Bauern blockieren einen Grenzübergang zwischen den Niederlanden und Belgien.
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Bauern blockieren einen Grenzübergang zwischen den Niederlanden und Belgien.

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EU reagiert auf Bauernproteste – bleibt Umwelt auf der Strecke?

Nicht nur in Deutschland haben die Bauern seit Wochen protestiert, sondern auch in vielen weiteren Staaten. Die EU reagiert mit Zugeständnissen an die Landwirtschaft. Naturschutz-Vorgaben werden beiseitegeschoben.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

In der vergangenen Woche herrscht Chaos am Sitz der Europäischen Union in Brüssel. Konvois mit über 1.000 schweren Traktoren verstopfen die Straßen, Heuballen und Holzpaletten brennen, wütende Landwirte fordern von den europäischen Politikern lautstark Entlastung von steigenden Preisen und Bürokratie. An der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden blockierten Landwirte am Wochenende zeitweise eine wichtige Autobahn.

Zuvor bereits war Frankreich lange im Griff flächendeckender Bauernproteste – mit Traktoren hatten sie Zufahrten nach Paris blockiert und erst davon abgelassen, nachdem die französische Regierung Konzessionen gemacht hatte. Sie wollte die Steuern auf Agrardiesel eigentlich bis 2030 schrittweise erhöhen, verzichtet aber angesichts anhaltender Proteste darauf. Außerdem bringt Frankreich ein Hilfspaket für die Landwirtschaft in Höhe von 400 Millionen Euro auf den Weg.

Bauernproteste in vielen Ländern

Auch in Italien protestierten am Wochenende Bauern nördlich von Rom, sie verlangten direkte Gespräche mit der Regierungschefin. Im griechischen Thessaloniki waren ebenfalls 2.000 Bauern auf der Straße – obwohl die griechische Regierung bereits ein Entgegenkommen angekündigt hatte. In Spanien kündigen Bauerngewerkschaften weitere Proteste an, darunter eine Großdemonstration in Barcelona am 13. Februar.

EU kassiert Artenschutz-Regeln ein

All das macht offenbar Eindruck. Politiker aus den einzelnen Staaten geben den Druck an die EU weiter – die ja für den Großteil der Landwirtschaftspolitik verantwortlich ist. Und die Europäische Kommission mit ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen? Sie hatte ihre Amtszeit eigentlich ins Zeichen eines "Green Deal" für den Umweltschutz gestellt, zeigt sich aber jetzt betont bauernfreundlich. Die EU hat Regeln, die dem Artenschutz dienen sollten, vorläufig einkassiert.

Zugeständnis 1: Keine verpflichtenden Brachen

Im Eiltempo hat die EU-Kommission eine zentrale Vorschrift zum Artenschutz aus der Gemeinsamen Agrarpolitik für ein weiteres Jahr ausgesetzt. Eigentlich sollen Landwirte vier Prozent ihrer Flächen aus der Bewirtschaftung nehmen, um zum Beispiel mit Hecken Lebensräume für wild lebende Arten zu schaffen. Dies gilt als Voraussetzung, um die pro Hektar ausgezahlten EU-Direktbeihilfen zu bekommen. Schon im vergangenen Jahr durften die Bauern die Flächen trotzdem unter den Pflug nehmen – damals mit der Begründung, dass die russische Blockade der Ukraine die weltweite Lebensmittelversorgung bedrohe. Während vergangene Woche Zehntausende französische Bauern auf der Straße waren und die Regierung gepanzerte Fahrzeuge auffahren ließ, teilte die EU-Kommission mit, die Vorschrift werde nun für ein weiteres Jahr ausgesetzt.

Statt einer Verpflichtung für Brachland soll es eine Mindestvorgabe für den Anbau von Zwischenfrüchten geben. Diesmal war nicht Lebensmittelknappheit die Begründung, sondern die "außergewöhnlichen Schwierigkeiten und Unsicherheiten", mit denen die europäischen Landwirte konfrontiert seien – durch zu viel Getreide auf dem Markt verbunden mit verfallenden Preisen, andererseits steigenden Preisen für Betriebsmittel.

Außerdem nennt die EU-Kommission zur Begründung die große Zahl extremer Wetterereignisse mit Dürren, Waldbränden und Überschwemmungen. Naturschützer reagieren sehr enttäuscht: "Wieder erhält kurzfristiges Profitdenken den Vorzug vor langfristiger Vorsorge für die Lebensgrundlagen, die auch die Produktionsgrundlage der Landwirtschaft sind", kritisiert etwa Norbert Schäffer vom bayerischen Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV). Der Bauernverband stellt indessen prinzipiell infrage, dass es sinnvoll ist, verpflichtend einen Teil der landwirtschaftlichen Fläche der Natur zu überlassen. "Das Instrument passt an sich nicht", sagt Stefan Meitinger vom Bayerischen Bauernverband (BBV). Das könne man ja schon daran sehen, dass man es jetzt jedes Mal von Jahr zu Jahr aufs Neue aussetzen müsse: "Wahrscheinlich 2025 dann aus irgendeinem anderen Grund."

Zugeständnis 2: Gesetz gegen Pestizide vom Tisch

Gestern hat die EU-Kommission ein weiteres Zugeständnis gemacht: Der Vorschlag der EU zur Reduzierung des Pestizideinsatzes ist jetzt offiziell Geschichte. Eigentlich sollten Landwirte nach dem Entwurf bis 2030 nur noch halb so viel Insekten- und Pflanzengift auf ihren Äckern ausbringen wie bisher. Das Ziel bleibe ehrenwert, sagte von der Leyen im EU-Parlament, aber ihr Gesetzesvorschlag sei ein "Symbol der Polarisierung" geworden. Deswegen werde er nun zurückgezogen.

