Archivbild: Hubert Aiwanger und Markus Söder
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Söder bestellt Aiwanger ein: Sonder-Koalitionsausschuss

Nach Vorwürfen gegen Hubert Aiwanger wegen eines antisemitischen Flugblatts hat Ministerpräsident Söder die Freien Wähler für Dienstag zu einer Sondersitzung einbestellt: Der Minister soll sich erklären. Bei einem Termin in Franken schweigt Aiwanger.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gibt sich mit der schriftlichen Erklärung seines Stellvertreters Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zu einem 35 Jahre alten antisemitischen Flugblatt nicht zufrieden. Für Dienstagvormittag hat Söder deshalb die Freien Wähler zu einem Sonder-Koalitionsausschuss einbestellt, wie Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) mitteilte.

"Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen", betonte Herrmann. Diese könne nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten. "Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht." Die Vorwürfe seien zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußere und entscheidende Fragen unbeantwortet lasse. Er müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus persönlich und umfassend erklären. "Es geht um das Ansehen Bayerns."

Aiwanger lässt Fragen unbeantwortet

Aiwanger selbst wollte sich am Mittag am Rande der Michaelismesse im unterfränkischen Miltenberg nicht näher zu der Debatte äußern. "Das ist jetzt nicht die aktuellste Thematik", sagte er den wartenden Journalisten. Auf die Frage, ob er damals das Flugblatt verteilt habe, entgegnete er: "Nächste Frage." Er sage zu der gesamten Thematik "derzeit nichts mehr".

Freie-Wähler-Politiker stellten sich hinter Aiwanger. Der parlamentarische Geschäftsführer der FW-Landtagsfraktion, Fabian Mehring, beklagte ein absurdes "Kesseltreiben" gegen Aiwanger wegen "der pubertären Dummheiten seines Bruders vor 35 Jahren". Der ehemalige Freie-Wähler-Chef Armin Grein sagte dem BR, Aiwanger habe sich nie antisemitisch geäußert. Er zeigte sich überzeugt, dass Aiwanger Minister bleibt. Söder könne ihn jetzt nicht entlassen, "weil sonst seine ganze Regierung zusammenbricht".

Antisemitismusbeauftragter: "Es gibt weitere Fragen"

Auch weitere CSU-Politiker sehen allerdings noch Klärungsbedarf. Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) betonte: "Es gibt hier sicher weitere Fragen. So etwa: Wer hat das Flugblatt verteilt? Die weitere Klärung bietet hier Raum."

Landtagsvizepräsident Karl Freller (CSU) sagte dem Deutschlandfunk, es seien noch viele Fragen offen - auch bei der Urheberschaft, zu der sich Aiwangers älterer Bruder bekannt hat. Warum stehe im letzten Satz des Flugblatts dann "wir"? "Wieweit haben die Brüder miteinander kommuniziert? Kann das ausschließlich ein Schüler allein verfasst haben?" Außerdem ist nach Meinung Frellers das "Verteilen" eines solchen Flugblatts "nahe am Verfassen". Dieses Pamphlet sei "so unsäglich und widerwärtig", dass man nicht von einem dummen Jugendstreich sprechen könne.

Freller verlangt, die offenen Fragen restlos zu klären. Dabei gehe es keineswegs um eine "billige Wahlkampftaktik", denn das Papier gebe es wirklich und sei mit dem Namen Aiwanger in Verbindung gebracht worden. "Also braucht es Aufklärung vor der Wahl und nicht danach." In Bayern wird im Oktober ein neuer Landtag gewählt.

Die Vorwürfe gegen Aiwanger

Im Schuljahr 1987/88 war an Aiwangers Schule, dem Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg, ein antisemitisches Flugblatt aufgetaucht. Es liegt dem BR vor. Darin ist vom "Vergnügungsviertel Auschwitz" die Rede, es geht um einen fiktiven "Bundeswettbewerb" mit dem Titel "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" Als erster Preis wird "ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" genannt, vierter Preis ist ein "einjähriger Aufenthalt in Dachau".

Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtete am Freitag, dass Aiwanger als Elftklässler damals wegen des Flugblattes vom Disziplinarausschuss der Schule zur Verantwortung gezogen worden sei. Er habe als Strafe ein Referat über das "Dritte Reich" halten sollen. Aiwanger räumte am Samstag ein, dass in seiner Schultasche damals ein oder wenige Exemplare des Papiers gefunden worden seien. "Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt." Unter Druck habe er akzeptiert, ein Referat zu halten. Ob er einzelne Exemplare weitergegeben habe, sei ihm "heute nicht mehr erinnerlich". Verfasst habe er das Papier aber nicht. Der Urheber sei ihm zwar bekannt. "Weder damals noch heute war und ist es meine Art, andere Menschen zu verpfeifen.“

Kurz darauf überraschte Aiwangers älterer Bruder Helmut im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern mit der Aussage, Urheber des 35 Jahre alten Schreibens zu sein: "Ich bin der Verfasser dieses in der Presse wiedergegebenen Flugblatts." Heute dann versuchte Helmut Aiwanger auch noch den Vorwurf zu entkräften, sein Bruder habe das Papier verteilt: "Ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren", sagte er der Mediengruppe Bayern.

Grüne attackieren Aiwanger

Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann kritisierte Hubert Aiwangers Erklärung scharf: "Wer an 'Verpfeifen' denkt, statt Zivilcourage zu zeigen, Mut zu beweisen und den Mund aufzumachen, wenn die Würde der Opfer des Naziregimes mit Füßen getreten wird und das Grauen verharmlost, der darf nicht länger mitbestimmen, wie wir in Bayern leben", schrieb er im Kurznachrichtendienst X (früher Twitter). Dem BR sagte Hartmann, Aiwanger als Person sei "nicht mehr tragbar". Söder müsse jetzt "Klartext" reden.

Co-Fraktionschefin Katharina Schulze betonte, es sei jetzt die Pflicht des Ministerpräsidenten, weiteren Schaden vom Freistaat abzuwenden. "Allein der Anschein von Antisemitismus in der bayerischen Staatsregierung schadet dem Ansehen Bayerns in der Welt." Söder müsse sich erklären und sagen, ob er sich weiter eine Zusammenarbeit mit Aiwanger vorstellen kann. "Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger warten auf diese Antwort."

SPD begrüße Söders Ankündigung

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn begrüßte die Einberufung des Koalitionsausschusses: "Ich danke dem Ministerpräsidenten, dass er unserem Wunsch nach einer Sondersitzung folgt, auch wenn diese zunächst nur im Koalitionsausschuss stattfindet." Bayern dürfe keinen Tag länger "mit diesem menschenverachtenden Flugblatt in Zusammenhang gebracht werden".

Kanzler Scholz fordert sofortige Aufklärung

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mahnte eine Klärung der Vorwürfe gegen Aiwanger an. Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner sagte in Berlin, nach Ansicht des Kanzlers müsse "alles umfassend und sofort aufgeklärt werden, und es müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben". Das Flugblatt sei ein "wirklich furchtbares, menschenverachtendes Machwerk".

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