Freie-Wähler-Chef Aiwanger in Erding
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Freie-Wähler-Chef Aiwanger in Erding

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Den Bogen überspannt? Aiwanger nach Heizungsdemo im Kreuzfeuer

"Die Demokratie zurückholen", "Berliner Chaoten" vor sich hertreiben: Die Wortwahl von Hubert Aiwanger bei einer Demo in Erding stößt parteiübergreifend auf Kritik, der Freie-Wähler-Chef verteidigt sie. Wie viel AfD steckt in seinen Aussagen?

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Hubert Aiwanger kann die ganze Aufregung um seine Anti-Ampel-Rede nach eigenem Bekunden nicht verstehen. "Wir müssen die Sprache des Volkes sprechen", sagt der bayerische Vize-Ministerpräsident im BR-Interview. "Ich will weiterhin die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung vertreten." Dass er Applaus von der falschen Seite bekommen habe, findet Aiwanger nicht: "Ich habe Applaus bekommen von 13.000 Menschen."

Nach Meinung mehrerer SPD- und Grünen-Politiker dagegen hat der Freie-Wähler-Chef sich bei der Anti-"Heizungsideologie"-Demonstration in Erding schlicht an AfD-Wähler angebiedert. Aiwanger könne bald als "Vorgruppe auf AfD-Demos auftreten", twitterte beispielsweise der bayerische SPD-Landesvorsitzende Florian von Brunn. Für Grünen-Fraktioschef Ludwig Hartmann hat Aiwanger "jeglichen Anstand unter Demokraten mit Füssen getreten", sein FDP-Kollege Martin Hagen sieht ein "ganz erschreckendes Demokratieverständnis" beim Vize-Ministerpräsidenten.

Auch beim Koalitionspartner CSU löste die Rede Unmut aus. Am Wochenende äußerte sich zunächst Landtagspräsidentin Ilse Aigner kritisch, heute fand Staatskanzleichef Florian Herrmann deutliche Worte: "Populismus am rechten Rand ist brandgefährlich und gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt." Aiwangers Wortwahl sei "unangemessen".

Parallelen zu Gauland und Trump

Auf Kritik stoßen besonders jene Sätze Aiwangers, durch die sich Beobachter an AfD-Rhetorik erinnert fühlen. Die Mitte der Gesellschaft werde die "Berliner Chaoten vor sich hertreiben", rief der Freie-Wähler-Chef beispielsweise. "Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss."

Bereits 2017 hatte der AfD-Politiker Alexander Gauland nach der Bundestagswahl angekündigt: "Wir werden sie jagen." Und er fügte hinzu: "Wir werden uns unser Land zurückholen." Auch Donald Trump nutzte den Slogan "We will take our country back" und insinuierte damit, dass das Land von jemandem "gestohlen" worden sei.

Aiwanger wehrt sich: "Das haben Sie erfunden"

Aiwanger selbst streitet im BR-Interview eine solche Stoßrichtung ab. "Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass die Demokratie geklaut worden sei, das haben Sie jetzt erfunden." Er habe lediglich gesagt, dass die Mehrheit sich jetzt die Demokratie zurückholen müsse, beispielsweise bei diesem Heizungsgesetz, das "80 Prozent der Bevölkerung" ablehnten.

In der Parallele zu den Aussagen Gaulands sieht Aiwanger kein Problem: Er lasse sich nicht den Mund verbieten, "nur weil ein AfDler vor angeblich sechs Jahren einen ähnlichen Satz gesagt" habe, betont der Wirtschaftsminister im BR-Interview. "Morgen wird der Gauland sagen, wir sollen in Lederhose aufs Oktoberfest gehen, dann dürfen wir nicht mehr mit Lederhose aufs Oktoberfest gehen." Man dürfe der AfD nicht die Deutungshoheit über bestimmte Sätze geben.

Aiwangers Medienschelte

Auch die Presse ging der Chef der Freien Wähler in Erding ähnlich harsch an, wie es die AfD regelmäßig vormacht. Er habe die Nase voll davon, in Zeitungen und im Radio "nur links-grünen Gender-Gaga" vorgesetzt zu bekommen, rief Aiwanger. Seine "klare Ansage" an die Medien laute: "Stellt euch endlich an die Seite der normalen Bevölkerung!" AfD-Vertreter gehen hier meist noch einen Schritt weiter und bezichtigen die Medien als gelenkt und gleichgeschaltet.

Mit Blick auf die Bundesregierung wittert Aiwanger einen Plan: "Ich sag euch eines, das ist nicht Dummheit, das ist Absicht: Die wollen dieses Land spalten, die wollen dieses Land an die Wand fahren." Falls die Bundesregierung noch einen "Funken Anstand" besitze, solle sie zurücktreten.

