Archivbild: Martin Huber, Manfred Weber und Markus Söder
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CSU-Sorgen vor der Europawahl: Rechnung mit vielen Unbekannten

Die CSU stellt auf einer Delegiertenversammlung in Nürnberg die Weichen für die Europawahl im nächsten Jahr. Neben der AfD will Parteichef Söder auch die Freien Wähler im Wahlkampf härter angehen. Die Christsozialen zeigen sich nervös.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die CSU-Spitze ist besorgt. Nachdem sich die Verluste der Partei bei der Landtagswahl in Grenzen hielten und die neue bayerische Regierung gerade im Amt ist, steht schon die nächste große Aufgabe an: ein dickes Minus bei der Europawahl im Juni 2024 zu verhindern. Die Herausforderung dort sei größer, sagte CSU-Chef Markus Söder dazu kürzlich. "Warum? Weil immer noch viele Menschen glauben, 'da kann man mal anders wählen'." Auch CSU-Generalsekretär Marin Huber befürchtet, dass wegen der großen Unzufriedenheit in der Bevölkerung so mancher bei der Europawahl versucht sein könnte, "Protest zu formulieren".

Zwar war schon das Europawahlergebnis von 2019 für frühere CSU-Verhältnisse vergleichsweise schwach - dennoch sticht es mit 40,7 Prozent und einem leichten Plus positiv heraus: Bei allen anderen Urnengängen seit Söders Amtsantritt - ob bei den Kommunalwahlen (34,5 Prozent), der Bundestags- (31,7 Prozent) oder Landtagswahl (37,0 Prozent) - lagen die Christsozialen deutlich unter der 40-Prozent-Marke und mussten jeweils das schlechteste Resultat seit Jahrzehnten hinnehmen. Wird sich die Europawahl 2024 in diese Negativserie einreihen? Hinter der traditionellen "Mir san mir"-Haltung der CSU ist jedenfalls Nervosität zu erkennen. Auf einer Delegiertenversammlung in Nürnberg will die Partei am Samstag nun die Weichen für einen erfolgreichen Europawahlkampf stellen.

Das Experiment mit Gauweiler

Es soll ein pro-europäischer Wahlkampf werden: Laut Generalsekretär Martin Huber will die CSU deutlich machen, dass die EU Frieden, Freiheit und Wohlstand sichere. "Gerade wir in Bayern profitieren enorm von der EU." Ein klares Bekenntnis, mit dem sich die CSU auch gegen die AfD positionieren will, wie Europapolitiker Manfred Weber dem BR sagt: "Europa ist unter Druck, weil Politiker auftreten, die es zerstören wollen." Er verweist auf die Aussage des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, dass die EU sterben müsse, damit das wahre Europa leben könne. Die CSU will laut Weber dagegen ein starkes Europa.

Das klang auch bei der CSU nicht immer so. Vor zehn Jahren versuchte es der damalige Parteichef Horst Seehofer mit der Strategie "dafür und gleichzeitig dagegen". Er stellte dem damaligen Spitzenkandidaten und Europaabgeordneten Markus Ferber im Wahlkampf den EU- und Euro-Kritiker Peter Gauweiler zur Seite, der die EU-Kommission als "Flaschenmannschaft" verspottete. Eine Doppelstrategie, die nicht aufging: Die CSU stürzte 2014 von 48,1 auf 40,5 Prozent ab.

"Wir setzen auf die Karte Manfred Weber"

2024 will die CSU wie schon 2019 auf den überzeugten Europäer Manfred Weber setzen. Der Niederbayer soll in Nürnberg erneut zum Spitzenkandidaten gewählt werden - wenn auch unter anderen Vorzeichen. 2019 war Weber zugleich Spitzenkandidat der gesamten konservativen Europäischen Volkspartei und trat mit dem Ziel an, EU-Kommissionspräsident zu werden. Daraus wurde nichts: Im Europaparlament gelang es Weber nicht, eine Mehrheit für sich zu organisieren, bei den Staats- und Regierungschefs gab es starke Widerstände. Als Kompromisslösung wurde Ursula von der Leyen (CDU) präsentiert. Weber zog sich für ein paar Wochen zurück, um die Niederlage zu verdauen - und kehrte mit Vollbart und neuer Entschlossenheit auf die politische Bühne zurück.

Dieses Mal beschränkt sich seine Spitzenkandidatur auf Bayern. "Wir setzen auf die Karte Manfred Weber", verkündete Söder. "Egal, ob er jetzt Kommissionspräsident war oder nicht, er ist die stärkste bayerische politische Figur in Europa." Der 51-Jährige ist nicht nur weiterhin Fraktionschef der EVP im Europaparlament, sondern seit eineinhalb Jahren auch Vorsitzender der Europäischen Volkspartei.

