Lesesaal der juristischen Bibliothek im Rathaus München.
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Alte Bücher eine Gefahr? Lesesaal der juristischen Bibliothek im Rathaus München.

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Arsen in alten Büchern? "Viel Lärm um nichts!"

Die Bielefelder Uni-Bibliothek hat 60.000 alte Bücher für die Ausleihe gesperrt. Grund: Sie könnten Arsen enthalten. In bayerischen Bibliotheken kennt man die Problematik, sieht aber keinen Grund für ähnlich drastische Schritte.

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Sind alte Bücher eine Gefahr für Leser und Leserinnen? Im 19. Jahrhundert wurden bei der Herstellung von Büchern mitunter arsenhaltige Farben benutzt. Die Bibliothek der Universität Bielefeld hat deshalb 60.000 Bücher für die Ausleihe gesperrt. Sie sollen auf Arsenverbindungen untersucht werden.

An bayerischen Bibliotheken ist das Thema schon lange bekannt – wird aber nicht als große Gefahr eingestuft.

Uni Passau kennt das Problem

Zwar wurden in vergangenen Jahrhunderten Farben mit teilweise toxischen oder gesundheitsschädlichen Substanzen verwendet, erklärt Steffen Wawra, Direktor der Bibliothek der Universität Passau. So wurde im 19. Jahrhundert etwa das "Schweinfurter Grün", auch als "Pariser Grün" oder "Emerald Green" bekannt, industriell hergestellt und für Buchmaterialien eingesetzt. Es handele sich um ein intensiv grünes, lichtechtes Pigment, das aus einer Kupfer-Arsen-Verbindung und Essigsäure hergestellt wurde und auch in blauen Farben vorkommen kann, so Wawra. Eine tatsächliche Gefährdung für Leser und Leserinnen wird darin aber nicht gesehen.

Die Universität Passau ist außerdem eine sogenannte "Neugründung" einer bayerischen Universität und verfügt deshalb über keine nennenswerten historischen Altbestände. Von möglichen arsenvergifteten Büchern gehe deshalb keine Gefahr für Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer aus, versichert Bibliotheksdirektor Steffen Wawra.

"Für die wissenschaftliche Arbeit mit diesen historischen Altbeständen", so Wawra, "nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Passau die Quellen aus den umfangreichen Digitalisierungsvorhaben der deutschen und internationalen wissenschaftlichen Bibliotheken."

Universitätsbibliothek München sieht keine Gefahr

Es spiele "weder im Benutzungsalltag noch innerbetrieblich bei Einhaltung der Hygieneregeln und des gesunden Menschenverstandes eine Rolle", sagt Dr. Sven Kuttner, stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek München. "Viel Lärm um nichts" nennt er die Aktion und darauffolgende Aufregung um das Vorgehen der Bielefelder Universität und vermutet "Ahnungslosigkeit" als Grund.

Wenn man "eine Portion Vollkornreis oder Sushi" esse, sei man Kuttner zufolge mehr Arsen ausgesetzt als beim Umgang mit einem belasteten Buch. Derart belastete Bücher würden etwa zehn Prozent der Bücher aus dem 19. Jahrhundert ausmachen. Das Arsen würde sich aber überhaupt nur beim Kontakt mit Wasser auflösen – wer nicht an alten Büchern leckt, sei also keiner Gefahr ausgesetzt.

Trotzdem haben einige Bibliotheken Untersuchungen eingeleitet und gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Auch in der Münchner Universitätsbibliothek gibt es zum Beispiel den "Lesesaal Altes Buch", in dem alte Bücher lediglich in Präsenz ausgegeben werden.

Im Interview: Bibliothekar Sven Kuttner zu Gast bei Johannes Hitzelberger

Bibliothekar Sven Kuttner
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Bei 17 bis 18 Grad Raumtemperatur lagern Bücher aus dem Mittelalter: Bibliothekar Sven Kuttner ist für sie verantwortlich.

