen nicht überein.

Der Kommissar geht über die Medien an die Öffentlichkeit. Dabei bekommt er eine, wie er zunächst glaubt, eine "heiße Spur" - einen neuen Tatverdächtigen. Doch die DNA-Analyse bestätigt diese Spur nicht. Frustrierend für Ermittler wie Wolfgang Eberle: "Am besten kann man es aushalten, wenn man die Erwartungshaltung an die Spur – soweit es menschenmöglich ist – gering hält, weil dann das Frustrationspotential nicht so groß ist und du dann das Durchhaltevermögen hast, weiterzumachen, wo alle anderen schon aufgeben."

Cold Cases: Ohne Hartnäckigkeit keine Erfolge

Während im Cold-Case Claudia Obermeier die Polizisten noch auf der Suche nach dem Täter sind, sind die Kollegen im Cold Case Cornelia Hümpfer um einiges weiter. Auch hier sind es technische Weiterentwicklungen, die einen entscheidenden Unterschied machen: Mit einer neuen DNA-Analyse glauben sie den Täter gefunden zu haben. Das ist auch seiner Hartnäckigkeit zu verdanken: 2015 beginnt Jürgen Hept von der Kripo Schweinfurt im Mordfall Cornelia Hümpfer erneut zu ermitteln und geht alle Hinweise von 1978 erneut akribisch durch.

Eine Zeugenaussage fällt ihm auf. Sie führt die Ermittler zur Kaserne in Schweinfurt, in der in den 70er Jahren amerikanische Soldaten stationiert waren. Vieles deutet damals auf einen 24-jährigen Soldaten hin, Tommy M. Sein Auto könnte zu den Reifenspuren am Tatort passen. Doch seine Frau gibt ihm damals ein Alibi, "die Ermittler haben es damals zählen lassen", sagt Ermittler Jürgen Hept.

Mehrere DNA-Ermittlungen über Jahrzehnte nötig

1995, also 17 Jahre nach den ersten Mordermittlungen, sollte der Fall Cornelia Hümpfer eine erstaunliche Wendung nehmen. Tommy M. lebt wieder in den USA. Seine Ex-Frau meldet sich bei den Behörden, ihr Mann habe ihr erzählt, dass er in Deutschland eine Frau getötet hat, mit der er ein Verhältnis hatte. Tommy M. streitet das Geständnis ab. Dennoch erwirken die deutschen Ermittler einen richterlichen Beschluss.

Nach fast sechs Jahren Hin und Her bekommen sie eine Blutprobe - aber keinen Treffer. "Leider Gottes war es damals so, dass die DNA natürlich noch in den Anfängen war und eine so akribische und analytische Auswertung wie sie zur heutigen Zeit möglich ist, nicht gegeben war", berichtet Hept.

2015 wird im LKA ein weiteres Kleidungsstück von Cornelia Hümpfer analysiert. Viel deutet darauf hin, dass die Blutprobe von damals doch einen Treffer ergeben könnte. Die Technik wurde weiterentwickelt. Stefanie Helfer erläutert: "Wir haben an der Kleidung eine DNA-Spur gefunden, die zu dem damals bereits tatverdächtigen US-Amerikaner gepasst hat. Dieses DNA-Muster von der Person war aber von 2001. Damals hat man nur fünf Genorte auf der DNA untersucht. Aktuell ist der gängige Standard eigentlich 16 Orte." Doch die alte Blutprobe musste aus rechtlichen Gründen vernichtet werden.

Mutmaßlicher Täter ermittelt – doch bislang nicht verurteilt

Tommy M. soll fast 20 Jahre später wieder eine Blutprobe abgeben, die vor Gericht standhalten kann. Bis die US-Behörden das durchsetzen, ist es November 2020.

Ein Treffer für die LKA-Spezialisten. Nach dem aktuellen Standard in der Gen-Analyse sei die Wahrscheinlichkeit, dass nochmal jemand mit einer so eindeutigen Übereinstimmung existiere "eigentlich komplett ausgeschlossen", sagt Stephanie Helfer. Doch abgeschlossen ist der Fall für Kommissar Hept damit noch nicht. Die US-Behörden verhaften den mutmaßlichen Mörder von Cornelia Hümpfer im Juni 2023, also 45 Jahre nach der brutalen Tat. Jetzt hofft Kommissar Hept, dass Tommy M. bald ausgeliefert wird und ihm der Prozess vor einem deutschen Gericht gemacht werden kann.

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