Landwirt verlädt mit seinem Mähdrescher die Körner seiner Wintergerste in einen Anhänger
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Getreideernte

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Die Angst bayerischer Bauern vor ukrainischem Getreide

Die Getreideernte stockt, durch den Regen wird aus hochwertigem Brotweizen minderwertiger Futterweizen. Dazu kommt die Furcht bayerischer Landwirte vor billigen Getreideimporten aus der Ukraine. Aber ruinieren diese tatsächlich die Preise?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

"Stell dir vor, in der Ukraine wird Weizen für nur 70 Euro pro Tonne verkauft." Ein Gerücht nimmt seinen Lauf. Der nächste Landwirt erzählt: "Stell dir mal vor, ukrainischer Weizen kommt bei uns für 70 Euro pro Tonne auf den Markt."

Wäre das wahr, wäre es tatsächlich eine Hiobsbotschaft für bayerische und deutsche Getreidebauern. Denn der Preis an der Börse für Getreide liegt derzeit bei rund 235 Euro pro Tonne Brotweizen. Importierter Billigweizen könnte also – so die Angst – den Markt und somit auch Bauernhöfe hierzulande ruinieren. Aber was ist überhaupt dran an dem Gerücht?

Landwirte befürchten Preisdumping beim Getreide

Die Recherche ist mühsam. Fakt ist, dass viele Landwirte besorgt sind. Dann aber wird es vage. Viele haben gehört, dass jemand jemanden kennt, der gesagt hat, dass schon seit vielen Monaten billiges Getreide aus der Ukraine bei uns auf den Markt komme. Über den Landweg.

Die Sorge: Der Landhandel und die Mühlen könnten die Billigware kaufen, egal wie qualitativ schlecht sie sei und der bayerische Bauer würde auf seinem Qualitätsweizen sitzen bleiben.

Landwirtschaftsministerium: "Wir haben keine Zahlen"

Wie viel Getreide kam in den letzten Jahren und kommt derzeit aus der Ukraine nach Deutschland? Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums sagt: "Wir wissen es nicht, wir haben keine genauen Zahlen." Und ungefähre? "Es kommt Getreide aus der Ukraine in Deutschland an, aber wie viel, wissen wir nicht, wir machen keine Statistiken."

Ihre Erklärung für dieses Nichtwissen: Wenn Getreide aus der Ukraine über Polen nach Deutschland komme, passiere das ja innerhalb der EU und was innerhalb des europäischen Binnenmarktes über welche Kanäle wohin laufe, werde nicht erfasst.

Was vermahlen deutsche Mühlen?

Ein Anruf beim Verband Deutscher Mühlen sorgt für Aufklärung. In deutschen Mühlen werden jährlich acht Millionen Tonnen Weizen verarbeitet, Getreide aus der Ukraine spiele dabei keine Rolle, erklärt Geschäftsführer Peter Haarbeck: "Heuer wurden bisher knapp 50.000 Tonnen Weizen aus der Ukraine nach Deutschland geliefert, diese Zahlen haben wir vom Statistischen Bundesamt. Aber dieses Getreide landet nicht in den Mühlen, sondern in Futtertrögen oder es wird weiter gehandelt."

Es könne allerdings sein, dass durch die jetzige politische Situation in Zukunft geringfügig mehr Getreide aus der Ukraine komme. "Aber diese kleine Menge erschüttert weder den Markt, noch hat es Auswirkungen auf die Getreidepreise", so Peter Haarbeck. Wovor also haben die Landwirte Angst?

Solidaritätskorridore: Alternative Transportwege

Der Hintergrund: Schon bald nach Kriegsbeginn im Februar 2022 waren die normalen Handelsrouten für Getreideexporte aus der Ukraine über Häfen am Schwarzen Meer blockiert. Getreide, das Menschen in Afrika bräuchten, konnte nicht exportiert werden. Deshalb richtete man sogenannte Solidarity Lanes ein, Solidaritätskorridore über den Landweg.

Getreide kommt seitdem per Zug, Lkw oder mit Binnenschiffen – zollfrei und ohne viel Bürokratie – aus der Ukraine in die EU und soll über europäische Seehäfen nach Afrika verschifft werden. Weil der russische Präsident Wladimir Putin vor kurzem das Getreideabkommen über Exporte übers Schwarze Meer aufgekündigt hat, sollen nun diese Solidarity Lanes noch weiter ausgebaut werden.

Getreide landete in Polen statt in Afrika

Dagegen regt sich Widerstand. Bereits im Februar gingen polnische Bauern auf die Barrikaden und blockierten Grenzübergänge zur Ukraine. Denn das Getreide aus der Ukraine, das eigentlich den Hafen in Danzig an der Ostsee erreichen sollte, kam dort nicht an. Es blieb in Polen, sorgte für ein Überangebot, die Preise sanken, die polnischen Bauern konnten ihr Getreide nicht mehr verkaufen.

Auch Landwirte in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien protestierten. Die Folge: Sie bekommen jetzt Agrarhilfen aus dem EU-Haushalt, und es wurden Schutzmaßnahmen verhängt. Bis 15. September 2023 darf kein zollfreies Getreide aus der Ukraine in diesen Staaten verbleiben.

