ARCHIV - 07.11.2019, Berlin: Sahra Wagenknecht, damals Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, steht im Bundestag am Rande eines dpa-Interviews. (zu dpa: Dauerstress bei der Linken wegen möglicher Wagenknecht-Partei) Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Sahra Wagenknecht

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Mit oder ohne Wagenknecht? Wie sich die Linke weiter zerlegt

Für die Parteispitze der Linken ist das Maß voll: Sie bricht nach langem Streit mit Sahra Wagenknecht. Doch Ruhe kehrt damit nicht ein – im Gegenteil.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Über viele Monate hat die Führung der Linken ausweichend geantwortet, wenn sie nach dem Umgang mit Sahra Wagenknecht gefragt wurde. Bis zum zurückliegenden Wochenende: Da hat der Parteivorstand einstimmig einen Beschluss gefasst, mit dem das Gremium um das Spitzenduo Janine Wissler und Martin Schirdewan den Bruch mit der prominenten Bundestagsabgeordneten vollzieht. Der entscheidende Satz in dem Papier: "Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht."

Wissler: Beschluss zu Wagenknecht ist "Stoppschild"

Zu lange habe sich die Linke mit sich selbst beschäftigt, sagt Wissler am Montag in der Berliner Parteizentrale. Zwei Tage nach dem Trennungsbeschluss wirkt sie entschlossen – und auch ein bisschen erleichtert darüber, dass der Bruch mit Wagenknecht jetzt besiegelt ist. Nach Wisslers Worten ging es dem Parteivorstand darum, "deutlich ein Stoppschild aufzuzeigen und zu sagen: Das geht so nicht!"

Wagenknecht will bis Jahresende über Neugründung entscheiden

Damit meint die Co-Chefin der Linken Wagenknechts öffentliche Überlegungen dazu, womöglich eine neue Partei zu gründen. Wissler zufolge laufen schon entsprechende Vorbereitungen: Strukturen für eine Konkurrenzpartei würden geschaffen, Ressourcen abgezogen – und es gebe Versuche, bisherige Linke-Mitglieder abzuwerben. Wagenknecht selbst hat allerdings mehrmals beteuert, noch nicht über eine Neugründung entschieden zu haben. Bis zum Jahresende will die 53-Jährige Klarheit schaffen.

Linke-Vorstand fordert Wagenknecht zu Mandatsverzicht auf

Doch so lange will der Parteivorstand nicht warten. Schließlich stehen im Herbst Landtagswahlen in Bayern und Hessen an. Und mit der Europawahl im nächsten Jahr kommt ein wichtiger bundesweiter Stimmungstest hinzu. Vor diesem Hintergrund könne man nicht zulassen, "dass dieses Damoklesschwert weiter über der Partei hängt", findet Wissler. Deshalb die Aufforderung an Wagenknecht und ihre Unterstützer in der Bundestagsfraktion, den Parlamentssitz aufzugeben und den Weg für Nachrücker freizumachen.

Wagenknecht-Unterstützer kritisieren Beschluss

Eine "Kampfansage" sei das, sagt Klaus Ernst im Gespräch mit BR24. Und die richte sich "nicht nur an Sahra Wagenknecht, sondern an große Teile der Partei und der Fraktion". Der Schweinfurter Abgeordnete gehört zu denen in der Fraktion, die hinter Wagenknecht stehen. Ob er nun daran denkt, sein Mandat abzugeben? "Das mache ich keinesfalls", sagt Ernst. Die Partei habe ihn zwar als Kandidat aufgestellt, "aber gewählt worden bin ich von den Bürgern in Schweinfurt". Damit weist Ernst die Lesart der Berliner Zentrale zurück, wonach die Abgeordneten ihr Mandat letztlich der Partei zu verdanken hätten.

Parteivorstand sieht breite Unterstützung

Der 68-Jährige greift nun seinerseits die Parteispitze an: "Der gesamte Parteivorstand sollte zurücktreten." Für Wissler kommt ein Rückzug aber nicht infrage. "Wir verteidigen diese Partei", sagt die Co-Chefin der Linken. Im Übrigen sieht sie eine breite Unterstützung für den Beschluss zum Umgang mit Wagenknecht – insbesondere unter Landesverbänden.

Kritik aus Bundestagsfraktion an Wagenknecht-Beschluss

In der Fraktion aber brodelt es. Das zeigen nicht nur die Einlassungen von Ernst. Auch Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali kritisiert die Parteispitze. Auf Twitter nennt sie den Beschluss "einen großen Fehler und einer Partei unwürdig, die sich Solidarität und Pluralität auf die Fahnen schreibt". Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch kann dem Beschluss ebenfalls nichts abgewinnen: Nach ihren Worten führt er zu keiner Lösung. "Und vor allen Dingen ist er in der Sache wirkungslos", sagt Lötzsch im ZDF-Interview. Schließlich könne Wagenknecht selbst darüber entscheiden, ob sie ihren Parlamentssitz zur Verfügung stellt. Und dafür gibt es bisher keine Anzeichen.

Wagenknecht will Beschluss nicht kommentieren

Auf BR24-Anfrage teilt Wagenknechts Büro mit, dass sich die Abgeordnete nicht zu dem Beschluss äußere. Gleichzeitig verweist das Büro auf eine Erklärung von Ernst und einem weiteren Abgeordneten, in der Wagenknecht zum Weitermachen aufgefordert wird. Nach Rückzug klingt das nicht.

Fazit: Mit dem Beschluss vom Wochenende hat der Parteivorstand insofern Klarheit geschaffen, als sich das Gremium nach langem Ringen eindeutig positioniert hat. Die Reaktionen aber zeigen, dass die innerparteiliche Machtfrage weiter ungeklärt ist. Und so ringt die Linke nach wie vor darum, was sie eigentlich sein will: Eine politische Kraft, die soziale Gerechtigkeit genauso wichtig findet wie Klimaschutz und Gleichberechtigung? Oder eine Partei, die eine klassisch linke Sozial- und Wirtschaftspolitik mit eher konservativen Positionen in der Einwanderungspolitik und bei Minderheitenrechten vertritt? Ein grundlegender Konflikt, der auch nach dem Vorstandsbeschluss das Potenzial zur Spaltung in sich birgt.

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