Straßenzug mit Heilig-Geist-Kirche in Schweinfurt
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Die IG Metall in Schweinfurt sorgt sich um die Beschäftigten in der Industrie. Gerade bei ZF drohe ein Stellenabbau.

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Industrie in Unterfranken: Nicht nur Angst vor Abstieg

Bis zu 2.000 Stellen könnten allein bei ZF in Schweinfurt mittelfristig wegfallen, befürchtet die IG Metall. Einer der Gründe: Die Umstellung auf Elektromobilität. Am Untermain sieht die Lage der Industrie dagegen weitaus rosiger aus. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Bis zu 2.000 Mitarbeitende weniger als im Augenblick – dieses Szenario befürchtet Thomas Höhn, erster Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt, mittelfristig für den Automobilzulieferer ZF. Und auch um andere Unternehmen in der Region sorgt sich der Gewerkschafter wegen der angespannten Lage.

IG Metall: Jede Fünfte Stelle bei ZF in Gefahr

Aktuell beschäftigt das Unternehmen ZF mit Sitz in Friedrichshafen am Standort Schweinfurt nach Unternehmensangaben rund 9.000 Mitarbeitende. Wenn die Befürchtungen von Thomas Höhn einträfen, würde ZF also mehr als jede fünfte Stelle abbauen. Das Unternehmen produziere zwar im Augenblick "auf Anschlag" und sei voll ausgelastet, so der IG Metall-Bevollmächtigte. Durch die Umstellung von Komponenten von Verbrennermotoren auf Elektromobilität leide jedoch die Profitabilität – der Prozess sei mit hohen Investitionen und teuren Zukäufen verbunden. ZF tue sich schwer damit, Gewinne zu erwirtschaften, sagte Höhn im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk.

ZF: nicht öffentlich über Zahlen spekulieren

ZF schreibt dazu auf Anfrage von BR24: "Auf die öffentlichen Zahlenspekulationen der IG Metall lassen wir uns nicht ein." Zugleich betont das Unternehmen, dass es sich "angesichts Transformation und schwacher Marktentwicklungen mit diesen Szenarien" beschäftige, um verantwortungsvoll damit umzugehen und gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung sozialverträgliche Lösungen zu finden. Das stehe für das Unternehmen im Mittelpunkt und "nicht die Diskussion über Personalzahlen und deren mögliche Entwicklung". Das Schweinfurter Unternehmen hatte mit dem Betriebsrat und der IG-Metall in der Vergangenheit einen Beschäftigungssicherungsvertrag bis Ende 2025 vereinbart, dem zufolge auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet werden muss.

Internationale Wettbewerbsfähigkeit entscheidend?

Das Unternehmen schreibt auf BR-Anfrage weiter, dass besonders die Wertschöpfungstiefe durch die Elektrifizierung der Automodelle verringert werde. Zudem würden die Automärkte in Deutschland und Europa allenfalls noch moderat wachsen. "Im fünften Krisenjahr, das sich mit der Transformation der Automobilindustrie überlagert, hängt die Zukunft der deutschen Standorte nach wie vor von deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit ab", so ZF. Zusammen mit der Arbeitnehmervertretung würde die Standortleitung in Schweinfurt seit längerem daran arbeiten, denn ZF habe "frühzeitig diese Trends erkannt". Das Unternehmen investiere kontinuierlich in "Automatisierung, Digitalisierung und die Qualifikation der Mitarbeitenden", womit es den Standort für die Zukunft stärke.

ZF mit Sitz in Friedrichshafen hat kürzlich auch seine Halbjahreszahlen veröffentlicht und sich eigenen Angaben zufolge "im ersten Halbjahr 2023 in einem global herausfordernden und volatilen Marktumfeld behauptet". Das Unternehmen habe in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Umsatz von 23,3 Milliarden Euro erwirtschaftet, was eine Steigerung von rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit 21,2 Milliarden Euro sei.