Özdemir kritisiert Nachbarländer der Ukraine

Doch kaum waren diese Schutzmaßnahmen beschlossen, gab es Kritik in Deutschland. Jetzt lande der ukrainische Weizen über den Landweg durch Polen halt bei uns, so die Befürchtung deutscher und bayerischer Landwirte. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) betonte, der Weizen müsse unbedingt nach Afrika, das Problem dürfe nicht nach Deutschland verlagert werden und er kritisierte Ende Juli im Agrarrat in Brüssel den Alleingang der Nationalstaaten Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

"Das schadet allen in der EU, Europa muss sich solidarisch zeigen und die Schutzmaßnahmen für Polen und die anderen Nachbarländer der Ukraine sollten nach dem 15. September nicht verlängert werden", erklärt eine Sprecherin von Özdemir gegenüber BR24. Auf die Frage, wem konkret das Verhalten von Polen schade und ob Özdemir durch seine Forderung die deutschen Bauern vor Billigimporten schützen wolle, gibt die Sprecherin keine Antwort.

Fußen Gerüchte auf russischer Propaganda?

Zurück zu den Gerüchten, ukrainischer Weizen würde für 70 Euro gehandelt. Ein bayerischer Landwirt mit guten Kontakten in die Ukraine berichtet, Brotweizen würde dort momentan für rund 130 Euro pro Tonne verkauft und die Gerüchte seien seiner Meinung nach Teil der Kriegsstrategie Putins, um im Westen Stimmung gegen die Ukraine zu machen.

So sieht es auch Landwirt Dietrich Treis. Der gebürtige Hesse lebt und arbeitet seit 1990 in der Ukraine und ist Geschäftsführer eines Ackerbaubetriebs mit 4.500 Hektar, 70 Kilometer östlich von Kiew. Seinen Zweitwohnsitz hat er seit Kriegsbeginn in Passau. Sein Kommentar zu den Gerüchten über den ukrainischen Billigweizen: "Da sind wohl russische Trollfabriken am Werk."

"Wirtschaftlich macht das keinen Sinn"

Dietrich Treis rechnet vor: Von seinem Betrieb bei Kiew koste der Transport nach Deutschland mindestens 150 Euro pro Tonne, wer näher an der Grenze wohne, komme vielleicht auf 100 Euro. "Ein großer Händler zahlt bei uns für den Weizen ab Hof rund 95 Euro und das ist nicht unbedingt der beste Preis. Warum sollte jemand in Deutschland für 70 Euro verkaufen und mit den Transportkosten draufzahlen? Wirtschaftlich macht das keinen Sinn. Es wäre billiger, den Weizen auf die Müllkippe zu fahren."

BayWa und Bauernverband: "Keine Panik!"

Der Agrarhandelskonzern BayWa mit Sitz in München teilt mit, dass der Markt für Agrarrohstoffe wie Brotweizen transparent sei, da sich der Preis an der Börse orientiere – und da lag der Tageskurs Mitte der Woche bei rund 238 Euro pro Tonne. "Insofern spricht vieles dafür, dass an dem Gerücht wenig bis gar nichts dran ist", sagt BayWa-Sprecherin Ante Krieger.

Auch beim Bayerischen Bauernverband (BBV) bezweifelt man, dass Preise weit unter dem Weltmarktniveau ein realistisches Szenario seien. Allerdings, so Pressesprecher Markus Drexler: "Die Landwirtinnen und Landwirte bewegt tatsächlich die Frage, welche Wege das ukrainische Getreide nehmen wird."

Der BBV forderte bereits im Juli, dass ukrainisches Getreide, das für andere Regionen in der Welt bestimmt ist, nicht in den Handel des EU-Binnenmarktes einfließen dürfe. Beruhigend klingt dieser Satz aus der Marktberichtsstelle des BBV: "In den Händlergesprächen in der letzten Woche konnte kein verstärktes Angebot von Maklern aus dieser Region (Ukraine) festgestellt werden."

So läuft es in der Praxis

Es gibt Gerüchte, es gibt Zahlen auf dem Papier und es gibt die Praxis.

Beispiel eins: Ein Landwirt mit Ackerflächen in Bayern und in Sachsen berichtet, er habe vor ein paar Wochen Raps an einen großen Händler verkaufen wollen. Der Preis an der Börse lag da bei 480 Euro pro Tonne, ein sehr guter Preis. Der Händler aber lehnte ab. Auf diesem hohen Preisniveau könne er den Raps nicht weiterverkaufen, denn alle würden warten, bis der Raps wieder billiger werde. Aus dem Geschäft wurde nichts.

Beispiel zwei: Ein Anruf Ende dieser Woche bei einem BayWa-Lagerhaus in Oberbayern. Dort die Auskunft: Wenn ein Landwirt jetzt seinen Brotweizen verkaufen wolle, bekomme er wesentlich weniger als den Börsenpreis von 235 Euro pro Tonne. Man zahle zwischen 190 und 200 Euro. Für Futterweizen gibt es sogar nur 170 Euro. Schlechte Aussichten also für die Landwirte: Denn alles, was nach den Regenfällen der letzten Zeit gedroschen wird, ist voraussichtlich größtenteils qualitativ schlecht und somit nur noch Futterweizen.

Im Video: Getreideabkommen mit der Ukraine wurde nicht verlängert - Kritik von Josep Borell

Mähdrescher in der Südukraine
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Mähdrescher in der Südukraine

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