Archivbild: Hubert Aiwanger
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"Schlimme Vorwürfe": Söder verlangt von Aiwanger Aufklärung

Hat Hubert Aiwanger als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst? Ministerpräsident Söder fordert von seinem Vize öffentliche Aufklärung. Grüne und SPD verlangen den Rücktritt des Ministers - für den Fall, dass sich die Anschuldigung bestätigt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Hinweis: Dieser Artikel ist nicht mehr aktuell. Hubert Aiwanger hat sich mittlerweile zu den Vorwürfen geäußert. Den neuen Bericht finden sie hier.

Nach Berichten über ein antisemitisches Flugblatt, das Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) als Schüler verfasst haben soll, mahnt Ministerpräsident Markus Söder Aufklärung an. "Da sind schlimme Vorwürfe im Raum", sagte der CSU-Chef am Rande eines Volksfestbesuchs in Augsburg. "Dieses Flugblatt ist menschenverachtend und geradezu eklig."

Die Vorwürfe müssten jetzt ausgeräumt werden - "und zwar vollständig". Die zentrale Forderung an Aiwanger laute, "die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären". Bisher stand der CSU-Chef öffentlich fest zu den Freien Wählern, auch nach der Landtagswahl im Oktober will er weiter mit Aiwangers Partei koalieren.

Auch der Beauftragte der Staatsregierung gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle, hält "eine umfassende Klärung dieses Vorgangs" für zwingend geboten. Die Vorwürfe seien "sehr gravierend", sagt der CSU-Politiker. Die Formulierungen im Flugblatt seien "Hardcore-Antisemitismus".

Grüne: "Das Gedankengut ist menschenverachtend"

Auch die Opposition pocht auf eine rasche Aufklärung. Das Flugblatt verhöhne die Opfer des Holocausts, beklagt die bayerische Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze. "Das Gedankengut ist menschenverachtend."

Der Autor zeige "seinen Antisemitismus klar und deutlich", so die Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in einer Pressemitteilung. Sollten sich die Vorwürfe gegen den Freie-Wähler-Chef bewahrheiten, müsse Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinen Wirtschaftsminister Aiwanger entlassen.

SPD: Sondersitzung des Landtags

Einen Schritt weiter geht SPD-Fraktionschef Florian von Brunn: Es sei "unvorstellbar, dass ein Verfasser derartiger Zeilen im Bayerischen Landtag sitzt oder auch nur einen Tag länger ein öffentliches Amt in unserem Land bekleidet". Der Sozialdemokrat kündigte an, seine Fraktion werde eine Sondersitzung des Landtags beantragen.

Eigentlich soll das Plenum erst wieder nach der Landtagswahl im Oktober zusammenkommen. Laut Bayerischer Verfassung kann aber ein Drittel der Landtagsmitglieder eine Sondersitzung erzwingen. Somit müssten 69 der 205 Abgeordneten eine Einberufung des Parlaments fordern - die Fraktionen von Grünen, SPD und FDP kommen zusammen auf 71. Grüne und FDP wollen sich noch nicht auf ihr weiteres Vorgehen festlegen. Bei der Grünen-Fraktion heißt es, man prüfe die Optionen. FDP-Fraktionschef Martin Hagen vermutet aber, dass die Sondersitzung "notwendig werden" wird.

FDP: Aiwanger muss sich "dringend" erklären

Hagen bezeichnete den Inhalt des Flugblatts als "schockierend": "Ich war fassungslos, als ich das gelesen habe." Antisemitismus und rechtsextremes Gedankengut hätten in Bayern keinen Platz. Aiwanger müsse sich jetzt "ganz dringend" persönlich erklären und die Frage beantworten, "ober er der Urheber dieses Pamphletes ist".

Dann müsse die CSU klären, wie sie damit umgehe: "Eine Regierung, die durch eine solche Affäre belastet würde, wäre natürlich ein Problem für den Freistaat Bayern." Bisher seien es aber nur Vorwürfe. "Der Ball liegt jetzt bei Hubert Aiwanger."

AfD: "Äußerungen untragbar"

Nach Meinung des parlamentarischen Geschäftsführers der AfD-Landtagsfraktion, Andreas Winhart, würde eine Sondersitzung des Plenums nur Sinn machen, wenn ein neuer stellvertretender Ministerpräsident gewählt werden würde. "Ansonsten fordern wir den sofortigen Rücktritt von Hubert Aiwanger, dessen Äußerungen untragbar sind", teilt Winhart auf BR-Anfrage mit. Jede andere Lösung halte die AfD-Fraktion "für inakzeptabel".

Die Verfassung des Freistaats legt fest, dass der Ministerpräsident seine Kabinettsmitglieder "mit Zustimmung des Landtags" beruft und entlässt. Seinen Stellvertreter bestimmt er aus dem Kreis der Minister, auch hier braucht er das Ja des Landtagsplenums.

