Cem Oezdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung und Staatsministerin Michaela Kaniber (CSU)
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Vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober spielt das Thema Landwirtschaft eine auffällig große Rolle.

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Buhlen um Bauern – so wichtig nehmen Parteien die Landwirtschaft

Vor der bayerischen Landtagswahl im Oktober spielt das Thema Landwirtschaft eine auffällig große Rolle - obwohl für die Parteien bei den Bäuerinnen und Bauern selbst gar nicht allzu viele Stimmen zu holen sind. Woran liegt das?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ministerpräsident Markus Söder hält gemeinsam mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (beide CSU) ein Ferkel in die Kamera. An einem anderen Tag stellen sie sich vor einen Mähdrescher - oder Söder posiert mit Motorsäge. Um eine Botschaft zu transportieren, die Söder auch laut ausspricht: "Uns ist wichtig, dass wir mit der Landwirtschaft und nicht gegen die Landwirtschaft sind!"

Ähnlich agiert Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (FW), der ja selbst Landwirt ist. Er nutzt unter anderem das Thema Heizungsgesetz, um immer wieder zu betonen, wie dankbar das Land sein müsse, dass die Landwirte und Waldbauern den Rohstoff Holz zur Verfügung stellen. Intensiver als bei vergangenen Wahlkämpfen bemühen sich auch die Spitzen des Staates selbst bei kleineren Ortsterminen um die Bauern und ihr Milieu.

Auch die Grünen bemühen sich um die Bauern

Das gilt auch für die andere Seite des politischen Spektrums: Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann arbeitet daran, Sympathie zurückzugewinnen. Dazu diskutiert er mit Bauern über mehr Holz im Heizungsgesetz, er besucht Winzer und Käsereien. Und setzt sich dafür ein, dass in kleinen Milchviehbetrieben die Anbindehaltung nicht ganz verboten wird. "Bayerns Bauernhöfe sind Teil unserer Kultur", sagt er. "Felder, Wiesen und Wälder prägen unsere Landschaft. Unsere Landwirte sichern unsere Ernährung."

Landwirtschaft wird im Wahlkampf wichtiger

Jasmin Riedl, Politikwissenschaftlerin an der Universität der Bundeswehr in München, verfolgt mit Hilfe künstlicher Intelligenz den Wahlkampf der Parteien auf Social Media. Auch sie stellt fest, dass Themen rund um die Landwirtschaft Konjunktur haben und in letzter Zeit sogar tendenziell noch wichtiger geworden sind. Landwirtschaft steht demnach bei der Häufigkeit von Wortmeldungen aus den Parteien auf Platz sechs von 24 Themen. Zwar hinter Komplexen wie Energie, Wirtschaft oder Klima. Aber dennoch weit vorn - vor allem, wenn man bedenkt, dass in der Landwirtschaft nur noch 1,5 Prozent der Erwerbstätigen Bayerns arbeiten - Tendenz weiter sinkend.

Sowohl die Twitter-Analyse der Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl als auch ihre Analyse der Wahlprogramme der im Landtag vertretenen Parteien ergibt, dass Grüne, CSU und Freie Wähler häufiger und ausführlicher das Themenfeld Landwirtschaft besetzen.

"Landwirte werden hofiert"

In der Vergangenheit kamen sich Bauern oft von der Politik vernachlässigt vor - vor allem rund um das Volksbegehren Artenvielfalt 2019. Dieser Wind hat sich gedreht, bekräftigt Jasmin Riedel: "Was man sieht ist, dass die Landwirte eher hofiert werden." In der politischen Kommunikation fungieren die Bauern ihrer Einschätzung nach als eine Art Stellvertreter: "Wenn man das Thema Landwirtschaft bedient, dann gehen die Parteien davon aus, dass sie zugleich die Interessen der Landbevölkerung mit ansprechen."

Wenn das klappt, nutzen die Parteien die Konfliktlinie zwischen Stadt und Land, um sich zu profilieren. Und die Landbewohner insgesamt sind im Gegensatz zu den Bauern selbst eine sehr große Gruppe: 56 Prozent der bayerischen Bevölkerung lebt im ländlichen Raum.

Wenig Landwirte, große Ernährungsbranche

Was darüber hinaus eine Rolle spielt: Wenn man Land- und Forstwirtschaft zusammenzählt und dann noch von ihr abhängige Wirtschaftsbereiche wie Molkereien und andere Betriebe der Ernährungswirtschaft dazu nimmt, ist die Branche nicht mehr klein. Die Land- und Ernährungswirtschaft beschäftigt dann immerhin 13 Prozent der bayerischen Erwerbstätigen: Rang drei hinter Auto- und Maschinenbau. Weil die Land- und Forstwirtschaft in Bayern kleinteiliger strukturiert ist als in vielen anderen Bundesländern, kommen im Freistaat noch vergleichsweise viele Menschen damit in Berührung. Die politische Bedeutung der Landwirtschaft ist dadurch höher als anderswo. Was sich auch darin ausdrückt, dass es in Bayern noch ein eigenes Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gibt. In allen anderen Bundesländern ist die Landwirtschaft mit weiteren Ressorts zusammengelegt - etwa Umwelt, Wirtschaft oder Verbraucherschutz.

Wettbewerb zwischen CSU und Freien Wählern

Zwischen der CSU und den Freien Wählern gibt es zudem einen Wettbewerb um die Gunst des landwirtschaftlichen Milieus. Die Christsozialen betrachten sich als angestammte Bauernpartei - da erregte es Aufmerksamkeit, dass sich nun die Landesbäuerin Christine Singer zur Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl küren ließ. Und auch der oberbayerische Bezirkspräsident des Bauernverbands ist mit Ralf Huber ein Freier Wähler.

Grüne brauchen die Bauern für ihre Herzensthemen

Bei den Grünen kommt das Interesse an der Landwirtschaft durch ihre Inhalte. Für viele ihrer Herzensthemen brauchen sie die Bauern: von Artenvielfalt über Eindämmung des Flächenverbrauchs und Moorschutz bis zum Ausbau von Windkraft und Solar. Schon deshalb müssen die Grünen Landwirtschaft wichtig nehmen. Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl hat den Anteil von Landwirtschaftsthemen in den Wahlprogrammen der Parteien analysiert. Bei CSU und Grünen ist er mit jeweils um die fünf Prozent am höchsten.

"Die Städter werden auch noch gestreichelt"

Von der Aufmerksamkeit im Wahlkampf für die Landwirtschaft sind allerdings nicht alle Adressatinnen und Adressaten beeindruckt. Auf dem Facebook-Account der BR-Sendung "Unser Land" gab es unter anderem Kommentare wie "Leider nur Wahlkampf. Söder probiert alles, damit die Bauern ihm die Stange halten" oder "Nach der Wahl werden wir wieder in den Allerwertesten getreten". Und ein User vermutet, die Parteien wollten einfach die ländlichen Themen möglichst früh im Wahlkampf abhaken: "Keine Angst, in den letzten Wochen vor der Wahl wird dann die städtische Bevölkerung gestreichelt."

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