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Sebastian Pertsch "Vielfalt. Das andere Wörterbuch"

Sprache ist lebendig und entwickelt sich ständig weiter. Zurzeit sorgen immer wieder Begriffe aus der Diversity-Debatte für Verwirrung. Der DUDEN Verlag möchte hier aufklären und hat dazu ein neues Nachschlagewerk herausgebracht.

Von: Roswitha Buchner

Stand: 19.01.2024

Buchcover "Vielfalt - Das andere Wörterbuch" | Bild: Sebastian Pertsch

Leser für diskriminierungsfreie Sprache zu sensibilisieren, mit diesem Ziel hat Sebastian Pertsch hat das Wörterbuch "Vielfalt" vor kurzem im Duden Verlag herausgebracht:

"Ich erhoffe mir von diesem Buch, dass wir vielleicht mal Leuten zuhören, die Ahnung von ihrem Fach haben, dass wir uns nicht so leicht blenden lassen von irgendwelchen Krawalltüten in Social Media, die alles schlecht und schlimm reden wollen."

Sebastian Pertsch, Herausgeber

Das "andere Wörterbuch", wie der Journalist und Autor es nennt, enthält häufig gebrauchte, teils ganz neue Begriffe unserer Zeit, die mit dem Thema Diversität zu tun haben. Zwei Jahre lang sammelte Sebastian Pertsch Begriffe, hundert davon wählte er schließlich aus.

"Das klingt erst mal super viel, ist aber im Vergleich zu dem, was möglich wäre, sehr wenig. Es ist noch nicht einmal repräsentativ. Tatsächlich sind es mehr als 1000 Themen, wo man sagen kann: Lass uns mal drüber reden."

Sebastian Pertsch, Herausgeber

Von "Ableismus" bis "woke"

Für die ausgewählten Stichwörter, von "Ableismus" bis "woke" konnte Sebastian Pertsch 100 renommierte Autorinnen und Autoren mit Fachkenntnissen und oft auch persönlichen Bezug gewinnen, die die Begriffe aus ihrer Sicht erklären.

Darunter Marina Weisband und Raul Krauthausen zum Thema Menschen mit Behinderung oder die jetzige Bundesbeauftrage für Antidiskriminierung Ferda Ataman, zum Stichwort "Diskriminierung". Die persönliche Sichtweise der Autorinnen und Autoren eröffne einen ganz anderen Blick, sagt Sebastian Pertsch. Denn für Betroffene sei ein Begriff oft ganz anders konnotiert als für die nichtbetroffene Mehrheit der Gesellschaft.

Besonders deutlich wird das etwa an dem Kapitel "Chronisch krank", das die selbst betroffene Publizistin Marina Weisband verfasst hat. Ihre Sicht ermögliche sowohl einen neuen Zugang als auch einen Perspektivwechsel und schütze vor Missverständnissen.

"Gerade bei diesem Buch habe ich gemerkt, dass wir besser fahren können, wenn wir eine inklusivere Sprache verwenden. Dazu gehört auch einerseits zu wissen, worum es geht, aber auch das Bewusstsein zu schaffen, wie wir miteinander reden."

Sebastian Pertsch, Herausgeber

Sachlichkeit in die aufgeheizte Debatte bringen

Denn das "Wie wir miteinander reden", hat sich in Zeiten von Social Media stark ins Negative verändert. Deutlich wird dies auch an den hitzigen Diskussionen um Diskriminierung und Sprache, die sich vor allem am Gendersternchen entzünden, und in Bayern und Sachsen bereits zum Verbot desselbigen an Schulen geführt haben. Emotional aufgeladene Debatten wie diese will Sebastian Pertsch mit seinem Buch versachlichen. Es gebe weitaus mehr und bessere Begriffe, Vielfalt abzubilden, als das Gendersternchen.

"Es gibt ja immer wieder Diskussionen, wenn neue Begriffe hinzukommen. Aber im Grunde genommen bildet das die Sprachentwicklung ab im deutschsprachigen Raum. Auch bei Begriffen, die sehr diskriminierend sind, blicken wir einmal auf das N-Wort oder das Z-Wort."

Sebastian Pertsch, Herausgeber

Diskriminierende Sprache wird oft unbewusst verwendet

Der Bedarf an Information ist groß. Denn viele wissen nicht, was eigentlich Ally oder POC bedeutet oder warum man Schwarz plötzlich großschreibt. Wie werden diese Wörter benutzt und was drücken sie aus? Welche Begriffe sind von Minderheiten gewählte Selbstbezeichnungen, wie etwa Rom*nja und Sinti*zzi und welche sollten aus historischen Gründen vermieden werden? Wo wird oft unbeabsichtigt diskriminierende Sprache verwendet und welche Begriffe werden sogar bewusst falsch eingesetzt? Etwa das Wort "woke", das ursprünglich in der amerikanischen Black Lives Matter-Bewegung als Synonym des Widerstands galt, und nun hierzulande eher abwertend verwendet wird.

"Das Wort `woke´ ist ein sehr gutes Beispiel, wie ein Begriff gekapert wird, mindestens aus der konservativen, vielleicht rechtskonservativen, teils bis zur rechtsextremen Ecke. Ein Wort, das aus den USA kommt,, hier aber eine ganz andere Bedeutung hat. Kapern wird immer wieder probiert, aber in dieser massiven Form, wo etwas umgedeutet wird, das ist bemerkenswert."

Sebastian Pertsch, Herausgeber

Wie das Wort "biodeutsch" in politische Debatten kam

Nicht nur das "woke", um Achtsamkeit bemühte Sprechen, auch bereits ironisierte Begriffe wie "Alter Weißer Mann" haben Eingang ins Wörterbuch gefunden. Ebenso das Wort "Biodeutscher", das 1996 vom deutsch-türkischen Kabarettisten Muhsin Omurca zum ersten Mal im ironischen Sinn verwendet wurde, um zwischen eingebürgerten Deutschen und Herkunftsdeutschen zu unterscheiden.

Schnell tauchte der Begriff in politischen und gesellschaftlichen Debatten auf. In jüngster Zeit entdeckten auch rechte Kreise den Begriff "Biodeutscher". Damit grenzen sie sich von den sogenannten Passdeutschen ab und diskriminieren sie. Der Begriff landete deswegen 2017 auch auf der Short List für das Unwort des Jahres.

"Vielfalt - das andere Wörterbuch" löst beim Lesen sicherlich das eine oder andere Aha-Erlebnis aus. Vor allem aber macht es neugierig, eröffnet neue Horizonte und regt vielleicht auch zu mehr Mut gegen Ungerechtigkeiten an.


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