Die beteiligten Minister vor der Bundespressekonferenz
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Kindergrundsicherung: Worauf sich die Ampel geeinigt hat

Die Ampel-Koalition hat sich nach langem Streit auf Eckpunkte zur Kindergrundsicherung mit Mehrkosten von 2,4 Milliarden Euro geeinigt. Am Morgen erläuterten die beteiligten Minister das Konzept und setzten dabei durchaus unterschiedliche Akzente.

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Nach monatelangem Streit hat die Ampel-Regierung eine Einigung zur Kindergrundsicherung erzielt. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vereinbarten bei einem Spitzentreffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach stundenlangen Verhandlungen am Sonntagabend Eckpunkte für die neue Familienleistung.

Nun geht das Projekt zunächst in die Verbändeanhörung, bei der ersten Kabinettssitzung im September, die Mitte des Monats stattfinden dürfte, soll die Bundesregierung laut Paus darüber abstimmen, bevor sich dann der Bundestag damit befasst.

Paus: "Paradigmenwechsel im Kampf gegen Kinderarmut"

Vor der Bundespressekonferenz erläuterten Familienministerin, Finanzminister und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Vormittag die Einigung.

Die "Kindergrundsicherung kommt" verkündete Paus, es sei die umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren. Alle Leistungen für Kinder würden nun zusammengefasst und seien für 5,6 Millionen Familien und ihre Kinder nun leichter zugänglich, die Antragsverfahren einfacher und "nutzerfreundlich". Die Verhandlungen in der Koalition seien "wirklich sehr hart" gewesen, "um in der Sache zu einem guten Ergebnis kommen - aber es hat sich gelohnt."

Die Kindergrundsicherung sei "ein Chancenprojekt" für von Armut betroffene Kinder, so Paus. Zunächst seien als Mehrkosten 2,4 Milliarden Euro veranschlagt, diese würden aber steigen, "sobald sich das Existenzminimum erhöht". Vor dem Hintergrund der sich eintrübenden wirtschaftlichen Situation sei sie mit dem Ergebnis "zufrieden". Paus hatte in der Debatte für die Grundsicherung zunächst zwölf Milliarden Euro veranschlagt, Lindner hatte von zwei Milliarden gesprochen.

Lindner: "Anreize zur Erwerbstätigkeit erhalten"

"Ich bin auch zufrieden", erklärte Lindner, dessen Vorstellungen an Zahlen gemessen die Einigung eher zu entsprechen scheint. Die Gespräche seien "intensiv", durchaus "kontrovers", aber auch "konstruktiv" gewesen - und es werde damit ein Teil des Koalitionsvertrags umgesetzt. Dafür zu sorgen, dass Menschen ihnen zustehende Leistungen tatsächlich in Anspruch nehmen können, sei ein Auftrag von Sozialpolitik.

Wichtig sei jedoch, "Anreize zur Erwerbstätigkeit zu erhalten". Soziale Absicherung dürfe keine Anreize setzen, "sich nicht sich um Erwerbsarbeit, um Integration und Sprachkenntnisse zu bemühen", so Lindner. "Denn der Grund für Kinderarmut ist ja oft die Armut an Arbeit, an Integration, an Sprachkenntnissen der Eltern", sagte er. Daher sei es wichtig, dass die Leistungen für Personen, die nicht erwerbstätig sind, insgesamt nicht erhöht würden - abgesehen von Ausnahmen bei Alleinerziehenden. Insgesamt schaffe die neue Regelung eine zusätzliche Motivation zur Aufnahme einer Arbeit. Er hoffe, dass diese "verschärften Erwerbsanreize" dazu führen, dass weniger Menschen die Grundsicherung in Anspruch nehmen.

Die Kindergrundsicherung, so mahnte Lindner, werde auf Jahre hinaus "die letzte größere Sozialreform" sein, die "noch in den Haushaltsrahmen des Bundes passt". Es gehe um ein "außerordentlich anspruchsvolles Vorhaben", das 2025 rund 400 Millionen Euro mehr kosten werde als bisher geplant. "Das erhöht den Handlungsbedarf, den wir im Haushalt 2025 haben werden, weiter", sagte der FDP-Politiker.

Heil: "Wir können auf niemanden verzichten"

Arbeitsminister Heil erklärte, es gehe darum, dass "jedes Kind sein Talent entfalten kann", der deutsche Arbeitsmarkt könne "auf niemanden verzichten". Dafür würden mit der Kindergrundsicherung "die richtigen Weichen gestellt". Mit der Grundsicherung würden die realen Bedürfnisse der Anspruchsberechtigten besser berücksichtigt, noch nie habe "eine Bundesregierung so viel mobilisiert", um Bedürftigen zu helfen.

"Unserer Gesellschaft muss die Zukunft von Kindern am Herzen liegen", sagte Heil. Die Qualität des Sozialstaats bemesse sich aber nicht allein daran, wieviel Sozialtransfer stattfinde, es gehe auch um Bildungschancen und darum, das Leben "offen zu gestalten", die Grundsicherung werde dazu beitragen.

