Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Bei einem Anlagenbauer arbeiten Mitarbeiter an einer Nabe für die Turbine einer Windkraftanlage.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Bernd Wüstneck

Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Bei einem Anlagenbauer arbeiten Mitarbeiter an einer Nabe für die Turbine einer Windkraftanlage.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

"Deindustrialisierung" Deutschlands, wie schlimm ist es?

Nicht nur Ökonomen scheinen in Deutschland aktuell zum Pessimismus zu neigen. Unternehmensverbände und die Oppositionsparteien CDU und AfD warnen vor einer "Deindustrialisierung" und dem Abstieg im internationalen Umfeld. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Enttäuschung ist groß darüber, dass der erhoffte Aufschwung nach Corona bisher ausblieb. Tatsächlich schneidet Deutschland diesmal schlechter ab als die meisten Industrieländer. Der Grund ist, dass andere in der EU weitaus weniger Probleme mit den Folgen des Ukraine-Kriegs haben, weil sie mit ihrer Energieversorgung nicht so abhängig waren vom russischen Gas. Was lange Zeit ein Wettbewerbs-Vorteil war, verkehrte sich ins Gegenteil.

Der Präsident des Ifo-Instituts in München, Clemens Fuest, hält die Warnung von CDU-Chef Merz vor einem wirtschaftlichen Abstieg daher für begründet. Deutschland drohe "eine Art Deindustrialisierung", der die Politik entgegenwirken müsse und auch könne.

Firmen drohen mit Abwanderung

Einige Industriebetriebe denken mangels Billig-Gas darüber nach, ihre Werke ins Ausland zu verlagern, zumal der Strom hierzulande auch nicht günstig ist. Es geht um energieintensive Branchen wie Chemie, Papier, Glas oder Baustoffe. Dass es anderen Industriezweigen keineswegs so schlecht geht, beweisen die Aktienkurse von Exportunternehmen und der jüngste Dax-Rekord. Defizite in der Infrastruktur, bei Digitalisierung, Elektrifizierung und dem Ausbau der Erneuerbaren könnten zu großen Problemen werden. Stand heute sind sie es noch nicht: dafür waren die letzten Geschäftszahlen noch zu gut. Was derzeit Wachstum kostet, sind die Flaute am Bau und der schwache Konsum, der auf die hohe Inflation zurückzuführen ist.

Trotz aller Defizite ein erstes Halbjahr mit vielen Rekordzahlen

Ein Beispiel mag die deutsche Automobilindustrie sein mit ihrem geringen Erfolg beim Verkauf von Elektrofahrzeugen. Für ihre fehlende Mobilitätswende wurde sie schon oft kritisiert. Dennoch schaffte der VW-Konzern im ersten Halbjahr weltweit noch ein Absatzplus von 18 Prozent. BMW und Mercedes erzielten ebenfalls noch hohe Milliardengewinne. Wie lange mag das noch gutgehen mit Deutschlands größter Industrie? Doch seit vielen Jahren schon stellen Autoexperten diese Frage, und bislang fand sich immer wieder ein neuer Weg, um den Menschen noch mehr Fahrzeuge zu verkaufen.

Autobauer, Maschinenbau und Elektroindustrie haben alle keinen Grund zur Klage

Auch die zweitgrößte Exportindustrie, der Maschinenbau, beklagt eigentlich schon immer Defizite in der Politik und am Standort Deutschland. Dennoch konnten viele Maschinenbauer in dieser mittelständisch geprägten Branche auch in diesem Jahr an ihre Rekorde aus den Vorjahren anknüpfen. Der größte Gewinner von allen aber ist die Elektroindustrie. Egal ob es um Globalisierung, Digitalisierung oder den Bauboom der letzten Jahre geht: Die Elektro-Branche versteht es offenbar, jeden Trend zu nutzen und mit am stärksten zu wachsen, sowohl im Inland als auch im Ausland.

BASF hat die Abhängigkeit von Russland auf die Spitze getrieben

Bleibt als Sorgenkind die Chemie- und Pharmaindustrie mit Branchenführern wie BASF. Den Pharmabereich muss man von jeglichem Krisengerede ausnehmen, da er sogar von der Corona-Pandemie durch die neuentdeckten Impfstoffe noch profitieren konnte. Bei BASF verhält es sich anders, weil die Explorations-Tochter Wintershall sich bei der Öl- und Gasförderung fast komplett von Russland abhängig machte und dort ihr Kerngeschäfts sah.

Russisches Gas versorgte übrigens immer auch das Stammwerk in Ludwigshafen, wo einige Geschäftsfelder sich nun nicht mehr rechnen. Dafür läuft es bei BASF in China umso besser, allerdings geriet der Konzern dort möglicherweise in ungleich größere Abhängigkeiten als in Russland. Das gilt auch für einige andere Branchen, wo wie in der Autoindustrie China der größte Zukunftsmarkt zu sein scheint.

Wo liegen dann die Gründe für weniger Wirtschaftswachstum?

In der Tat kommt es für viele exportorientierte Industrieunternehmen eher auf die Lage an ihren Zielmärkten an als auf die Situation hier bei uns im Inland. Solange der US-Markt boomt und die USA ihre Spitzenposition für deutsche Handelspartner verteidigen, zählt das für einige Hersteller mehr als das deutsche Bruttoinlandsprodukt. Das aktuell geringe Wachstum unserer Wirtschaftsleistung liegt weniger an der Industrie als vielmehr an einer sinkenden Inlandsnachfrage. Dabei spielt der Preisschock durch die Inflation eine entscheidende Rolle, die in Deutschland dummerweise auch höher ist als in vielen anderen Euroländern.

Dieser Preisauftrieb dämpft die Konsumlaune, lässt die Verbraucher sparsam werden und ihre Ausgaben im Zaum halten. Was an Mehrkosten beim Heizen anfällt, muss eben an anderer Stelle eingespart werden. Auch die hohen Zinsen wirken dabei wie eine Wachstumsbremse. Die teuren Kredite haben vor allem die boomende Bauwirtschaft ausgebremst, wie etwa beim Wohnungsbau. Wenn deutlich weniger gebaut wird und die privaten Ausgaben unter der Inflation leiden, ist kein nennenswertes Wirtschaftswachstum zu erwarten.

Im Video: Deindustrialisierung? Bayerische Wirtschaft unter Druck

Blick auf Maschinen in einem Betrieb
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk 2023
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Die Sorgen in der bayerischen Wirtschaft sind groß: Energiekosten, Bürokratie, Fachkräftemangel. CDU-Chef Merz warnte vor Deindustrialisierung.

Dieser Artikel ist erstmals am 02.08.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!