Ein Schild weist auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg hin. (Symbolbild)
Bildrechte: BR24/Rainer Aul

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. (Symbolbild)

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

#Faktenfuchs: Behauptungen zur Migration im Faktencheck

Das Thema Migration ist laut BayernTrend eines der wichtigsten Themen für Menschen in Bayern. Der #Faktenfuchs hat sich einige der verbreitetsten Behauptungen zur Migration genauer angesehen.

Aufnahmeprogramme für Geflüchtete

Die Behauptung:

Markus Söder, CSU, forderte in der ARD-Sendung "Anne Will" am Sonntag, 24.09.23, einen "Stopp von Sonderaufnahmeprogrammen, die nur Deutschland macht, ist ja tatsächlich so, dass nur Deutschland ein Sonderaufnahmeprogramm in Europa macht."

Richtig oder falsch?

Teils, teils. Söder formuliert in seiner Aussage ungenau, er spricht von "Sonderaufnahmeprogrammen". Einzigartig in der EU ist aber lediglich das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan. Seit Beginn des Programms im Oktober 2022 kamen darüber 12 Menschen nach Deutschland. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland - als eines von 17 EU-Ländern - an einer Reihe von Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Personen.

Die Fakten:

Deutschland nimmt schutzbedürftige Menschen über spezielle Aufnahmeprogramme auf. Sie unterscheiden sich vom Asylverfahren.

Diese sind:

  • Resettlement-Programme, also die "Umsiedlung" von Geflüchteten aus den Erstaufnahmeländern Ägypten, Äthiopien, Jordanien, Libanon und Libyen. Das UN-Flüchtlingskommissariat schlägt Geflüchtete für diese Programme vor, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wählt dann aus. Die Resettlement-Flüchtlinge erhalten einen Aufenthaltstitel und müssen kein Asylverfahren durchlaufen.
  • Humanitäre Aufnahmeprogramme, zum Beispiel im Rahmen der EU-Türkei-Vereinbarung für syrische und staatenlose Schutzsuchende. Ihnen kann eine Aufenthaltserlaubnis oder ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt werden. Auch hier müssen die Geflüchteten kein Asylverfahren durchlaufen.
  • EU-Relocation-Programme, innereuropäische Unterstützungsprogramme zur Umverteilung von Geflüchteten zum Beispiel in Griechenland und Italien oder zur Übernahme von aus Seenot geretteten Asylsuchenden.
  • Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan, für ehemalige afghanische Ortskräfte und besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen. Die Bundesregierung wählt aus, wer aufgenommen wird und eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhält. Das Programm läuft seit Oktober 2022.

Diese Aufnahmen sind – bis auf das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan – nicht einzigartig in Deutschland und stehen "überwiegend im europäischen Kontext", schreibt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem #Faktenfuchs per Mail. Im Jahr 2023 beteiligten sich 17 EU-Staaten an Resettlement- und humanitären Aufnahmeprogrammen. Das Prinzip: Die Staaten entscheiden selbst, wen sie aufnehmen wollen. Das unterscheidet die Aufnahmeprogramme auch vom Asyl. Das Recht auf Asyl ist im Grundgesetz verankert. Die Aufnahmeprogramme seien kein Ersatz für reguläre Asylverfahren, wird auf einer Infoseite der Caritas erläutert, sondern "ergänzen diese in akuten Notsituationen." Das sagt auch Natalie Welfens von der Hertie School of Governance im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: “Asyl ist ein Recht und diese Aufnahmeprogramme sind im Grunde genommen humanitäre Politik. Die Staaten haben die Möglichkeit, Kriterien festzulegen, wer aufgenommen wird.”

Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan ist eine Initiative der Bundesregierung. Andere EU-Staaten setzen derzeit kein vergleichbares Programm um – sie nehmen aber, wie zum Beispiel Irland, auch afghanische Staatsangehörige über andere Programme auf.

Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan ist offenbar das "Sonderaufnahmeprogramm", das Söder meint. Auf Nachfrage des #Faktenfuchs bei der Staatskanzlei verweist ein Sprecher auf dieses Programm. Darauf bezogen hat Söder recht – es gibt kein vergleichbares Programm in anderen EU-Staaten. Aber Söder spricht in Interviews in diesem Zusammenhang öfter im Plural, also von "Sonderaufnahmeprogrammen". Es gibt jedoch kein weiteres Programm dieser Art – von "Sonderaufnahmeprogrammen" kann also keine Rede sein.

