Atomreaktoren in Temelin, Tschechien.
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Bisher sollte nur ein Atomreaktor gebaut werden, jetzt wohl bis zu vier. Zwei davon sollen in Temelin in der Nähe von Bayern entstehen.

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Tschechiens AKW-Pläne: "Für die Grenzregion besorgniserregend"

In bayerischen Grenzgebieten blickt man überwiegend mit Sorge auf die Pläne des Nachbarlands Tschechien, vier weitere Atomkraftwerke zu bauen. Was viele umtreibt: Wie gut werden Sicherheitsvorschriften geprüft und eingehalten?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Tanja Schwankl kommt aus Deggendorf. In ihrer Nähe sollen bald neue Atomreaktoren entstehen, wenn es nach der tschechischen Regierung geht. Geplant ist der Bau von vier neuen Meilern, zwei davon im südböhmischen Temelin - rund 80 Kilometer entfernt von der niederbayerischen Grenze. Schwankl schaut diesen Plänen besorgt entgegen: Eine Gefahr sei selbst bei weiter entfernten Atomkraftwerken "immer da", das habe die Geschichte schon gezeigt, sagt sie mit Blick auf das Unglück von Tschernobyl. "Die Auswirkungen haben wir ja heute noch." So wie Tanja Schwankl geht es in Niederbayern und der Oberpfalz vielen Leuten, seitdem die Atom-Pläne aus dem Nachbarland Tschechien bekannt wurden. Das zeigt sich am Dienstag bei einer BR-Umfrage auf dem Deggendorfer Stadtplatz und im Bayerischen Wald.

Umfragen zeigt: Die Menschen vor Ort sind verunsichert

Zugleich betont Schwankl, man müsse sich irgendwie mit dem tschechischen Vorhaben abfinden: "Wir haben [Atomkraftwerke] abgeschaltet, es war klar, dass sie dann woanders bauen. Weil irgendwo muss der Strom ja her." Sie gibt aber zu, dass sie sich sicherer fühlen würde, wenn so ein Kraftwerk in Deutschland laufen würde: "Ich glaube, wir haben viel mehr Sicherheitsvorschriften und es wird viel besser geprüft."

Sorgen vor Auswirkung für die Grenzregionen

Dass Tschechien stark auf den Ausbau von Atomkraft setzt, wisse man seit Jahren, sagt Deggendorfs Landrat Bernd Sibler (CSU) im Gespräch mit BR24. Er teile jedoch auch die Skepsis vieler Bürger in seinem Landkreis: "In Deutschland steigt man aus guten Atomkraftwerken aus, in Tschechien muss man Sorge haben, dass neue gebaut werden mit schlechten Standards. Das bewegt uns natürlich schon ein Stück." Auf der anderen Seite bräuchte es den Strom, vor allem bei den Debatten, die gerade in Deutschland geführt würden. Dazu kommt, laut Sibler, in der Region die Sorge um ein Atommüll-Endlager.

Ähnliche Gedanken teilt der Freyunger Landrat Sebastian Gruber (CSU). "Die Dimension und der Umfang" der aktuellen Pläne seien "sehr überraschend und für die Grenzregion besorgniserregend", sagt er auf BR-Anfrage. "Die Realisierung hätte erhebliche Auswirkungen auf die Lebens- und Standortqualität unserer Region", vor allem auch, weil man in der Vergangenheit" berechtigte Befürchtungen hinsichtlich der Sicherheitsstandards" haben müsse.

Gruber erinnert daran, dass Tschechien außerdem seit Jahren Endlagerstätten für Atommüll plane, einige mögliche Standorte ebenfalls in Grenznähe. "Atomenergie und Atommüll" dürften aber nicht zu Themen ausschließlich für die Grenzregionen werden. "Derartige Aktivitäten sowie das Vorgehen" würden auch die "für gewöhnlich vertrauensvolle Zusammenarbeit im gemeinsamen Grenzraum belasten".

