Volksverhetzung? Wolfgang Rothe, katholischer Priester in München, bringt die Causa um die AfD-Plakate vor Gericht.
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Volksverhetzung? Wolfgang Rothe, katholischer Priester in München, bringt die Causa um die AfD-Plakate vor Gericht.

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Plakate gegen Drag-Lesung: Münchner Priester zeigt Bayern-AfD an

Mit Plakaten ruft die Bayern-AfD zu einer Demo gegen eine Lesung von Drag-Queens für Kinder in München auf. Ein katholischer Priester hat deshalb Strafanzeige gegen die Partei gestellt: Die Künstler würden pauschal als Missbrauchstäter verunglimpft.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Er habe nicht lange überlegen müssen, sagt Wolfgang Rothe, als er gesehen habe, wie die AfD zur "Protestkundgebung" in München einlädt. "Mir war sofort klar, dass ich Anzeige erstatten muss", sagt der Priester gegenüber dem BR - zumal die Plakate, von denen der Priester im Pfarrverband München-Perlach spricht, unweit der Kirche hingen, in der er Gottesdienst feiert. Und gerade Christen, so sagt er, müssten bei "Hass und Hetze gegen queere Menschen" endlich klare Kante zeigen.

Deshalb hat Rothe bei der Münchner Staatsanwaltschaft nun Anzeige gegen den AfD-Landesverband Bayern erstattet – wegen des Verdachts auf Volksverhetzung durch deren Plakatierung, heißt es in der Anzeige, die dem BR vorliegt.

Zum Artikel: Getöse unterm Regenbogen: Darum geht es bei der Drag-Lesung

Queere und Drag-Queens als "Gefahr für Minderjährige"?

Auf dem Plakat, mit dem die AfD eine Demonstration in München ankündigt, heißt es: "Hände weg von unseren Kindern! Genderpropaganda verbieten!" Die weiße Schrift prangt vor einem Buben, dem sich von hinten ein geschminkter Mann mit Bart und langen Haaren nähert und eine Hand nach dem Kind ausstreckt. "Dadurch wird suggeriert, dass von queeren Menschen beziehungsweise Drag-Queens pauschal eine Gefahr für Minderjährige ausgehe", so interpretiert es Rothe. "Insofern werden durch das Plakat queere Menschen beziehungsweise Drag-Queens pauschal als potentielle Missbrauchstäter und damit zugleich auch als potentielle Straftäter verunglimpft."

Das Plakat ruft zum Protest gegen eine Lesung für Familien mit Kindern ab 4 Jahren auf, zu der die Stadtbibliothek München-Bogenhausen am Dienstag einlädt – unter dem Titel "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt". Dabei wird die Münchner Drag-Queen Vicky Voyage mit weiteren Beteiligten aus der queeren Szene aus Bilderbüchern vorlesen, die "unabhängig vom Geschlecht" von "Jungs in Kleidern, Prinzessinnen mit ihrem eigenen Willen, den Farben Blau und Rosa, von Kaninchen und Füchsinnen, dem Entdecken der eigenen Freiheit und vielem mehr" erzählen.

Drag-Lesungen nach US-amerikanischem Vorbild

Derlei gendersensible Lesungen mit queerem Fokus haben ihren Ursprung in den USA: Die erste "Drag Queen Story Hour" gab es dort bereits 2015 in San Francisco, nachdem die Autorin Michelle Tea Anstoß an der weithin heteronormativen Literaturwelt für Kinder genommen hatte. In der Folge entwickelten sich Lesungen von Drag Queens zum landesweiten Erfolg – nicht ohne Gegenwind: Die American Library Association sah sich etwa einer Petition mit 100.000 Unterschriften konfrontiert, solche Lesungen für Kinder zu untersagen; die Petition hatte letztlich keinen Erfolg. Im US-Bundesstaat Montana hingegen wurden Lesungen von Drag Queens erst im Mai verboten, weil sie angeblich "lustvolle Gedanken erregen".

In eine ähnliche Richtung denkt man offenbar auch im AfD-Landesverband Bayern. Auf BR-Anfrage teilt der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands München Ost, Rene Dierkes, als Anmelder der Kundgebung mit: "Kritisch hinterfragt werden muss, ob derartige 'Genderveranstaltungen' mit dem Kindeswohl vereinbar sind (aus unserer Sicht sind sie nicht!) oder nicht aus Gründen des Kindes- und Jugendschutzes verboten werden müssten." Die Diskussion um das Plakat-Motiv hält Dierkes für "aufgebauscht"; auch sei es "auf keinen Fall 'homophob', vor allem auch nicht gegen queere Personen gerichtet".

Der Kern der Kritik sei "die psychische Belästigung von Kindern mit Inhalten, die der Indoktrination durch Genderpropaganda und der Frühsexualisierung dienen".

Theologin: "Kindgemäßes Aufklären schützt Kinder"

Die Argumentation überrascht die Theologin Doris Reisinger wenig. Sie forscht an der Goethe-Universität in Frankfurt an Main unter anderem zu den Themen Geschlechterrollen und Missbrauch. Hinter der "Stimmungsmache gegen Drag-Lesungen" stehe "ein Kulturkampf, der fundamentale Entwicklungen in der Sexualethik rückgängig machen will", sagt die Theologin auf BR-Anfrage. "Man möchte zurück zu einer Moral, die ausschließlich auf die heterosexuelle Ehe ausgerichtet ist. Sexuelle Selbstbestimmung lehnt man dagegen ab, und mit ihr die Ermächtigung von Frauen, LGBTQI+ und nicht zuletzt Kindern." Dabei sagt die Theologin: "Wir wissen, dass kindgemäßes Aufklären Kinder schützt. Es hilft ihnen nicht nur, sich in ihrer eigenen Entwicklung zu orientieren, sondern auch, Übergriffe als solche zu erkennen."

Für den Priester Wolfgang Rothe ist es umso schlimmer, dass gendersensible Aufklärung von Kindern oftmals von Christen torpediert wird – nicht nur in den USA. "Die Bibel und die christliche Tradition darf nicht länger für Hass und Hetze gegen queere Menschen missbraucht werden. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten." Deshalb die Anzeige; und deshalb beteiligt auch Rothe sich an einer Demo – freilich nicht der "Protestkundgebung" der AfD, sondern an der Gegen-Demo des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung.

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