Universität Regensburg prüft Belastungen

In Regensburg hält man sich eng an die 2023 erschienenen Empfehlungen der Kommission Bestandserhaltung des Deutschen Bibliotheksverbands, so der Direktor der dortigen Universitätsbibliothek, Dr. André Schüller-Zwierlein. Mitarbeiter würden über den richtigen Umgang mit potenziell gefährdetem Altbestand geschult. Zudem werde in Regensburg aktuell der gesamte Altbestand separiert: Man bringe gerade "alles, was vor 1850 erschienen ist" in ein Magazin, was jedoch seine Zeit dauert, heißt es weiter.

Derzeit werde auch geprüft, welche Art von Gefährdung besteht. Man gehe wortwörtlich auf "Spurensuche" und mache unter anderem Raumluftmessungen. Denn wenn es Spuren in der Luft gäbe, würde das viel mehr Menschen gefährden als etwa Spuren an einem isolierten Buch, das praktisch nie jemand ausleihe.

Der Altbestand der Universitätsbibliothek Regensburg umfasst circa 100.000 Bände, davon etwa 80 bis 90.000 aus dem 19. Jahrhundert. Viele hiervon stehen digital zur Verfügung und werden entsprechend online genutzt, so Direktor Schüller-Zwierlein.

Uni Bamberg folgt Empfehlungen der Staatsbibliothek

In der Universitätsbibliothek Bamberg gibt es "bei einem Gesamtbestand von rund 1,6 Millionen Bänden circa 41.000 Bände mit Erscheinungsjahr 1800-1900 im Bestand, die potentiell betroffen sein könnten", so Tanja Eisenach, Leiterin der Pressestelle der Universität. Die Uni richte sich beim Umgang mit diesen Büchern nach den Empfehlungen der Bayerischen Staatsbibliothek in München.

Das Institut für Bestandserhaltung und Restaurierung (IBR), eine Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, verfüge im Bereich der chemischen Analyse von Buch und Papier über einschlägige Expertise und gehe "bei einem regulären Umgang mit Büchern beim Ausheben und Rückstellen, bei der Buchbearbeitung oder der Nutzung im Lesesaal von keiner erhöhten Gefahr aus". Das hat auch Peter Schnitzlein, Pressesprecher der Bayerischen Staatsbibliothek, dem BR bestätigt.

Die bislang publizierten Messergebnisse zeigen, dass der Anteil der gefundenen Arsenpartikel in der Raumluft an der Grenze des überhaupt Messbaren liege und damit den in Natur und Umwelt, etwa im Trinkwasser oder in Fischen, natürlich vorkommenden Konzentrationen der relevanten Stoffe entspreche. "Wie bisher ist im Umgang mit den historischen Büchern darauf zu achten, dass das Anlecken der Finger zum Umblättern untersagt ist und historische Buchbestände mit speziellen Baumwollhandschuhen für empfindliche Dokumente zu bearbeiten sind", so Eisenach.

Auch in Bayreuth und Augsburg keine Gefahr

Die Universitätsbibliothek Bayreuth schätzt die Situation ebenfalls als nicht problematisch ein. Die dortige Einbandstelle wurde aber vorsorglich darum gebeten, so Pressesprecherin Jennifer Opel, "besonders auf grüne Farbstoffe in Büchern mit grünen Einbänden, Buchschnitten, Titelschildern, Spiegeln oder Vorsatzblättern aus der Zeit des 19. Jahrhunderts zu achten, da sie Arsenverbindungen enthalten könnten".

Auch in den historischen Beständen der Universitätsbibliothek Augsburg befinden sich gefärbte Bucheinbände und Buchschnitte, so Pressesprecherin Dr. Manuela Rutsatz. Da die Sondersammlungen aber nur in einem beaufsichtigen Lesesaal genutzt werden können, ist ein korrekter Umgang mit diesen Beständen durch eine geschulte Lesesaalaufsicht gewährleistet. Im übrigen folge man auch dort den Erkenntnissen und Empfehlungen des Instituts für Bestandserhaltung und Restaurierung an der Bayerischen Staatsbibliothek.

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