Im japanischen See Shinji gibt es immer weniger Fische. Schuld daran sollen Neonicotinoide sein.
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Im japanischen See Shinji gibt es immer weniger Fische. Schuld daran sollen Neonicotinoide sein.

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Neonicotinoide lassen Fischbestand schrumpfen

Daran, dass unsere Insekten und damit auch unsere Vögel weniger werden, sollen hauptsächlich Pflanzenschutzmittel schuld sein. Jetzt haben Forscher aus Tokio bestätigt, dass sich Neonicotinoide auch im Wasser und damit auf Fische auswirken.

Ein Team um Masumi Yamamuro von der Universität Tokio hat den japanischen Shinji-See über Jahrzehnte beobachtet. Der siebtgrößte See Japans liegt in der Präfektur Shimane, an seinen Ufern befinden sich Reisfelder. Auf den Feldern werden bestimmte Pflanzenschutzmittel, sogenannte Neonicotinoide, ausgebracht - die sich den Wissenschaftlern zufolge erheblich auf die Lebewesen im See auswirken. So konnten die Forscher nachweisen, dass schon der erstmalige Einsatz der Pestizide ganze Fischpopulationen zusammenbrechen ließ. Im Shinji-See konnten sie insgesamt sieben verschiedene Insektizide ausmachen, die in dieser Kombination vermutlich zu den besonders drastischen Effekten geführt haben.

Seit Einsatz der Neonicotinoide hat sich das Ökosystem See verändert

Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich das Ökosystem des Sees seit dem ersten Einsatz der Insektengifte 1993 bis zu ihrer letzten Wasseranalyse 2016 erheblich verändert hat: Viele kleine Wasserlebewesen, die zuvor reichlich vorkamen, verschwanden im Laufe dieser Zeit ganz oder waren nur noch in geringer Zahl zu finden. Dazu gehören zum Beispiel Krebse und Würmer, aber auch bestimmte Arten von Mücken und Asseln. Der Studie zufolge reduzierte sich die Biomasse der Kleinstlebewesen nach dem ersten Einsatz der Pestizide um 83 Prozent. Dies wiederum wirkt sich direkt auf die Nahrungskette im See aus: Gerade die kleinen Wasserbewohner sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für junge Fische.

Pflanzenschutzmittel setzen den Fischen zu

Infolge des Nahrungsschwundes brachen zum Beispiel die Bestände von Aal und Stint, beides Speisefische, ein. Bei den Stinten etwa sank die Menge des gewerblichen Fischfangs von rund 240 Tonnen pro Jahr vor dem ersten Einsatz der Pestizide auf 22 Tonnen danach. Die japanischen Forscher verweisen in diesem Zusammenhang auch auf frühere Studien: Demnach hätten die Pflanzenschutzmittel in anderen Seen einen Rückgang von Zuckmücken verursacht.

Manchen Arten scheinen die Neonicotinoide weniger auszumachen

Die Wissenschaftler konnten jedoch auch beobachten, dass sich manche Arten gegenüber den Neonicotinoiden resistent zeigten: Der Bestand an Eisfischen zum Beispiel vergrößerte sich sogar. Die Forscher vermuten, dass sich die Eisfische mehrheitlich von pflanzlichem Plankton wie Algen ernähren.

Wissenschaftler schließen andere Faktoren aus

Andere Faktoren, die die Wasserqualität und die Lebewesen im Wasser beeinflussen hätten können, schlossen die Forscher aus: Weder der Salzgehalt noch die Sauerstoffkonzentration des Wassers habe sich wesentlich verändert. Auch seien keine neuen Arten aufgetaucht, die den anderen gefährlich werden hätten können. Und die Forscher betonen, dass die Fischbestände im Shinji-See schon allein deshalb stabil bleiben müssten, weil die dortige Fischergesellschaft dort jährlich Eier von Aalen und Stinten aussetze.

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Der Shinji-See (Google-Satellitenaufnahme) ist der siebtgrößte See in Japan. Er liegt in der Präfektur Shimane auf der Insel Honshu.

Neonicotinoide sind in der EU weitgehend verboten

Schon länger ist bekannt, dass Neonicotinoide nicht nur Schädlingen, sondern auch nützlichen Insekten wie Bienen und Hummeln zusetzen. Dennoch sind die Pflanzenschutzmittel weltweit im Einsatz. Laut Experten könnte deshalb Ähnliches wie in Japan nahezu überall passieren. In der EU jedoch sind diese Insektizide seit einiger Zeit weitgehend verboten: Die EU-Staaten stimmten 2018 für ein Freilandverbot von drei weit verbreiteten Neonicotinoiden. Die Stoffe dürfen seither nur noch in Gewächshäusern und nicht mehr auf Äckern eingesetzt werden. Es gibt jedoch noch weitere Neonicotinoid-Arten und außerdem Ausnahmeregelungen.

Auch in Deutschland schrumpft der Fischbestand

Laut Falko Wagner, dem Leiter des Instituts für Gewässerökologie und Fischereibiologie in Jena, gehen auch in Deutschland sowohl die Biomasse an wirbellosen Tieren als auch die Fischbestände in Fließgewässern seit Jahren zurück.

"Die negativen Auswirkungen von Neonicotinoiden auf wirbellose Tiere sind durch Laborexperimente eindeutig belegt. Aber dass dies nun so klar im natürlichen System nachgewiesen wird, ist ein starkes Indiz für die unterschätzte Gefahr durch Pestizide." Falko Wagner, Leiter des Instituts für Gewässerökologie und Fischereibiologie in Jena

Bringen Neonicotinoide auch bei uns Ökosysteme durcheinander?

In Deutschland konnte ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Rückgang von Wasserlebewesen und dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in freier Natur bislang nicht belegt werden. Langfristig hätte eine solche Entwicklung aufgrund der verschiedensten Nahrungsbeziehungen aber auch bei uns weitreichende Folgen: "Von den Fischen leben ja wiederum andere Tiere, zum Beispiel der Fischotter, aber auch Vögel und andere Landtiere, die auf diese Nahrung zwingend angewiesen sind", erklärt Falko Wagner. Die Neonicotinoide jedenfalls, die im Wasser des japanischen Sees gefunden wurden, sind stark verbreitet. Die japanischen Forscher gehen deshalb davon aus, dass auch in anderen Gewässern ein dezimierter Fischbestand mit dem Einsatz der Gifte zusammenhängen könnte.