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Geschichten vom Anderssein "Migrantenmutti" von Elina Penner

Wann gehört man als Familie zur Mehrheitsgesellschaft? Wenn das Kind eine ergonomische Schultasche besitzt? In "Migrantenmutti" knöpft sich Elina Penner das Thema Elternschaft und soziale Ungleichheit vor. Witzig, provokant und manchmal auch bitterböse.

Von: Eleonore Birkenstock

Stand: 09.11.2023

Buchcover "Migrantenmutti", Montage BR | Bild: Aufbau Verlag

Eine Frau mit Sonnenbrille und schwarzem Pailletten-besetztem Glitzeroberteil, im Mundwinkel hängt eine Pommes – so wie eine Zigarette bei der Kinolegende John Wayne. Das Cover von "Migrantenmutti" setzt auf Selbstironie und Humor.

"In meinem Buch möchte ich Eltern zum Nachdenken bringen: Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Wenn sie ihren Kindern mal in so einer Phase dreimal hintereinander nachmittags den Fernseher anmachen würden und einen Teller Pommes hinstellen würden. Nicht, dass ich das propagiere. Aber was würde passieren? Es würde natürlich gar nichts passieren. Statistisch gesehen würde sich an der Laufbahn ihrer Kinder wahrscheinlich nichts ändern. Wenn diese Kinder aus einem Akademikerhaushalt kommen, werden sie wahrscheinlich selber zu Akademikern werden."

Elina Penner, Autorin

Zugehörigkeit hat mit viel mit Einkommen zu tun

Aber weshalb "Migranten-Mutti"? Elina Penner ist als Aussiedlerin aus der Sowjetunion nach Deutschland gekommen, mit ihrer mennonitischen plautdietsch sprechenden Familie. Sie hat Amerikanistik und Politikwissenschaften studiert, in Regensburg, Berlin und in den USA. Im Vorwort schreibt Elina Penner, dass sie gar nicht wusste, wie migrantisch sie ist, bis sie selbst Mutter wurde. Als Redakteurin beim Online-Magazin "Hauptstadt-Mutti" hat sie sich mit Instagram-Müttern und Bloggerinnen verglichen.

"Da war dann so der Gedanke: Ich glaube, ich bin anders groß geworden. Und ich erziehe anders. Und irgendwas ist ganz anders bei mir, weil ich habe es nicht gecheckt."

Elina Penner, Autorin

Elina Penners Tenor in "Migrantenmutti" ist: Macht euch locker, entspannt euch! Sie kritisiert den Hang zum Perfektionismus von Eltern, beispielsweise in Berlin Mitte, wo sie eine Zeitlang lebte. Dort gelte Elternschaft oft als Projekt. Manche Probleme sind dabei ein Luxus, den sich Migrantenfamilien oft nicht leisten können. Etwa die Frage, ob der Schulranzen ergonomisch richtig ist oder nicht.

Elina Penners Buch erzählt nicht nur vom Mutter- oder Eltern-Sein, wenn man aus einer anderen Kultur oder einem anderen Land stammt. Es geht auch um die Einkommensklasse.  Und was es bedeutet, nicht zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören. Für manche bedeutet es auch, Scham zu empfinden, weil man selbst oder die Eltern anders sind, weil das Essen komisch ist, weil das Kind keine selbst gebastelte Schultüte bekommt, sondern eine günstig gekaufte.

Die Debatte übers Elterngeld - ein Witz?

Eleni Penners Kindheit, ihre Eltern, die eigenen Erfahrungen sind Ausgangspunkte für kluge Gedanken über das deutsche Bildungs- und Wertesystem. Denn für Elina Penner ist Elternschaft politisch. Inklusive der Diskussionen, die manchmal an den wirklichen Problemen wie Bildungsgerechtigkeit vorbei gehen. Zum Beispiel bei der Grenze fürs Elterngeld – die bei 150.000 Euro zu versteuerndem Jahres-Einkommen liegen soll. Für viele Familien sehr viel Geld.

"Wenn wir uns wenigstens um die Bildungseinrichtungen kümmern würden. Das wäre ja schon ein Anfang. Aber stattdessen diskutieren wir, ob man mit 150 000 Euro genug Geld hat, um ein Jahr lang auf Elterngeld zu verzichten oder nicht. Ich glaube, dass da Menschen wie ich oder Menschen, die so aufgewachsen sind wie ich, sich dann da hinsetzen und nur noch lachen können - aus Verzweiflung."

Elina Penner, Autorin

Elina Penner zeigt in "Migrantenmutti" Widersprüche und Irrwege auf - ihr Tonfall ist dabei direkt manchmal überzogen, bissig, emotional, oft aber auch witzig. "Liebevoll dissen" sei das, habe ihr eine Leserin geschrieben. Es ist vor allem eins: Augen öffnend und deshalb lesenswert.     


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