Kindergrundsicherung: Garantiebetrag plus Zuschlag

In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen zusammengefasst, vereinfacht und automatisch ausgezahlt werden. Dazu zählen das Kindergeld, der Kinderzuschlag für Familien mit niedrigen Einkünften, die Sozialhilfe für Kinder sowie Unterstützungen für Schulsachen und Freizeit.

Die Kindergrundsicherung soll so funktionieren: Ein Garantiebetrag - das bisherige Kindergeld - soll für alle Familien einkommensunabhängig gezahlt werden. Volljährige Kinder könnten den Garantiebetrag selbst erhalten. Darüber hinaus soll es nach Alter der Kinder und Einkommen der Eltern gestaffelte Zusatzbeiträge geben, die je nach Bedarf ermittelt werden. Davon könnten besonders auch Alleinerziehende und Familien, die Bürgergeld beziehen, profitieren.

Damit werde der Bedarf für Kinder an die aktuelle Lebenswirklichkeit angepasst, heißt es im Einigungspapier. Dafür soll auch noch einmal genau ermittelt werden, wie viel Grundbedarf ein Kind hat. Dazu soll das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum neu bemessen werden, das ausschlaggebend ist für die Höhe des Bürgergeldes. In der Folge werden sich die Regelbedarfe im Kinderzusatzbetrag erhöhen.

Grüne sehen "großen, bedeutsamen Schritt"

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem "wichtigen Tag für Kinderrechte". Mit der Vereinbarung gebe es "den so wichtigen Systemwechsel" bei der Unterstützung und den Teilhabemöglichkeiten von Kindern. "Kein Kind wird in Zukunft mehr als Bittsteller behandelt", betonte die Grünen-Politikerin. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nannte die Einigung einen "großen, bedeutsamen Schritt". Sie vollziehe einen Systemwechsel und werde "vielen Kindern aus der Armutsfalle helfen".

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sönke Rix erwartet im Zuge der Einführung der Kindergrundsicherung finanzielle Verbesserungen für Familien: "Wichtig ist, dass verabredet worden ist, dass das Existenzminimum neu berechnet wird. Das ist eine Grundlage für eine tatsächliche Verbesserung", sagte er.

Kinderschützer: "Nicht der große Wurf"

Kinderschutzorganisationen zeigten sich hingegen unzufrieden mit der Einigung der Ampel-Koalition. Sie sei "enttäuschend. Das ist keine Kindergrundsicherung“, kommentierte die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen. Zwar sei zu begrüßen, dass künftig der Anspruch für den Kinderzuschlag für erwerbstätige Eltern automatisiert geprüft werde. Darüber hinaus sei "das Konzept aber mutlos und schafft nicht den erhofften Beitrag zu Bekämpfung der Kinderarmut", erklärte Andresen.

Auch das Deutsche Kinderhilfswerk befand, dass die Einigung hinter den Erwartungen zurückbleibe. Zwar gehe es endlich einen Schritt vorwärts mit der Einigung, sagte der Präsident der Organisation, Thomas Krüger. "Die Kindergrundsicherung ist aber nach jetzigem Planungsstand nicht der erhoffte große Wurf, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitigt", urteilte Krüger.

Scharf: "Nach eineinhalb Jahren liegen wieder nur Eckpunkte vor"

Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf hatte schon Ende Mai als einzige von 16 Landesfamilienministerinnen und -ministern gegen die Idee einer Kindergrundsicherung gestimmt. Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk kritisierte die CSU-Politikerin nun, die Debatte um die Grundsicherung hätte zu lange gedauert und für viel Unsicherheit bei den Familien, gesorgt, die diese Grundsicherung brauchen. „Das Ergebnis ist, dass wir immer noch keine Entscheidung haben. Nach eineinhalb Jahren liegen uns wieder nur Eckpunkte vor und die hatten wir vor Weihnachten schon.“

Einigung kurz vor Kabinettsklausur

Paus und Lindner stritten seit Monaten über die Höhe der Mittel für die Kindergrundsicherung, die ab 2025 wesentliche familienpolitische Leistungen bündeln und so leichter zugänglich machen soll. Die Familienministerin hielt dabei mit Blick auf Kinder aus armen und einkommensschwachen Familien deutlich höhere Beträge für notwendig, als der Finanzminister bereitstellen wollte.

In dem Konflikt hatte Paus dann Mitte August die Verabschiedung des Gesetzentwurfs für das Wachstumschancengesetz im Bundeskabinett blockiert. Die Vorlage Lindners sollte Steuererleichterungen für Unternehmen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro ermöglichen. Erklärtes Ziel der Bundesregierung war es nach dem Eklat, den Streit um die Kindergrundsicherung bis zum Beginn der Kabinettsklausur ab Dienstag auf Schloss Meseberg auszuräumen, damit das Wachstumsgesetz dort verabschiedet werden kann.

Im Video: Ampel einig bei Kindergrundsicherung

Die Ampel-Koalition hat sich darauf geeinigt, zunächst 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung zur Verfügung zu stellen,
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Die Ampel-Koalition hat sich darauf geeinigt, zunächst 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung zur Verfügung zu stellen,

Mit Material des ARD-Hauptstadtstudios und der Agenturen AFP, dpa und Reuters

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