Hubert Aiwanger
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Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger hat für mögliche Verfehlungen in seiner Jugend um Verzeihung gebeten.

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Aiwanger bittet um Entschuldigung – und beklagt Kampagne

Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger hat für mögliche Verfehlungen in seiner Jugend um Verzeihung gebeten: Falls er Gefühle verletzt habe, bereue er es zutiefst. Zugleich sieht Aiwanger eine "politische Kampagne": Er solle fertiggemacht werden.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Nach den Vorwürfen der vergangenen Tage hat der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) für mögliche Verfehlungen in seiner Schulzeit um Verzeihung gebeten. Er bereue es zutiefst, falls er durch sein Verhalten Gefühle verletzt habe, sagte Aiwanger am Donnerstagnachmittag bei einem kurzfristig angesetzten Pressestatement in München. "Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit."

Er betone nochmals: Das "abscheuliche" Pamphlet, das vor 36 Jahren in seiner Schultasche gefunden worden sei, habe er nicht verfasst und er distanziere sich von seinem "ekelhaften" Inhalt. "Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind."

"Weder vollständig dementieren noch bestätigen"

In den vergangenen Tagen seien Aussagen aufgetaucht, "die den Eindruck vermitteln, ich wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten", sagte Aiwanger. Die Vorwürfe hätten ihn erschreckt. Er könne sich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. "Ich habe keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudiert."

Ob er menschenfeindliche Witze erzählt habe, könne er aus seiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigten. "Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form."

Aiwanger beklagt "politische Kampagne"

Es sei jedoch nicht akzeptabel, dass "diese Verfehlungen in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden", kritisierte der Vize-Ministerpräsident. "Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertiggemacht werden." In den vergangenen Tagen sei ein negatives Bild von ihm gezeichnet worden. "Das bin nicht ich, das ist nicht Hubert Aiwanger."

Der Minister verlas sein Statement vor den Journalisten, Fragen waren anschließend keine zugelassen. Ein Ministeriumssprecher kündigte an, dass Aiwanger den Fragenkatalog der Staatskanzlei zu den Vorwürfen zeitnah beantworten werde.

Freie Wähler froh über "Schritt aufrichtiger Reue"

Die Freie-Wähler-Fraktion begrüßte Aiwangers Erklärung. Es sei wichtig, dass sich der Minister für "die in den vergangenen Tagen entstandenen Irritationen entschuldigt" habe, teilte FW-Fraktionschef Florian Streibl mit. Ebenso bedeutsam sei, dass sich Aiwanger in jeder Form vom menschenverachtenden Inhalt des Pamphlets distanziert habe. "Wir sind froh, dass Hubert Aiwanger heute diesen Schritt aufrichtiger Reue und der Entschuldigung gegangen ist."

Sondersitzung des Landtags nächste Woche

Zuvor hatten bereits die bayerischen Landtagsfraktionen von Grünen, SPD und FDP - wie angekündigt - gemeinsam eine Sondersitzung des Landtags zu dem Thema beantragt. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) wird daher für nächsten Donnerstag (7. September) eine Sitzung des sogenannten Zwischenausschusses einberufen, wie das Landtagsamt mitteilte. Die drei Oppositionsfraktionen teilten zur Begründung für ihren Antrag mit, dass sie die bisherigen Schritte von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) "in der Hetzschrift-Affäre rund um seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger als absolut unzureichend" ansehen.

Das Plenum tagte zuletzt im Juli und soll eigentlich erst nach der Landtagswahl wieder zusammenkommen. Zur "Wahrung seiner Rechte gegenüber der Staatsregierung und zur Behandlung dringlicher Staatsangelegenheiten für die Zeit außerhalb der Tagung" wurde der Zwischenausschuss eingesetzt. Dieser besteht aus 51 Mitgliedern und ebenso vielen stellvertretenden Mitgliedern - die Zusammensetzung entspricht dem Stärkeverhältnis der Fraktionen.

"Aiwanger muss dem Landtag Rede und Antwort stehen"

Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann hält eine Sondersitzung des Landtags für unerlässlich: "um aufzuklären und im Zweifel die nötigen Konsequenzen zu ziehen". Bei einem Vize-Ministerpräsidenten dürfe es nicht mal den Anschein geben, dass es für ihn Alternativen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung gebe. "Stand heute ist Hubert Aiwanger für mich untragbar geworden." Seine Co-Vorsitzende Katharina Schulze forderte, Söder müsse jetzt Haltung zeigen und Schaden von Bayern abwenden.

Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn kritisiert, Aiwanger habe Zweifel an seiner Haltung bisher nicht ausräumen können. Stattdessen gebe es immer neue Vorwürfe. Sein FDP-Kollege Martin Hagen sagte: "Hubert Aiwanger muss dem Landtag Rede und Antwort stehen." Nur so könnten sich Parlament und Öffentlichkeit ein faires Urteil bilden.

"Verstörend": Merz und Dobrindt verlangen Aufklärung

Deutliche Worte an die Adresse Aiwangers kamen am Donnerstagmittag auch von den Spitzen der Unionsfraktion im Bundestag. Er hoffe, dass Aiwanger die Vorwürfe schnellstmöglich vollständig ausräumen kann, sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz. "Ich finde es im höchsten Maße verstörend, belastend und auch erschwerend für die gesamte politische Kultur in diesem Land."

Der Chef der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, sprach von einer "unschönen" Situation. "Die bisherigen Erklärungen reichen schlichtweg nicht aus." Aiwanger müsse gegenüber der Öffentlichkeit Stellung beziehen, auch zu seinen Sätzen von Mittwoch - "über die ich, als ich es gehört habe, sehr irritiert war".

Antisemitismusbeauftragter: Aiwanger schlechtes Vorbild

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe für Freitag: "Die Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade jüngeren Menschen einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, werden durch das Verhalten von Herrn Aiwanger torpediert." Damit schade er der Erinnerungskultur in Deutschland. "Das bisherige Vorgehen des Ministers, sich als Opfer einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren und sich möglichst spät, möglichst wenig und möglichst empathielos zu äußern, dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland."

"Seit dem Erwachsenenalter" kein Antisemit

Aiwanger hatte am Mittwoch vor Journalisten auf neue Vorwürfe ehemaliger Mitschüler zu seinem Verhalten als Schüler reagiert: Seit dem Erwachsenenalter sei er kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund. In der Jugendzeit könne vielleicht "das eine oder andere so oder so interpretiert werden". Über die Vorwürfe wundere er sich aber und er müsse den Kopf schütteln. Auf die Nachfrage, ob er als Schüler den Hitlergruß gezeigt und Juden-Witze erzählt habe, sagte der Minister: "Ist mir auf alle Fälle nicht erinnerlich." Erneut beklagte Aiwanger eine Kampagne gegen hin.

Am Wochenende hatten Vorwürfe gegen Aiwanger im Zusammenhang mit einem 35 Jahre alten Flugblatt, das den Holocaust verharmlost, ein landespolitisches Beben ausgelöst. Zwar bekannte sich anschließend Aiwangers Bruder Helmut dazu, Verfasser des Papiers gewesen zu sein. Hubert Aiwanger räumte aber ein, dass ein oder mehrere Exemplare in seiner Schultasche gefunden worden seien und er unter Druck eine Strafe der Schule akzeptiert habe. Ob er das Flugblatt verteilt habe, wisse er nicht mehr.

Keine Schul-Unterlagen zum Fall Aiwanger mehr vorhanden

Offizielle Schul-Dokumente werden bei der Aufklärung des Falls wohl nicht helfen können. "Nach Auskunft des aktuellen Schulleiters des Burkhart-Gymnasiums Mallersdorf-Pfaffenberg sind an der Schule keine Unterlagen zur Behandlung des Falls Aiwanger im Schuljahr 1987/88 vorhanden", teilte das Kultusministerium auf BR-Anfrage mit. Auch an der Dienststelle des Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in Niederbayern gebe es nach dessen Auskunft keine Unterlagen zu der Angelegenheit.

Das stehe "im Einklang mit der geltenden Rechtslage": Entsprechende Papiere zu einem Schüler müssten nur ein Jahr aufbewahrt werden, nachdem dieser die Schule verlassen habe. Weitere Prüfungen müssten gegebenenfalls noch abgewartet werden. "Das Staatsministerium steht mit der Schule in Kontakt", hieß es.

Ministerpräsident Söder hatte am Dienstag nach einem Krisentreffen mit Aiwanger gesagt, der Minister sei bereit, noch vorhandene Schulakten "zu öffnen und damit auch für maximale Transparenz zu sorgen". Zudem soll Aiwanger 25 Fragen zu den Vorwürfen schriftlich beantworten.

Im Video: Statement von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger

Hubert Aiwanger bei Statement
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Hubert Aiwanger bei Statement

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