Wann ein neuer Vorschlag kommen könnte, ist unklar. Der Entwurf war zuvor bereits im EU-Parlament an einer Mehrheit vor allem aus Konservativen und Rechten gescheitert. Er galt deshalb ohnehin inzwischen als politisch chancenlos. Für Stefan Meitinger vom Bayerischen Bauernverband war es einfach ein "schlechter Vorschlag, der entsprechend dann auch auf breiter Basis abgelehnt wurde". Die Grünen im Europaparlament hoffen indes auf einen neuen Anlauf der Kommission mit einem mehrheitsfähigen Entwurf.

Und Matthias Luy vom LBV erinnert daran, dass die bayerische Staatsregierung für den Freistaat ein noch ehrgeizigeres Ziel festgesetzt hat, nämlich eine Halbierung der Pestizide bis 2028. "Und wir hoffen sehr und drängen darauf, dass das auch umgesetzt wird", so Luy.

Zugeständnis 3: Zölle für Agrarimporte

Um die Ukraine in ihrem Überlebenskampf nach dem Überfall durch Russland zu unterstützen, hatte die EU ihren Markt für die zollfreie Einfuhr von ukrainischen Agrargütern geöffnet. Osteuropäische und zuletzt auch französische Bauern hatten dagegen protestiert, weil dadurch in der EU die Preise sanken. Nun plant die EU eine "Notbremse" für den Import von Geflügel, Eiern und Zucker aus der Ukraine. Das Ziel: Die Einfuhren sollen nicht weiter steigen. Die Kommission müsse die Landwirte vor potenziellem Schaden durch Importe heikler Güter schützen, schreibt ein EU-Sprecher auf BR-Anfrage.

Ebenfalls ein Dorn im Auge ist den Bauernverbänden das geplante Freihandelsabkommen der EU mit dem Länderverbund Mercosur in Südamerika. Von dort könnte unter anderem sehr billiges Rindfleisch auf den europäischen Markt kommen, das hiesigen Bauern Konkurrenz macht. Die französische Regierung ist gegen das Abkommen, die deutsche dafür. Die EU-Kommission teilt mit, man müsse natürlich die verschiedenen Anliegen berücksichtigen, derzeit seien die Bedingungen für einen Abschluss des Freihandelsabkommens mit Mercosur jedenfalls noch nicht gegeben. Auch Umweltverbände wie der LBV wollen das Abkommen nicht, statt des internationalen Agrarhandels müsse man vielmehr die regionale Kreislaufwirtschaft unterstützen.

Zugeständnis 4: Weniger Bürokratie und eine Zukunftskommission

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Landwirten für die Zukunft auch weniger Bürokratie in Aussicht gestellt: Sie wolle den Mitgliedsländern in Kürze einen Vorschlag machen, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, kündigte sie vergangene Woche an. Dazu liefert die EU-Kommission jedoch auf BR-Anfrage nur wenig Konkretes: Man prüfe momentan noch, welche Möglichkeiten es gebe. Im Übrigen hätten die Mitgliedsstaaten selbst die Auszahlung der EU-Agrarsubventionen in ihrer Verantwortung. Und auch die Kontrolle von Auflagen. Bürokratieabbau im Agrarsektor sei also auch eine nationale Aufgabe.

Stefan Meitinger vom Bayerischen Bauernverband erwartet sich in den nächsten Monaten nicht allzu viel, denn die Legislaturperiode des EU-Parlaments und die Amtszeit der Kommission sind ja schon beinahe vorbei. Am 9. Juni wird gewählt.

Bleibt beim Dialog die Umsetzung wieder auf der Strecke?

Allerdings hat von der Leyen auch einen "Strategischen Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft" eingesetzt – eine Kommission aus Fachleuten und Verbandsvertretern, die erst nach der Wahl im Sommer berichten soll. Hier könnte Entbürokratisierung eines der Themen sein. Ein Vorbild ist offenbar die "Zukunftskommission Landwirtschaft", die in Deutschland 2019 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Leben gerufen worden ist – ebenfalls nach einer Welle von Bauernprotesten. Vorsitzender war der Germanistik-Professor Peter Strohschneider, der damals Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft war. Er soll nun auch den Zukunftsdialog der EU leiten. Die Vorschläge aus dem 2021 vorgelegten Bericht der deutschen Zukunftskommission Landwirtschaft wurden bisher jedoch von der Politik kaum angegangen.

Dialog sei ein guter Ansatz, sagt BBV-Vertreter Meitinger, allerdings: „Die Umsetzung ist halt das Fragliche“. Umweltschützer Luy vom LBV meint, eine Einigung in so einer Kommission auf EU-Ebene werde noch für deutlich schwieriger als damals in Deutschland.

Dreht der Wind in Brüssel?

Wird Unterstützung für die Bauern künftig wichtiger sein als der Schutz der Umwelt? Matthias Luy vom LBV befürchtet das. Schon jetzt könne man eine "ganz schlechte Entwicklung" beobachten: "Weil man jetzt auf Kosten der Natur versucht, die Landwirte zu befrieden." Stefan Meitinger vom Bauernverband bestätigt, dass sich etwas im Sinne der Landwirte bewege. Er betont aber gleichzeitig: "Das kann nur ein Anfang sein." So oder so: Das Wahlergebnis bei der Europawahl wird entscheidenden Einfluss auf die Agrar- und Umweltpolitik in der EU haben.

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