SKF: Abbau von 300 Stellen in Schweinfurt

Während die Zukunft bei ZF also noch ungewiss bleibt, ist bereits klar, dass ein anderes Unternehmen an seinem Schweinfurter Standort Stellen abbauen wird: Das Wälzlagerunternehmen SKF will dort rund 300 der aktuell noch knapp über 4.000 Stellen im Bereich Großlagerproduktion für Windkraftanlagen abbauen.

Das Problem ist laut Höhn, dass das Unternehmen nur wenige Aufträge bekommt und einzelne Aufträge auch ablehnen müsse, weil sie nicht profitabel seien. Im Bereich von Zulieferungen für den Eisenbahnbereich sei die Auftragssituation dagegen gut. Dies komme unter anderem durch Auftragseingänge aus China und gelte auch für den Wälzlagerhersteller Schaeffler.

IG-Metall: Sorge um weitere Unternehmen

Eine angespannte Situation erlebt der Gewerkschafter im Augenblick auch bei Valeo in Bad Neustadt an der Saale im Landkreis Rhön-Grabfeld. Die Ursache: Daimler habe Aufträge zum Bau von Elektromotoren storniert. Das Unternehmen Reich in Mellrichstadt (ebenfalls im Landkreis Rhön-Grabfeld) habe sich vom Zulieferer für die Automobilindustrie zum Teil als Zulieferer für Bosch-Elektromotoren für E-Bikes verändert. "Für die Mitarbeitersituation in den Schweinfurter Schlüsselbranchen mache ich mir Sorgen", so Höhn. Er unterstütze deshalb beispielsweise die Idee von günstigerem Strom für die Industrie.

In Schweinfurt bei ZF droht der IG Metall zufolge also möglicherweise in den nächsten Jahren ein größerer Stellenabbau. Das passt zu den vielen negativen Nachrichten aus der Wirtschaft, die angeblich zu einer Deindustrialisierung Deutschlands führen könnten, also der Abwanderung von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe. Je nach Region sieht das aber auch in Unterfranken ganz unterschiedlich aus, zum Beispiel in Aschaffenburg, einem sehr starken Industriestandort.

Industriestandort Bayerischer Untermain

Die Industrie- und Handelskammer dort steht nicht nur für den bayerischen Untermain sondern für den bayerischen Teil der Metropolregion Rhein-Main. Die reicht im Westen bis nach Mainz und Wiesbaden und erstreckt sich von Worms im Süden bis nach Limburg im Norden. Die Stadt Aschaffenburg und ihr Landkreis bilden zusammen mit dem Kreis Miltenberg den erfolgreichen östlichen Teil. Dort stehen Industrieunternehmen fast schon in der Warteschlange, um jede frei werdende Fläche.

Hohe Nachfrage als "Luxusproblem" bei der Ansiedlung

Andreas Freundt, Hauptgeschäftsführer der IHK Aschaffenburg spricht von einem "Luxusproblem" bei der Ansiedlungspolitik. Als Anekdote erzählt er gern die Geschichte von der Immobilienmesse Exporeal, die im 350 Kilometer entfernten München jedes Jahr stattfindet. Einmal hätte die IHK überlegt, ob man nicht auch mal daran teilnehmen sollte, um Werbung bei Investoren für den Standort zu machen. Dann sei ihnen in Aschaffenburg eingefallen, dass sie ja gar kein Angebot machen könnten, weil alle Gewerbeflächen schon belegt waren, und so sparten sie sich die Fahrt zur Messe nach München.

Suche nach neuen Möglichkeiten für Industrieunternehmen

"Wir bräuchten viel mehr Flächen", sagt Freundt, man müsse aufpassen, dass auch der Wohnungsbau zu seinem Recht kommt. Längst gebe es eine harte Konkurrenz zwischen neuen Projekten für Produktion und Gewerbe mit neuem Wohnraum. Eine gewisse Entlastung soll das neue Gewerbegebiet Obernburg (ICO-Erweiterung von Industrie Center Obernburg) am östlichen Mainufer zwischen Aschaffenburg und Miltenberg bringen.