Seit Start des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan im Oktober 2022 kamen zwölf Menschen aus Afghanistan nach Deutschland, schreibt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem #Faktenfuchs per Mail. Deutschland hatte mehr als 44.000 besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen und "berechtigten Familienangehörigen" eine Aufnahme in Deutschland in Aussicht gestellt. Wegen Sicherheitsbedenken wurde das Aufnahmeprogramm zwischenzeitlich gestoppt. Seit Juni 2023 läuft es wieder. Ausgewählt werden die Afghanen laut dem Sprecher des Bundesinnenministeriums "gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen", etwa Nichtregierungsorganisationen. In diesem Punkt unterscheidet sich das Aufnahmeprogramm zum Beispiel von Resettlement-Programmen. Dort wählt das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR aus, welche schutzbedürftigen Personen infrage kommen.

Bildrechte: dpa-Bildfunk/Martin Schutt
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

"Der Arbeitskräfte- und Azubimangel ist derzeit eins der größten Probleme der bayerischen Wirtschaft", sagt die IHK.

Zuwanderung für offene Ausbildungsstellen

Die Behauptung:

Katharina Schulze, Grüne: "Ohne Zuwanderung lassen sich die 18.000 offenen Ausbildungsstellen nicht mehr besetzen!"

Der Kontext:

In einem Artikel des Münchner Merkur vom Dezember 2022 werden die Forderungen der bayerischen Grünen für den Arbeitsmarkt thematisiert. Der Merkur zitiert Schulze in Bezug auf die offenen Ausbildungsstellen mit dem oben beschriebenen Zitat.

Richtig oder falsch?

Die Aussage von Katharina Schulze ist in Teilen richtig, aber verkürzt, weil sie andere Maßnahmen außen vor lässt. Um die offenen Ausbildungsstellen besetzen zu können, ist Zuwanderung eine von mehreren Möglichkeiten, sagen Experten und Industrie- und Handelskammern.

Die Fakten:

Der #Faktenfuchs hat alle bayerischen IHK-Standorte angeschrieben, um zu erfahren, wie Unternehmen und Betriebe in den Regionen Bayerns die Lage einschätzen. Die Pressesprecherin der Münchner IHK antwortete: "Der Arbeitskräfte- und Azubimangel ist derzeit eins der größten Probleme der bayerischen Wirtschaft." Aus Sicht der bayerischen IHK "ist mehr Zuwanderung eine wichtige von verschiedenen Möglichkeiten, das Arbeitskräfteproblem zu lindern. Die IHKs in Bayern hätten sich deswegen im Zuge der Neufassung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes unter anderem für "einfachere Lösungen" eingesetzt, damit Menschen aus dem (Nicht-EU-)Ausland für eine Ausbildung nach Deutschland kommen können.

Laut IHK Niederbayern ist der Regierungsbezirk "vom Arbeitskräftemangel besonders betroffen". Immer mehr Betriebe versuchten, auch aus dem Ausland Fachkräfte zu gewinnen, stünden aber vor hohen bürokratischen und rechtlichen Hürden. Das kürzlich beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei ein "Schritt in die richtige Richtung" und müsse durch den "Aufbau einer echten Willkommenskultur sowie mehr Unterstützung für die Zuwanderer, etwa beim Spracherwerb" begleitet werden.

Bei der IHK Schwaben werden Geflüchtete und Migranten als "wichtiger Baustein zur Besetzung der offenen Stellen in der beruflichen Ausbildung" gesehen. Das geht aus deren Antwort an den #Faktenfuchs hervor.

Dennoch ist Zuwanderung laut den IHKs nicht die alleinige Lösung für das Fachkräfteproblem. Man benötige ebenso Anreize, um ältere Mitarbeiter in Arbeit zu halten, einen Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für Pflegebedürftige, damit die Angehörigen arbeiten könnten und die verstärkte Aktivierung von Langzeitarbeitslosen.