Auch ein solches Wording wird häufig von AfD-Politikern genutzt. So wetterte beispielsweise der bayerische Landtagsabgeordnete Gerd Mannes (AfD) im vergangenen Oktober, dass die Regierung "in kürzester Zeit ein ganzes Land absichtlich an die Wand fährt". Weshalb die Regierung absichtlich das Land "an die Wand fahren" sollte, führen Mannes und Aiwanger nicht weiter aus.

AfD sieht sich von Aiwanger kopiert

Nicht nur CSU, SPD und Grüne werfen Aiwanger Anbiederung an AfD-Anhänger vor. Auch die Partei selbst erkennt eigene Positionen wieder: Die AfD-Landtagsfraktion wirft Aiwanger vor, ihre eigenen Aussagen teilweise "im Wortlaut" zu kopieren und "Populismus und Wählertäuschung" zu betreiben. Der Wirtschaftsminister eigne sich kurz vor der Landtagswahl "schamlos unsere Forderungen" an, teilt Vize-Fraktionschef Gerd Mannes mit.

Aiwanger habe nicht nur die energiepolitischen Positionen der AfD, sondern "ganze Aussagen im Wortlaut" von ihm übernommen. Als Beispiel nennt der schwäbische AfD-Politiker Aussagen im AfD-Portal "Schwaben heute". Dort habe Mannes in einem Interview erklärt, "wie die Regierung unser Land absichtlich an die Wand fährt". Genau diese Aussage habe der Minister "wortgleich übernommen", so der AfD-Abgeordnete.

Politologe: Redet dem einfachen Mann nach dem Munde

Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter sieht bei Aiwanger eine Neigung, polemisch und "dem einfachen Mann nach dem Munde" zu reden. Gleichzeitig bemühe sich der FW-Chef, Themen und Wähler nicht der AfD zu überlassen: "Aiwanger hat natürlich einen sehr populistischen und polemischen Akzent gesetzt, aber er hat natürlich auch Wahrheiten angesprochen", sagt Oberreuter BR24. Beispielsweise, dass die Technologie für Wärmepumpen umstritten und die Leute höchst verunsichert seien. Die Innovationspolitik der Ampel treffe in der Öffentlichkeit auf erhebliche Ablehnung, wie Umfragen zeigten.

Auch Skepsis gegenüber Medien im Allgemeinen sei in der Bevölkerung vorhanden, so der Politikwissenschaftler. "Er hat natürlich stark übertrieben und das nimmt seiner Aussage eine gewisse Wirksamkeit."

Aiwangers Wahlkampf-Strategie

Zwar verschärfte Aiwanger in Erding den Ton deutlich – in der Sache aber entsprach seine Rede einer Strategie, die der Minister schon seit Monaten verfolgt: Er hofft, durch markige Sprüche zu Reizthemen wie "Gender-Zwang", "Winnetou-Verbot" und "Klimahysterie" potenzielle AfD-Wähler für die Freien Wähler zu gewinnen. Aus diesem Grund setzt Aiwanger im Landtagswahlkampf auf Dauerattacken auf die Grünen. Sein Kalkül: Je schwächer die Grünen im Freistaat, desto komfortabler die Mehrheit für CSU und Freie Wähler.

Direkte Angriffe auf die AfD überlässt Aiwanger vorwiegend seinen Parteifreunden oder dem Koalitionspartner CSU. Auf der Demo in Erding war es Söder, der deutliche Worte an die Adresse der AfD-Anhänger unter den 13.000 sehr bunt gemischten Demonstranten richtete. Als er wegen Buh-Rufen seine Rede unterbrechen musste, rief der Ministerpräsident: "Die AfD bewegt nichts, sie bringt nur Schaden für unser Land."

Zwar ging auch Söder in Erding einmal mehr mit den Heizungsplänen der Ampel hart ins Gericht und warf den Grünen eine Politik "nur mit Ideologie" und "ohne Vernunft" vor. Insgesamt schlug er aber viel gemäßigtere Töne als Aiwanger an - und auch Söders eigene Wortwahl war schon mal deutlich zugespitzter.

"Spiel mit dem Feuer des Populismus"

Nach Meinung der Politikwissenschaftlerin Ursula Münch dürfte den meisten Rednern auf der Erdinger Demonstration klar geworden sein, "dass dieses Spiel mit dem Feuer des Populismus für seriöse Politiker oder Veranstalter nicht zu gewinnen ist". Die Schreihälse spielten ihr eigenes Spiel: "Entweder man wird einer von ihnen, oder man wird übertönt", sagte Münch der Deutschen Presse-Agentur. Für Demokraten sei auf solchen Veranstaltungen kein Blumentopf zu gewinnen. "Deshalb lassen diese besser die Finger davon."

10.06.2023, Bayern, Erding: Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister und Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern, spricht bei einer Demonstration gegen die Klima-Politik der Ampelregierung unter dem Motto ·Stoppt die Heizungsideologie·. Foto: Matthias Balk/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Demonstration gegen Klima-Politik der Ampelregierung

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