Bedenken bei Einhaltung der Sicherheitsstandards

Der Regener Landrat Ronny Raith (CSU) hofft, "dass die tschechische Regierung die Sicherheit der Anlagen besonders im Blick hat". Er kündigt an, dass man dies auch in Gesprächen mit tschechischen Regierungsvertretern ansprechen werde. Genau das ist auch dem Passauer Landrat Raimund Kneidinger (CSU) wichtig. Er betont, dass man "die Einhaltung höchster Sicherheitsstandards erwarten und auch einfordern" werde. Es stehe Deutschland aber nicht zu, "die souveräne Entscheidung eines Nachbarstaates zu kritisieren". Deutschland, das sich für den Atomausstieg entschieden habe, müsse sich außerdem "daran gewöhnen, dass andere europäische Staaten andere Schwerpunkte setzen und dabei auch den gesamteuropäischen Energiehunger im Blick haben".

Ganz ähnlich äußert sich der Chamer Landrat Franz Löffler (CSU). Die Entscheidung Tschechiens zeige deutlich, "wie unsere europäischen Partner die Frage der Energiesicherheit und der Unabhängigkeit von Gasimporten aus Russland beantworten. Nicht nur Tschechien, sondern auch Frankreich und viele andere europäische Länder setzen voll auf Atomkraft". Deutschland, das sich von der Atomkraft verabschiedet habe, müsse "nun selbst herausfinden, wie dieser europäische Alleingang zur richtigen Antwort auf die Zukunftsfragen für unseren Wirtschaftsstandort werden kann". Löffler sagt aber auch, dass der geplante Ausbau von Temelin "berechtigte Sorgen in der Bevölkerung" auslöst und verlässliche Informationen Tschechiens, besonders zum Thema Sicherheit, noch fehlen.

Generell kein großes Vertrauen in die Atomkraftwerkstechnik in Tschechien hat der Landtagsabgeordnete der Freien Wähler Martin Behringer aus Thurmannsbang. Weitere AKWs an der deutsch-tschechischen Grenze würden deshalb das Sicherheitsgefühl "massiv beeinträchtigen".

Im Video: Reaktionen auf die tschechischen Pläne

Tschechien will vier neue Atomkraftwerke bauen? Das sagen Bürger, Aktivisten und Politiker dazu.
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Tschechien will vier neue Atomkraftwerke bauen? Das sagen Bürger, Aktivisten und Politiker dazu.

Manche sehen Pläne eher gelassen

Es gibt aber auch Stimmen, die den Plänen der tschechischen Regierung noch keine zu große Bedeutung zuschreiben. Eine davon ist von Gerhard Albrecht, dem Vorsitzenden der "Plattform gegen Temelin e.V.", einer seit dem Jahr 2000 bestehenden Bürgerinitiative im Raum Passau mit aktuell immer noch 1.400 Mitgliedern. Mit dieser wollte der Niederbayer über viele Jahre verhindern, dass im tschechischen Temelin überhaupt ein Atomkraftwerk gebaut wird.

Albrecht ist der Meinung, das Nachbarland habe in den vergangenen Jahren immer wieder Pläne für zusätzliche Atomkraftwerke gehabt. Dann seien diese Pläne aber auch immer wieder begraben worden, entweder weil es einen Regierungswechsel gab oder weil die Baukosten zu hoch waren. Von daher müsse man abwarten, was nun wirklich kommt.

Temelin, also der Standort, an dem zwei Reaktoren geplant sind, sei auch durch die kritischen Initiativen in Deutschland sicher "einer der am besten beobachteten Atomstandorte in Europa geworden". Es habe dort vor allem in den ersten Jahren unzählige Störfälle gegeben. In letzter Zeit sei es ruhiger geworden. Aber letzte Woche habe es in Temelin wieder einen Störfall gegeben, von dem man immer noch nicht wisse, was genau passiert ist.

Bisher keine Reaktion von Bayerns Politik

Die politische Seite hat bisher noch nicht auf die Atomkraft-Ausbaupläne reagiert. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) und Eric Beißwenger (CSU), Staatsminister für Europaangelegenheiten, wollten sich auf BR-Nachfrage zum jetzigen Zeitpunkt nicht dazu äußern.

Für Tanja Schwankl aus Deggendorf steht in Bezug auf die Pläne fest: "Wir werden jetzt erst mal nichts dagegen tun können." Das heißt, Anwohner müssen wohl abwarten, ob das tschechische Vorhaben, den ersten Reaktor 2036 ans Netz zu bringen, 2050 dann bis zu drei weitere, wirklich so in die Tat umgesetzt wird.

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