Gibt es eine Kampfabstimmung?

Auch die Listenplätze hinter Weber sollen auf dem Parteitag vergeben werden. Der CSU-Vorstand hat eine Reihung vorgeschlagen, am Samstag haben die Delegierten das Wort. Sechs Christsoziale sitzen aktuell im Europaparlament, sechs sollen es möglichst wieder werden. Für die entscheidenden Listenplätze vorgesehen sind die Abgeordneten Angelika Niebler, Christian Doleschal, Monika Hohlmeier und Markus Ferber sowie Bauernverbandsfunktionär Stefan Köhler.

Für Wirbel sorgten diese Woche Berichte, die unterfränkische CSU gebe sich mit Platz sechs für Köhler möglicherweise nicht zufrieden - es drohe eine Kampfabstimmung um den fünften Listenplatz. Manche werten das als Indiz dafür, wie groß in der Partei die Sorge ist, dass die CSU bei der Europawahl deutlich schlechter abschneiden und nur noch fünf Mandate erreichen könnte.

Die Freien Wähler im Visier

Als zentrales Problem sehen die Parteistrategen den Wettstreit mehrerer Parteien um bürgerlich-konservative Wähler. Daher sollen im Europawahlkampf die AfD und darüber hinaus auch die Freien Wähler verstärkt ins Visier genommen werden. Bei der Landtagswahl waren rund 260.000 Stimmen von der CSU zu den Freien Wählern gewandert, umgekehrt nur 120.000. Söder musste sich parteiintern Kritik anhören, den Koalitionspartner zu sanft behandelt zu haben.

Für den Europawahlkampf kündigt die CSU eine klare Abgrenzung von den FW an. Weber spricht im BR-Interview von einem "CSU-pur-Wahlkampf". Es gelte deutlich zu machen, dass die CSU die einzige Partei sei, die in Europa bayerische Interessen durchsetzen könne. Söder hob hervor, dass bei den FW auf den ersten Listenplätzen nur eine Bayerin stehe, neben "allen möglichen Leuten aus ganz Deutschland". Um die Bayern-Karte voll ausspielen zu können, plant die CSU zusätzlich zum gemeinsamen Europawahlprogramm mit der CDU noch eine eigene "Bayern-Agenda".

Dabei will die CSU durchaus anprangern, was aus ihrer Sicht in Brüssel schiefläuft - und die Kritik an bestimmten EU-Entscheidungen nicht den Freien Wählern um Hubert Aiwanger mit seiner Anti-Establishment-Rhetorik überlassen. Söder hat deswegen die bisherige bayerische Europaministerin Melanie Huml durch Eric Beißwenger (beide CSU) ersetzt. Dieser soll eine "kantigere Vertretung" Bayerns in Brüssel sicherstellen.

Migrationspolitik: Ein Balanceakt für Söder

Thematisch will die CSU die Migrationspolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfs rücken. Söder macht vor allem Druck auf die Bundesregierung, das deutsche Asylrecht zu verschärfen. Weber konzentriert sich auf die europäische Perspektive: EU-Abkommen mit Staaten wie Tunesien, Asylprüfungen an den EU-Außengrenzen, zügige Rückführung von Menschen ohne Bleibeperspektive.

Die CSU-Spitze ist überzeugt: Nur wenn es gelinge, die Zahl der Migranten signifikant zu begrenzen, lasse sich der weitere Aufschwung der AfD in Deutschland verhindern. Insbesondere für Söder ist das ein Balanceakt: Entschlossenheit demonstrieren, ohne sich der AfD rhetorisch zu sehr anzunähern. Auf welche Tonalität Söder und Weber setzen, wird sich auch beim Parteitreffen in Nürnberg zeigen. Beide halten dort eine Rede.

Geht die Strategie der Abgrenzung vom eigenen Koalitionspartner in den nächsten Monaten auf? Gelingt die Mobilisierung? Ist Manfred Weber noch ein starkes Zugpferd? Wie gut klappt die Auseinandersetzung mit der AfD? Wie wird es sich auf das Ergebnis auswirken, dass erstmals in Deutschland auch 16- und 17-Jährige bei einer Europawahl abstimmen dürfen? Und schaffen es die EU-Staaten bis zur Wahl, sich bei den Herausforderungen in der Migrations- und Wirtschaftspolitik auf gemeinsame Lösungen zu verständigen? Es bleibt eine Rechnung mit vielen Unbekannten.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

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