Hat es gegen viele Widerstände bis ganz nach oben geschafft: Taylor Swift im funkelnden Pailetten-Badeanzug bei einem Auftritt in Sydney am 23. Februar 2024.
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Hat es gegen viele Widerstände bis ganz nach oben geschafft: Taylor Swift bei einem Auftritt in Sydney am 23. Februar 2024.

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Taylor Swift – Trump-Gegnerin und feministische Ikone

Warum gilt im "Taylorverse" die 13 als Glückszahl? Welche Botschaft ist im jeweils fünften Track von Taylor Swifts Alben verborgen? Muss Donald Trump den Popstar fürchten? Der Bamberger Literaturwissenschaftler Jörn Glasenapp hat Antworten.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Das Victoria and Albert Museum in London sucht gerade keinen Superstar, sondern einen "Superfan". Der soll helfen, das Phänomen der weltweit erfolgreichsten Musikerin überhaupt, Taylor Swift, zu verstehen. Die künftige Beraterin oder der künftige Berater des Museums soll sich mit allen Aspekten der nordamerikanischen Singer/Songwriterin auskennen.

Weil er Swift-Fan und -Fachmann ist, haben seine Freunde Jörn Glasenapp, Professor für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, in den vergangenen Tagen nahegelegt, sich zu bewerben. Der 1970 geborene Lehrstuhlinhaber ist als Swiftie zwar ein late bloomer. Aber seit er 2022 voller Begeisterung Swifts Album "Midnights" hörte und daraufhin den gesamten Back-Katalog durchging und oblatenhaft in sich aufnahm, gehört er zur Gemeinde.

Der "Stan" – ein Hardcore-Fan

Aus seinem locker geschriebenen, informativen Buch wird die Fan-Community der 34-jährigen Swift vermutlich nicht viel Neues erfahren. Aber all jene, die wissen wollen, warum der blauäugige blonde Popstar Milliarden Menschen elektrisiert, erfahren in "Taylor Swift. 100 Seiten" alles Wesentliche über die Frau, die der kanadische Premierminister Justin Trudeau 2023 via Twitter anbettelte, doch bitte auf ihrer Tournee auch in seiner Nähe Station zu machen. "Don’t make it another cruel summer," twitterte Trudeau.

Man erfährt aus Glasenapps Buch, an welchen Kleidungsstücken sich Swifties erkennen, warum die 13 die Glückszahl Swifts ist und wie es dazu kam, dass jeder getreue Hardcore-Fan weiß: Ihre intimsten Geheimnisse offenbart die Musikerin stets auf dem fünften Track ihrer Alben. Diese in der Wolle gefärbten Fans nenne man, so Glasenapp, übrigens "Stans" – ein Kofferwort aus Stalker und Fan. Solche Stans haben viele Popstars – Nicki Minaj, Ariana Grande und Beyoncé etwa –, aber keine der Genannten hat auch nur ansatzweise eine so große Fan-Base wie Taylor Swift.

Für viele so etwas wie eine "große Schwester"

Schon sehr früh in ihrer Karriere, 2006, als sie noch in Nashville, Tennessee, Country spielte, habe Swift über Social Media den Kontakt zu ihren Fans gesucht. Das sei damals noch "völlig unüblich" gewesen, so Glasenapp im Gespräch mit BR24: "Sie beobachtet regelrecht ihre Fans, sie weiß ganz genau, was die wollen, und das liefert sie in gewisser Weise auch." Die Fans seien ihrerseits mit Swift so "eng verbunden", "weil sie Taylor wie eine große Schwester wahrnehmen". Big Sister is watching you.

Sie verkörpere durch ihre Art eben keine bedrohliche, sondern eine sich sorgende ältere Schwester, die nicht davor zurückschrecke, Privatestes in ihren Texten mitzuteilen: Beziehungsleid, Trennungsschmerz, kurz: Selbsterlebtes. "Die Lyrics sind sehr subjektiv gehalten, geradezu tagebuchartig", so Glasenapp. "Taylor Swift schreibt über ihre Situation, aber in einer Weise, mit der sich die Fans sehr gut identifizieren können." Ihre Lieder seien "breite Resonanzangebote", mit denen sie Nähe generiere.

Video: Swift lädt Fans zu geheimen Listening-Parties in ihre privaten Häuser ein

Taylor Swift: feministische Ikone oder Glam Girl?

2023 erst ist Taylor Swift vom Time Magazine zur "Person of the Year" gewählt worden. Glasenapp ruft in Erinnerung, dass Swift schon einmal als Covergirl und "Person of the Year" auf dem Time Magazine posierte: 2017, auf einem Gruppenbild zusammen mit vier anderen Frauen, die jede auf ihre Weise "Silence Breakers" waren, also das Schweigen gebrochen und sich gegen frauenfeindliche, patriarchale Strukturen zur Wehr gesetzt hatten.

Der "misogyne Wind" weht Swift bis heute hart ins Gesicht im männlich dominierten Musikproduzentenbusiness, allerdings wird sie auch von Frauen wie der Kulturwissenschaftlerin Camille Paglia scharf kritisiert. Paglia warf ihr 2015 bereits eine "unausstehliche Nazi-Barbie-Masche" vor, bei der sie "Freunde und Celebrities als Requisiten für ihre Auftritte benutzt". Damit spielte Paglia auf den legendären "Squad" Swifts an – eine illustre Corona aus Supermodels und Schauspielerinnen, die sie gern um sich schart.

