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Internationaler Übersetzertag Der Sinologe Thomas O. Höllmann

Sie sind das Bindeglied zwischen Kulturen, die Wegweiser in eine bisher unverständliche Welt. Sie bringen die Menschen zusammen, die sich sonst - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht verstanden hätten. Übersetzer sind Kulturverbinder. Der Münchner Sinologe Thomas O. Höllmann ist einer von ihnen. Zum internationalen Übersetzertag am 30. September: Ein Einblick in die Arbeit des Übersetzens.

Von: Astrid Mayerle

Stand: 29.09.2023 10:15 Uhr

"Ich suche mir immer Gedichte aus, die mich selber ansprechen. Der Übersetzungsakt als solcher ist nicht vorhersehbar. Es ist schon vorgekommen, dass ich ein Gedicht übersetzt habe in 45 Minuten und das so lassen konnte. Aber das ist die Ausnahme."

Thomas O. Höllmann

Meist ist Thomas O. Höllmann mit dem ersten Wurf noch nicht zufrieden, feilt sogar mehrmals daran.

"Manchmal fange ich auch ganz von vorne wieder an. Manchmal lasse ich es ein halbes Jahr liegen und habe dann einen besseren Zugang dazu. Ich fange aber nicht unbedingt vorne an. Es kann durchaus vorkommen, dass ich mit dem anfange, wo ich schon Formulierungen im Kopf habe, die ich für passend erachte."

Thomas O. Höllmann

Gedichtband "Erwartung und Melancholie. Sechzig Gedichte aus dem alten China".

Wang Wei, der zwischen 701 und 761 lebte, gilt als einer der am meisten geschätzten Dichter Chinas. Er ist nicht nur für seine Lyrik bekannt, sondern auch als Kalligraf, Musiker und Komponist. Vielleicht der genialste Künstler seiner Zeit, mutmaßt Thomas O. Höllmann in seinem Gedichtband "Erwartung und Melancholie. Sechzig Gedichte aus dem alten China".

"Hirschgehege.
Niemand zu sehen in der Bergeinsamkeit.
Nur ferne Stimmen dringen an mein Ohr.
Über dem tiefen Forst senkt sich die Abendsonne.
Und wirft ihr Licht aufs grüne Moos."

Wang Wei

Wang Wei hat dieses Gedicht um das Jahr 750 herum verfasst, einige Zeit nachdem er sich dem Buddhismus zugewandt hatte.

"Was mir daran gefällt, ist, dass es nicht nur eine einfache Beschreibung ist, die Bergeinsamkeit beinhaltet einen chinesischen Terminus, der ist 'kung' und das bedeutet 'einsam', bedeutet aber auch Leere im Daoistischen Sinne, Loslösung von dieser Welt, wenn man so will."

Thomas O. Höllmann

Die meisten Gedichte aus dem alten China stammen von Männern, was damit zusammenhängt, dass Lyrik ein wesentlicher Teil der Beamtenprüfungen für den Staatsdienst war. Eine berufliche Laufbahn, die allein Männern vorbehalten war. Es existiert sogar ein Gedicht etwa aus dem Jahr 865, in dem die damals knapp 20-jährige Lyrikerin Yu Xuanji beklagt, dass sie nicht an Prüfungen teilnehmen darf.  Erstaunlicherweise wurde bei der Auswahl der Beamten kein praktisches Wissen über die späteren Einsatzbereiche wie etwa Wasserversorgung oder das Gericht abgefragt. Stattdessen bestanden die wichtigsten Prüfungsfächer aus Lyrik, Philosophie und Kalligrafie. Was kurios anmutet, als müssten etwa heute angehende Richterinnen oder Polizisten in ihren Bewerbungsunterlagen eigene Gedichte vorlegen, gehörte in China zum selbstverständlichen Nachweis von Bildung und sozialer Eloquenz.

"Man muss natürlich auch wissen, dass die chinesischen Beamtenprüfungen extrem harsch waren, mit einem ungeheuren Kontrollaufwand verbunden, und da ging es nicht nur darum, bestimmte Sachzusammenhänge zu erläutern, sondern sie vor allem mit den richtigen Literaturversatzstücken zu verdeutlichen. Und auch da spielt der Bildungshorizont eine ganz gewaltige Rolle. Im Klartext heißt das, dass nur jemand, dessen Eltern, die sich einen Hauslehrer leisten konnten, oder die durch ihre Anwesenheit im Kloster mit Texten in Verbindung gebracht worden sind, in der Lage waren, mit Lyrik umzugehen. Die Lyrik war in der chinesischen Geschichte durchgehend die Königsdisziplin der gesamten Literatur."

Thomas O. Höllmann

Thomas O. Höllmann lotet sehr genau während des Übersetzens das Entstehungsumfeld eines Gedichts aus. Wichtig erscheint ihm dabei auch die Frage, an wen es adressiert ist. Denn viele lyrische Texte wurden einem Freund oder einer Staatspersönlichkeit gewidmet. Manche sind sogar in Briefform verfasst. Der Übersetzungstransfer vom Chinesischen ins Deutsche ist eine besonders diffizile Angelegenheit, weil viele Schriftzeichen mehrere und dazu sehr unterschiedliche Bedeutungen in sich tragen.

"'Hue' bedeutet ein Treffen, eine Vereinigung, eine Gelegenheit, Möglichkeit, Feierlichkeit, Fertigkeit und Augenblick. Und da habe ich jetzt nur die Substantive ausgewählt, die sich mit diesem Zeichen in Verbindung setzen lassen. Das deutet schon an, dass der Übersetzer da ungeheure Möglichkeiten hat, was eine große Herausforderung darstellt, der man sich nicht immer gewachsen zeigt."

Thomas O. Höllmann

Bei alledem geht es darum, sprachlich einen eigenen Ton, eine eigene Handschrift zu finden.

"Ich versuche eine einfache Sprache zu verwenden und eine Sprache zu treffen, die im heute verankert ist."

Thomas O. Höllmann

Genau das verleiht den zum Teil mehr als eintausend Jahre alten chinesischen Gedichten eine einnehmende Gegenwärtigkeit.


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