BR24live am 27.08.23 zur Aufregung um Hubert Aiwanger und ein antisemitisches Flugblatt
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BR24live am 27.08.23 zur Aufregung um Hubert Aiwanger und ein antisemitisches Flugblatt

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Aiwangers Bruder über Flugblatt: "Ich bin der Verfasser"

Erst weist Bayerns Vize-Ministerpräsident Aiwanger die Vorwürfe gegen ihn zurück – dann meldet sich sein älterer Bruder zu Wort: Er selbst habe vor 35 Jahren das antisemitische Flugblatt verfasst. SPD-Chefin Esken fordert trotzdem Konsequenzen.

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Fast 24 Stunden nach der Veröffentlichung von Vorwürfen gegen Hubert Aiwanger hat der bayerische Vize-Ministerpräsident die Anschuldigung in einer schriftlichen Erklärung rundum zurückgewiesen. "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", teilte der Freie-Wähler-Chef am Samstagabend mit. Der Verfasser sei ihm bekannt, er werde sich selbst erklären, kündigte Aiwanger an. "Weder damals noch heute war und ist es meine Art, andere Menschen zu verpfeifen." Zuvor hatten Politiker mehrerer Parteien von Aiwanger öffentliche Aufklärung verlangt, unter ihnen auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Am Samstagabend dann überraschte Aiwangers älterer Bruder Helmut im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern mit der Aussage, Urheber des 35 Jahre alten Schreibens zu sein: "Ich bin der Verfasser dieses in der Presse wiedergegebenen Flugblatts." Vom Inhalt distanziere er sich in jeglicher Hinsicht. "Ich bedaure die Folgen der Aktion", sagte er. Beide Brüder hatten im Schuljahr 1987/88 die elfte Jahrgangsstufe des Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg in Niederbayern besucht.

Zu dem Schreiben sei es damals gekommen, nachdem er eine Jahrgangsstufe habe wiederholen müssen, schilderte Helmut Aiwanger der Mediengruppe Bayern. "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen bin und aus meinem Kameradenkreis herausgerissen wurde."

Bericht: Aiwanger soll Hetzschrift verfasst haben

Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) hatte am Freitag berichtet, dass Aiwanger als Schüler des Gymnasiums eine antisemitische Hetzschrift verfasst haben soll. Darin ist vom "Vergnügungsviertel Auschwitz" die Rede, es geht um einen fiktiven "Bundeswettbewerb" mit dem Titel "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" Als erster Preis wird "ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz genannt", vierter Preis ist ein "einjähriger Aufenthalt in Dachau".

Die Schrift tauchte im Schuljahr 1987/88 in der Schultoilette auf. Geschrieben wurde das Flugblatt mit einer Schreibmaschine. Es liegt dem BR vor. Die "SZ" beruft sich bei ihrem Bericht auf Gespräche mit "mehreren" Personen. Demnach wurde der Elftklässler Aiwanger damals wegen des Flugblattes vom Disziplinarausschuss der Schule zur Verantwortung gezogen. Er habe als Strafe ein Referat über das "Dritte Reich" halten sollen.

Aiwanger: "Distanziere mich vollends von dem Papier"

Aiwanger schildert nun, dass in seiner Schultasche damals ein oder wenige Exemplare des Papiers gefunden worden seien. "Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre." Als Ausweg sei ihm angeboten worden, ein Referat zu halten. "Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt." Ob er einzelne Exemplare weitergegeben habe, sei ihm "heute nicht mehr erinnerlich". Der Wirtschaftsminister betont: "Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier."

SPD-Fraktionschef Florian von Brunn gibt sich mit der Erklärung nicht zufrieden: "Für mich spielt es keine große Rolle, ob er es verfasst oder verteilt hat – es kommt auf den abscheulichen Inhalt an", sagte er.

Freie-Wähler-Fraktion stellt sich hinter Aiwanger

Die Freie-Wähler-Landtagsfraktion stellt sich dagegen hinter ihren Parteichef und Spitzenkandidaten für die Landtagswahl: "Hubert Aiwanger hat sich am Samstagnachmittag dem erweiterten Fraktionsvorstand gegenüber erklärt und den anwesenden Abgeordneten glaubhaft versichert, dass er nicht Verfasser des scheußlichen Pamphlets ist", teilten Fraktionschef Florian Streibl und der erweiterte Fraktionsvorstand mit. Zugleich habe er sich von den Inhalten des Dokuments sowie Antisemitismus jeglicher Ausprägung "maximal distanziert".

"Ich persönlich kenne Hubert Aiwanger seit vielen Jahren und habe von ihm – wie viele seiner Wegbegleiter – noch nie eine einzige antisemitische Äußerung gehört", stellte Streibl klar. Deshalb vertraue er seiner Versicherung und hoffe, "dass die wahren Hintergründe der Angelegenheit schnellstmöglich aufgeklärt werden". Der parlamentarische Geschäftsführer der FW-Fraktion, Fabian Mehring, sprach von einer "schmutzigen Kampagne" sechs Wochen vor wichtigen Wahlen gegen die Freien Wähler.

Auch die bayerische FW-Generalsekretärin Susann Enders spricht von einer "üblen, schlecht recherchierten Schmutzkampagne" gegen Aiwanger und ihre Partei. "Ein über 35 Jahre altes Dokument aus Jugendzeiten taucht zufällig sechs Wochen vor der Landtagswahl auf", sagte sie auf BR24-Anfrage. Es sei der verzweifelte Versuch, kurz vor der Wahl Aiwanger zu Fall zu bringen.

Söder: Vorwürfe müssen ausgeräumt werden

Spitzenpolitiker mehrerer Parteien hatten sich angesichts der Anschuldigung zuvor entsetzt gezeigt. "Da sind schlimme Vorwürfe im Raum", sagte CSU-Chef Söder am Rande eines Volksfestbesuchs in Augsburg. "Dieses Flugblatt ist menschenverachtend und geradezu eklig." Die Vorwürfe müssten jetzt ausgeräumt werden – "und zwar vollständig". Die zentrale Forderung an Aiwanger laute, "die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären". Auch die Opposition pochte auf eine rasche Aufklärung.

SPD-Chefin Esken fordert Konsequenzen

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte Konsequenzen. "Wenn die Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger zutreffen, muss Markus Söder umgehend Konsequenzen ziehen und seinen Stellvertreter entlassen", sagte Esken den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Selbst wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst habe, es aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, ließen die widerlichen und menschenverachtenden Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem Blatt zugrunde gelegen hätten. "Wer solche Gedanken denkt, aufschreibt und verbreitet, darf keine politische Verantwortung in Deutschland tragen", sagte Esken.

Schuster: "Auch heute nicht minder verwerflich"

Scharfe Kritik am Inhalt des Flugblatts kommt auch von Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Text sei "auch heute nicht minder verwerflich, da er die Millionen Opfer der Schoa auf abscheuliche Weise verunglimpft", betonte Schuster.

Inwiefern Hubert Aiwanger für die Verbreitung zumindest mitverantwortlich ist, werde zwar in Gänze nicht aufzuklären sein. Das Flugblatt dürfe aber "auch nicht einfach als Jugendsünde abgetan werden, da es die für unser Land so wichtige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus regelrecht mit Füßen tritt". Schuster erklärte: "Gerade weil diese Erinnerungskultur heute von rechts außen wieder radikal bekämpft wird, ist mir vor allem wichtig, dass der Inhalt des Flugblattes scharf verurteilt wird."

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