Die Einschätzung bekräftigen auch die im September vom #Faktenfuchs befragten Experten zum Thema Fachkräftemangel. Sie sagten übereinstimmend: Eine Mischung aus vielen Maßnahmen könnte das Fachkräfteproblem lösen. Als wichtigste Maßnahmen wurden neben der Zuwanderung genannt: Arbeitslose in Arbeit bringen, die Frauenerwerbsquote erhöhen und die Lebensarbeitszeit erhöhen.

Katharina Schulze sprach von "18.000 offenen Ausbildungsstellen" in Bayern. Tatsächlich handelt es sich um 18.483 offene Ausbildungsstellen, die im Berichtsjahr 2021/2022 in Bayern unbesetzt gewesen sind. Das geht aus den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit hervor. Aktuelle Zahlen für das Berichtsjahr 2022/2023 sollen im November vorgestellt werden.

Bildrechte: picture alliance / Westend61 | Eva Blanco
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Es gibt keine amtlichen Statistiken über das Qualifikationsniveau von deutschen Auswanderern.

Hochqualifizierte, die nach Deutschland ein- und auswandern

Die Behauptung:

Hubert Aiwanger, Freie Wähler: "Es verlassen jedes Jahr mehr Hochqualifizierte unser Land, als neu hinzukommen."

Der Kontext:

In einem Artikel des Tagesspiegel vom Juli 2023 wird über Hubert Aiwangers Kritik an der Bundesregierung berichtet. Aiwanger wird darin in Bezug auf die Zuwanderung und die Fachkräfteproblematik mit der oben genannten Aussage zitiert.

Richtig oder falsch?

Die Aussage von Hubert Aiwanger ist nicht überprüfbar, weil es keine amtlichen Statistiken dazu gibt.

Die Fakten:

Die Wanderungsstatistik des Statistischen Bundesamtes (Destatis) bildet alle gemeldeten An- und Abmeldungen bei den Meldebehörden ab, die an das Bundesamt gemeldet wurden. "Allerdings liegen in den Melderegistern keine Informationen über den allgemeinen Schulabschluss oder den beruflichen Abschluss vor, um eine Einschätzung über das Qualifikationsniveau treffen zu können", teilt eine Mitarbeiterin vom Destatis-Fachbereich "Räumliche Bevölkerungsbewegungen und Gebietsgliederungen" dem #Faktenfuchs auf Anfrage mit.

Die von Aiwanger getroffene Aussage könne das Bundesamt daher "aufgrund nicht vorhandener Erhebungsmerkmale der deutschen Amtlichen Statistik weder bestätigen noch widerlegen", so die Destatis-Mitarbeiterin weiter. Zwar könne man anhand des Mikrozensus Aussagen über das Qualifikationsniveau von zugewanderten Personen treffen. Allerdings sei eine Gegenüberstellung dieser Zahlen mit den Erhebungen zu Ausgewanderten nicht möglich, da diese Personengruppe nicht befragt werde.

Das unterstreicht auch Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Weil das Gebiet sehr wenig erforscht sei, plane das IAB im kommenden Jahr aber eine "repräsentative Längschnittsbefragung" dazu, teilte Kosyakova dem #Faktenfuchs mit.

Nils Witte vom Forschungsbereich Migration und Mobilität beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) ergänzt, dass man anhand der Studie zur Deutschen Auswanderungs- und Rückwanderung (GERPS) allerdings sagen könne, dass Deutsche Auswanderer im Vergleich zu in Deutschland lebenden Deutschen überdurchschnittlich qualifiziert sind. Ein Großteil der ausgewanderten Deutschen kehrt den Angaben zufolge allerdings nach einigen Jahren wieder zurück.

Bildrechte: dpa-Bildfunk/Daniel Maurer
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Im Jahr 2022 schob der Freistaat 2.046 vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer aus Bayern ab. 4.251 Abschiebungen hingegen scheiterten.

Gescheiterte Rückführungen in Bayern

Die Behauptung:

AfD: "Allein in Bayern sind 2022 sage und schreibe 67,5 Prozent aller versuchten Rückführungen gescheitert."

