Streik im Groß- und Einzelhandel
Bildrechte: BR / Daniel Peter

Bayernweiter Streik im Groß- und Einzelhandel. In Nürnberg gingen rund 300 Beschäftigte auf die Straße.

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Bayernweite Streiks im Handel: "Geld reicht nicht zum Leben"

In Bayern hat die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten zum Streik im Handel aufgerufen. 2.000 Beschäftigte sind dem Aufruf gefolgt, so auch in Nürnberg und Augsburg. Sie alle treibt finanzielle Angst und Sorge vor Altersarmut auf die Straße.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Seit April laufen die Tarifverhandlungen im Einzel- und Großhandel in Bayern – aber bisher konnten sich die Verhandlungspartner kaum annähern. Deshalb hat die Gewerkschaft Verdi auch an diesem Dienstag wieder bayernweit die Beschäftigten im Handel zu Streiks aufgerufen. 2.000 Beschäftigte sind dem Aufruf gefolgt.

Obwohl es die bisher größte Streikbewegung in diesem Bereich laut Verdi ist, habe sich bisher nicht viel getan. Die Beschäftigten litten zum Teil massiv unter den derzeitigen Bedingungen, die gestiegenen Preise in vielen Lebensbereichen brächten viele in Existenznöte, auch vor Altersarmut hätten viele Beschäftigte Angst, so die Gewerkschaft.

500 Teilnehmer bei Demonstrationszug in Augsburg

So versammelten sich in Augsburg rund 500 Menschen auf dem Plärrergelände, um von dort aus durch die Innenstadt zu ziehen. Thomas Gürlebeck, der Verdi-Verhandlungsführer Großhandel, zeigte sich "hochzufrieden" mit der Beteiligung am Streik in Schwaben. "Nach sechs Monaten Arbeitskampf haben wir kaum Schwund bei den Streikwilligen, das ist bemerkenswert." Die Stimmung bei den Streikenden sei unvermindert kämpferisch und entschlossen. Auch in Würzburg und in Oberbayern wurde am Vormittag gestreikt.

Demo in Nürnberg: Lohn reicht den Beschäftigten nicht aus

Am Nürnberger Kornmarkt kamen mehr als 300 Menschen aus unterschiedlichen mittelfränkischen Unternehmen zusammen. Unter dem Motto: "Süßes sonst gibt’s Saures – Gerechte Löhne für Knochenjobs" liefen die Demonstrierenden durch die Nürnberger Innenstadt. Im Gespräch mit ihnen wurde deutlich: Die Ängste der Streikenden sind existenziell und betreffen auch das Alter.

Große finanzielle Nöte und Ängste

Etwa bei Vera, einer 40-jährigen Teilzeitkraft bei Karstadt. Seit ihrer Ausbildung sei sie dort angestellt, allerdings nie Vollzeit: "Meine Verträge waren immer befristet." Seit über 20 Jahren arbeitet sie nun schon bei Karstadt, doch so schwer wie aktuell sei es noch nie gewesen. Alle Kosten seien gestiegen, sie habe ein sechsjähriges Kind und bekomme 1.300 Euro netto raus, das reiche nicht aus, sagt Vera. "Ich habe keine Reserven. Die ganze Situation finde ich traurig und bedrückend."

Angst vor der Altersarmut: Arbeiten auch nach der Rente?

Daneben steht eine ältere Frau, ihren Namen will sie nicht verraten. Sie arbeite in der Fleischabteilung einer Marktkauf-Filiale. Bald gehe sie in Rente, doch sie weiß nicht, ob das Geld reichen werde. Vermutlich muss sie auch in ihrer Rente nebenher woanders arbeiten gehen. Schon jetzt sei es schwierig: "Derzeit ist es sehr knapp, an Urlaub ist nicht zu denken und wenn ich mir etwas Größeres anschaffen will, muss ich mir das genau überlegen." Auch wenn sie gerne Vollzeit arbeiten würde, das Unternehmen biete ihr nur Teilzeit an.

Hoher Druck, immer weniger Angestellte und unfreundliche Kunden

Die 59-jährige Christine arbeitet an der Kasse bei Ikea, ist Teamassistentin. Seit 33 Jahren sei sie hier beschäftigt. Neben dem niedrigen Lohn stört sie, dass an der Kasse zu wenig Leute arbeiten, es werde alles digitalisiert, etwa mit SB-Terminals. Nicht alle Kunden wollten diese nutzen: "Dann werden wir angeschrien, wenn es nicht so schnell geht. Die Kunden werden immer aggressiver." Gleichzeitig höre man davon, wie der Konzern Milliardengewinne mache. Ähnliche Erfahrungen teilt auch Iris, die seit 33 Jahren Kassiererin bei Metro ist. Sie seien inzwischen nur noch zu dritt an den Kassen. Sie hätten so viele Kranke, doch es würde nicht nachbesetzt werden. Beide machen sich große Sorgen um ihre Rente. Viele der Geschichten, die einem die Streikenden erzählen, ähneln sich an diesem Tag.

90 Prozent der Beschäftigten haben weniger als 1.000 Euro Rente

Jaana Hampel leitet als Gewerkschaftssekretären bei Verdi Mittelfranken den Streik in Nürnberg. Ihrer Meinung nach ist es unterirdisch, was die Arbeitgeberseite derzeit anbiete. 4,5 bis 5,3 Prozent mehr Lohn für 2023 und 2,9 bis 3,1 Prozent mehr für 2024. Das alles befristet auf zwei Jahre. Das reiche bei Weitem nicht aus. Die Gewerkschaft fordert 2,50 Euro mehr pro Stunde für Beschäftigte im Einzelhandel und 13 Prozent mehr im Großhandel.

Viele lebten jetzt schon auf Pump, obwohl sie voll arbeiteten. Sie höre von Beschäftigten, die einen Kredit aufnehmen mussten, um ihre Heizölrechnung bezahlen zu können. Was Jaana Hampel am meisten am Herzen liegt: 90 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel würden mit weniger als 1.000 Euro pro Monat Rente auskommen müssen. "Die gehen so direkt in die Altersarmut."

Streiks notfalls auch während des Weihnachtsgeschäfts

Bei der Demonstration in Nürnberg waren Beschäftigte unter anderem von Galeria Karstadt Kaufhof, den H&M Filialen in Mittelfranken, Rewe und Penny, Metro, Kaufland, Edeka sowie Ikea dabei. Bayernweit wurden auch einige Zentrallager bestreikt. Jaana Hampel hofft, dass man sich bei der kommenden Tarifrunde endlich mit den Arbeitgebern einigt. Sollte es dann immer noch zu keinem Ergebnis gekommen sein, sei man auch bereit, während des Weihnachtsgeschäfts zu streiken. "Dann sehen wir, wer am längeren Hebel sitzt", gibt sich die Gewerkschaftssekretärin kämpferisch.

Verhandlungen gehen in die achte Runde

Die Tarifverhandlungen im bayerischen Groß- und Außenhandel gehen am 21. November in die achte Runde. Die Tarifverhandlungen im bayerischen Einzelhandel werden am 11. Dezember und im Buchhandel am 30. November fortgesetzt.

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