Untermain hat höchsten Anteil von Industriearbeitsplätzen

Der Anteil der Industriearbeitsplätze an der gesamten Beschäftigung ist nirgendwo höher weder in Bayern noch im Rhein-Main-Gebiet, und das will wirklich etwas heißen. Fast ein Drittel (rund 30 Prozent) aller Jobs finden in der gut bezahlten Industrie statt. Was es kaum noch gibt, sind eben die neuen Flächen für weitere Ansiedlungen. Die wären sonst wohl problemlos möglich, wenn es da nicht noch ein zweites Problem gäbe, den Fachkräftemangel. Beim Nachwuchs stehen viele Branchen in Handwerk, Industrie und Dienstleistungen in Konkurrenz um gut ausgebildete Mitarbeiter. Womit Aschaffenburg hier punkten kann, ist eine Hochschule für technische Berufe, die es im benachbarten Hessen, in den Städten Hanau und auch Offenbach so nicht gibt. Und Frankfurt ist dann bereits ein gutes Stück entfernt, so dass viele Studenten aus Hessen nach Aschaffenburg kommen.

Gute Verkehrsanbindung - zum Teil sogar besser als in München

Die optimale Verkehrsanbindung ist laut IHK-Chef Freund unter anderem mit dem ICE in zwanzig Minuten direkt zum Frankfurter Flughafen gewährleistet. Das ist im Vergleich mit München und seinem Airport weniger als die halbe Fahrzeit von der Stadtmitte zum Terminal. In der Landeshauptstadt benötigt allein schon die S-Bahn zum Flughafen MUC 45 Minuten. Für die Standort-Initiative PERFORM brachte Heike Wenzel, die Präsidentin der IHK Aschaffenburg es so auf den Punkt: „Der Bayerische Untermain ist ein wichtiger Industriestandort in der Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main. Damit der Standort zukunftsfähig bleibt, benötigen wir dringend wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, etwa bei den Energie- und Rohstoffpreisen, bei Genehmigungsverfahren oder bei der Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland. Für gute Rahmenbedingungen muss die Politik sorgen.“Die großen Verkehrsachsen vor der Tür, die vielen unterschiedlichen Branchen, zu denen neben Fahrzeug- und Maschinenbau und Chemie eben auch Medizintechnik gehört, das sind Pluspunkte für den Standort. An so etwas wie Deindustrialisierung denkt hier niemand. Bei Dienstleistungen gibt es etwa die Deutschlandzentrale des Paketdienstes DPD in Aschaffenburg, womit wir beim Thema Logistik wären. Da zählt der Aschaffenburger Hafen zu den wichtigsten Binnenhäfen. Also vereinfacht gesagt geht wirtschaftlich in vieler Hinsicht was und auch in viele Richtungen.

Dennoch Industrie auch in Aschaffenburg nicht sorgenfrei

Natürlich sind die Energiepreise auch hier zu hoch, wie in ganz Deutschland, und die berühmte deutsche Bürokratie ebenfalls zu beklagen. Als dringendes Problem nennt die IHK wie in vielen Boom-Regionen den Fachkräftemangel. Aber das ist in anderen Ländern kaum anders und liefert keinen Grund für Abwanderung. Wenn nun zu hören ist, dass es in Deutschland bald eine richtige Rezession geben könnte, dann muss man auch sagen, dass gerade erfolgreiche Industrien davon weniger betroffen sein dürften als andere Bereiche der Wirtschaft.

Entscheidend für Industrie sind vor allem die Auslandsmärkte

Denn die Zielmärkte der Industrie befinden sich ja nicht in Bayern oder in Hessen, sondern in ganz Europa oder sogar weltweit: in den USA oder in China. Für die meisten Hersteller geht es nicht so sehr um die deutsche Bauwirtschaft, die hohe Inflation hier oder den schwachen Konsum, die aktuell die größten Sorgen bereiten. Viele von ihnen denken global und hoffen, dass die Weltwirtschaft weiter wächst. Sie schauen nicht nur, wie es bei uns auf dem Heimatmarkt läuft, sondern vor allem bei ihren global aufgestellten Kunden. Und was das angeht, muss man sich vorerst weniger Sorgen machen, als es vielleicht im Moment den Anschein hat.

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