Der Kontext:

Der Südkurier hat allen zur Landtagswahl in Bayern zugelassenen Parteien zehn wichtige Fragen zu ihrem Wahlprogramm zugeschickt. In dem Artikel mit den Antworten der AfD fiel die obige Behauptung.

Richtig oder falsch?

Die Zahl, die die AfD nennt, ist richtig.

Die Fakten:

Aus einer Antwort des Bayerischen Landtags auf eine Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Martin Böhm geht hervor: Im Jahr 2022 schob der Freistaat 2.046 vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer aus Bayern ab. 4.251 Abschiebungen hingegen scheiterten.

Zählt man die beiden Zahlen zusammen (6.297 "versuchte Rückführungen"), machen die gescheiterten Rückführungen 67,5 Prozent davon aus.

Der #Faktenfuchs hat beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen nachgefragt, woran es liegt, dass rund zwei Drittel der versuchten Abschiebungen scheitern. Die Antwort der Landesregierung listet vier verschiedene Kategorien auf: medizinische, rechtliche und "tatsächliche Gründe" und die Tatsache, dass der Aufenthaltsort unbekannt sei. Der bei weitem größte Teil der Abschiebungen – nämlich rund 86 Prozent – scheiterte aus "tatsächlichen Gründen" oder weil der Aufenthalt unbekannt war.

Der #Faktenfuchs hat beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR), beim Bayerischen Flüchtlingsrat und beim Mediendienst Integration nachgefragt, was diese Klassifizierungen in der Praxis bedeuten:

"Tatsächliche Gründe", so ein Mitarbeiter des LfAR, lägen dann vor, wenn eine Abschiebung praktisch in diesem Moment nicht durchführbar ist: etwa, weil ein Ausreisepflichtiger Widerstand leistet, weil Dokumente fehlen oder sie nicht mehr gültig sind. Solange noch Corona-Maßnahmen in Kraft waren, konnten auch diese ein Grund sein, warum jemand nicht abgeschoben werden konnte. Aber sie ist auch dann in dem Moment nicht durchführbar, wenn zum Beispiel eine Familie abgeschoben werden soll, ein Familienangehöriger nicht anzutreffen ist und deshalb der Rest der Familie nicht abgeschoben werden kann, weil eine Familie nicht im Rahmen einer Abschiebung getrennt werden darf.

Ein "unbekannter Aufenthalt" wird als Grund angegeben, wenn die Person nicht anzutreffen ist. Da Abschiebungen in der Regel nicht vorher angekündigt werden, kann das in der Praxis vorkommen.

Medizinische und rechtliche Gründe sind deutlich seltener, sie machen zusammen etwa 14 Prozent der Gründe für gescheiterte Abschiebungen aus. Werden medizinische Gründe für das Scheitern einer Abschiebung genannt, das erklärt das LfAR dem #Faktenfuchs, könne jemand nicht abgeschoben werden, weil er flugunfähig ist. In diesen Fällen muss der Abschiebeversuch später wiederholt werden.

Rechtliche Gründe spielen meist dann eine Rolle, wenn quasi "in letzter Minute" – etwa während die Person in Abschiebehaft ist – von den Betroffenen selbst oder Unterstützern noch Wege gefunden werden, die Abschiebung zu verhindern: etwa, weil aus dem Umfeld heraus eine Petition gestartet wird oder sich Unterstützer an die Bayerische Härtefallkommission wenden. Über sie könne "bei besonderen Einzelschicksalen und in humanitären Ausnahmefällen" eine Aufenthaltserlaubnis erwirkt werden, wenn das Aufenthaltsgesetz sonst keine angemessene Lösung bereithält, schreibt das bayerische Innenministerium auf seiner Webseite. "Voraussetzung sind in der Regel ein langjähriger Aufenthalt, gute Integration und die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts. Häufig geht es um Familien mit Kindern, die hier geboren oder aufgewachsen und zur Schule gegangen sind", heißt es auf der Webseite.

Im Video: Unzufriedenheit der Deutschen mit der Migrationspolitik

Laut ARD-Deutschlandtrend sind viele Deutsche unzufrieden mit der Migrationspolitik.
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Laut ARD-Deutschlandtrend sind viele Deutsche unzufrieden mit der Migrationspolitik.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!