Video: Lied "The Man" von Taylor Swift

Wiewohl Glasenapp "ihre streng kuratierten Selbstdarstellungsexzesse" durchaus sieht, hält er Swifts feministisches Engagement für sehr glaubhaft: "Seit dem 'Lover'-Album 2019 kann man sagen, dass sie eine Feministin ist. Das heißt nicht, dass sie nicht noch mehr tun könnte, wie Madonna oder Beyoncé es getan haben", so Glasenapp gegenüber BR24. Er glaube aber nicht, dass das von ihr "alles nur gefakt oder gespielt" sei.

Man schaue sich nur ihren Song "The Man" an, in dem sie sich über Alpha-Männchen in all ihrer breitbeinig-mansplainenden Mackerhaftigkeit lustig macht und weibliche Selbstermächtigung so klingen lässt: "Wenn ich ein Mann wäre, wäre ich der Mann." Man muss in der Tat lachen, wenn Taylor Swift sich am Ende des ingeniösen Videos von "The Man" aus ihrem Regiestuhl erhebt und den männlichen Hauptdarsteller anhält, das Ganze noch mal zu machen: "Diesmal ein bisschen sexier und sympathischer vielleicht?"

Politisches Coming-Out als Trump-Gegnerin

Es ist in jüngster Zeit oft die Rede davon, dass Taylor Swifts Parteinahme womöglich wahlentscheidend sein könnte bei den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten im November. Diese Bedeutung hat noch kein Popstar vor ihr zugeschrieben bekommen. Deshalb beschäftigt sich Jörn Glasenapp auch mit Swifts "politischem Coming-Out" als Gegnerin von Donald Trump. 2020 twitterte sie – gerichtet an den republikanischen Präsidenten Trump: "We will vote you out in November." So kam es dann auch, mutmaßlich nicht allein wegen dieses Tweets.

Ist es nicht reines Wunschdenken, Swift diese Macht zuzuschreiben, Wahlen entscheiden zu können? Glasenapp hält das für keinesfalls abwegig. Natürlich sei ein politisches System "desolat" und ein Diskurs "ruiniert", in dem eine 34-jährige Person wahlentscheidend ist, aber "de facto könnte sie es sein". Dann würde sie für Trump jenes "monster on the hill" werden, als das sie sich selbst in ihrem Song "Anti-Hero" bezeichnet: "Wir erkennen das auch dadurch implizit, dass Donald Trump sich bis heute davor gehütet hat, scharf gegen Taylor Swift zu schießen", so Glasenapp: "Gegen jemanden wie Swift mit 280 Millionen Followern auf Instagram erhebt man nicht die Stimme, wenn man selbst wie Trump vergleichsweise mickrige 24 Millionen Follower auf Insta hat."

"Notorisch ehrgeizig" und nicht zu unterschätzen

Gerade jetzt mit ihrer Beziehung zum NFL-Star Travis Kelce sei Swift für die Republikaner eine "regelrechte Katastrophe". Damit, dass Kelce in diesem sehr maskulinen Sport auch noch den Superbowl gewann und Swift mit ihm den Sieg feierte, sei für die republikanische Seite "das schlimmstmögliche Szenario" eingetreten: "Die haben Grund genug, leichte Panik zu haben."

Glasenapp lässt auf seinen gerade mal 100 Seiten die "notorisch ehrgeizige, bis heute unstillbar preis- und auszeichnungshungrige" Taylor Swift und ihre Wirkmacht plastisch werden, untersucht natürlich auch ihre Rolle für die LGBTQI+-Bewegung und weiß dabei "Gaylors" von "Kaylors" zu unterscheiden. Wie ernst es ihr mit diesem Engagement ist, ob sie "Queerbaiting" betreibe und die Regenbogen-Community nicht eher aus opportunistischen Gründen bzw. schlicht aus merkantilem Kalkül für sich zu gewinnen trachtet, kann auch Jörn Glasenapp naturgemäß nicht beantworten. So führt uns sein Buch einen in jeder Hinsicht schillernden Star und eine große Künstlerin in all seiner "Deutungsoffenheit" vor Augen.

Swift zählt Emily Dickinson zu ihren Lieblingsdichterinnen. Ob sich diese Liebe zur Lyrikerin auch in ihrem für 19. April angekündigten Album "The Tortured Poets Department" niederschlägt, wird man erst bei Veröffentlichung erfahren. Jörn Glasenapp, der Taylor Swift schon in Nashville und Las Vegas gesehen hat, wird sie auf jeden Fall gleich viermal auf ihrer Europa-Tournee sehen, erzählt er: "Nicht in München zwar, aber dafür in Hamburg und Gelsenkirchen z.B." Der Rezensent gibt nach der Lektüre von Glasenapps Buchs zu, einem Konzert-Besuch selbst nicht länger abgeneigt zu sein – zu verlockend scheint es, ins "Taylorverse" einzutauchen.

Jörn Glasenapp: "Taylor Swift. 100 Seiten." Reclam 2024. 12 Euro

Dieser Artikel ist erstmals am 27. Februar auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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