"Vergnügungsviertel Auschwitz"

Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) soll Aiwanger als Schüler des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg im niederbayerischen Landkreis Straubing-Bogen eine antisemitische Hetzschrift verfasst haben. Darin ist vom "Vergnügungsviertel Auschwitz" die Rede, es geht um einen fiktiven "Bundeswettbewerb": "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" Als erster Preis wird "ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz genannt", vierter Preis ist ein "einjähriger Aufenthalt in Dachau".

Die Schrift tauchte im Schuljahr 1987/88 in der Schultoilette auf. Verfasst wurde sie offenbar anlässlich des "Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten", an dem das Burkhart-Gymnasium teilnahm. Wichtig ist, dass das Flugblatt nicht zu dem Wettbewerb eingereicht wurde, sondern ihn verspottete. Geschrieben wurde das Flugblatt mit einer Schreibmaschine. In einer später preisgekrönten Schülerarbeit wurde es seinerzeit kritisch thematisiert. Das Flugblatt liegt dem BR vor.

Schüler Aiwanger vor Disziplinarausschuss?

Die "SZ" beruft sich bei ihrem Bericht auf Gespräche mit "mehreren" Personen. Demnach wurde der Elftklässler Aiwanger damals wegen des Flugblattes vom Disziplinarausschuss der Schule zur Verantwortung gezogen. Er habe als Strafe ein Referat über das "Dritte Reich" halten sollen. Ob er das tat, ist nicht bekannt.

Aiwanger: "Schmutzkampagne"

Vize-Ministerpräsident Aiwanger bestreitet den Vorwurf: Er habe "so etwas nicht produziert", es handele sich um eine "Schmutzkampagne", zitiert die "SZ" einen Sprecher des Freie-Wähler-Chefs. Dem BR teilte der Sprecher mit, "vorerst" kommentiere Aiwanger "diesen Vorgang nicht".

Auch andere Politiker der Freien Wähler hielten sich nach der Veröffentlichung zunächst bedeckt und äußerten sich nicht zu den Vorwürfen. Am Samstagvormittag gab es nach BR-Informationen eine Krisen-Schalte der Partei.

Rüge für Erdinger Rede

Als Aiwanger wegen seiner Rede in Erding im Juni in die Kritik geraten war, rügte Söder seinen Partner in der Sache zwar deutlich, aber zugleich indirekt. Seine Koalitionszusage stellte er nicht infrage. Damals hatte Aiwanger bei einer Demonstration gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung gerufen, die "schweigende Mehrheit" müsse sich "die Demokratie wieder zurückholen".

Die neuen Vorwürfe haben indes eine andere Dimension. Offen ist auch, wie sich die Freien Wähler zu ihrem Vorsitzenden positionieren. Sie stehen vor einer ähnlichen Situation wie Söder: Forderungen oder Konsequenzen auf Grundlage eines nicht eindeutig bewiesenen Vorwurfs bergen das Risiko, sich als voreilig zu entpuppen.

Geplant war gestern noch, dass der Wirtschaftsminister heute beim Augsburger Plärrer und später beim Herbstfest in Rosenheim öffentlich auftritt. Seine Teilnahme beim Termin in Augsburg hat Aiwanger nach Angabe der Festleitung aber abgesagt.

Mehrere Bundespolitiker schalten sich ein

Mittlerweile mehren sich auch Reaktionen aus der Bundespolitik. Der Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, Felix Klein, betont in der "Bild"-Zeitung: "Sollten die Vorwürfe zutreffen, ist Herr Aiwanger aus meiner Sicht als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und anderer Ämter untragbar." SPD-Bundeschef Lars Klingbeil sagte auf einem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen SPD in Münster: "Solche Leute gehören nicht in Verantwortung in diesem Land."

CDU-Vize Karin Prien schreibt im Kurznachrichtendienst X (früher Twitter), die Veröffentlichung der Anschuldigungen gegen Aiwanger sei "brisant" sechs Wochen vor der Landtagswahl. "Für Aiwanger gilt die Unschuldsvermutung und die 'SZ' tut gut daran, die Regeln über die Verdachtsberichterstattung penibel einzuhalten." Es komme jetzt entscheidend darauf an, "ob die Anschuldigungen den Tatsachen entsprechen und belegbar sind". Sollte Aiwanger an dem "widerlich antisemitischen" Pamphlet beteiligt gewesen sein, "dann ist er politisch nur noch zu retten, wenn er unverzüglich und überzeugend sein damaliges Verhalten erklärt, heute ehrliche Einsicht und Reue zeigt".

Ministerpräsident Söder nimmt in Augsburg Stellung zu den Vorwürfen gegen Aiwanger
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Ministerpräsident Söder nimmt in Augsburg Stellung zu den Vorwürfen gegen Aiwanger

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