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Verschärftes Asylrecht Abschiebepraxis in "ARE" verfassungswidrig?

Die sogenannten „Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen für Asylbewerber mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit“ in Manching und Bamberg sorgen weiterhin für Gesprächsstoff. Unklarheiten über Wesen und Zweck der Einrichtungen bleiben noch immer bestehen. Vor allem die rechtliche Lage gibt Anlass für Fragen und Kritik. Verbände wie Kirchen sehen schwerwiegende Verletzungen von Grundrechten.

Von: Michael Olmer

Stand: 22.07.2016 12:06 Uhr | Archiv

Ehemaliges US-Militärsgelände, wo sich seit September 2015 die "Ankunfts- und Rückführungseinrichtung" für Asyl- und Schutzsuchende aus dem Westbalkan befindet. Nun unter neuem Namen: Seit Juli 2016 heißt das Gesamtgelände mit einer parallel existierenden Unterkunft "Aufnahmeeinrichtung Oberfranken". | Bild: BR

Erstmals seit Eröffnung der Bamberger Einrichtung im September 2015 äußerte sich nun der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zu den rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen. Man sei „überrascht“ von der Entwicklung, die anfänglichen Versprechungen zum praktischen Vollzug nicht entspräche. Die Asylsozialbetreuung, die nun abermals – nach 10 Monaten Abschiebepraxis aus der ARE Bamberg – versprochen worden sei, müsse nunmehr mit einem Schlüssel von einem Betreuer auf 100 Asylsuchende gewährleistet sein. Eine anwaltliche Rechtsberatung in einer solchen Unterbringung, der die Betroffenen behördlich zugewiesen werden, sei in einem Rechtsstaat wie der BRD selbstverständlich:

"Es muss alles gemacht werden, was vorgesehen ist, auch von unserem Recht her vorgesehen ist. Das Asylrecht ist ein Individualrecht und das erfordert natürlich, dass ich meine Rechte ausschöpfen kann und das heißt dann, dass ich einen Dolmetscher bekomme, das heißt, dass ich Rechtsberatung bekomme. Das ist in der deutschen Gerichtsbarkeit Usus und rechtlich vorgeschrieben, und von daher muss das auch gewährleistet sein."

Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg

Recherchen am Standort Bamberg hatten ergeben, dass noch Ende Mai 2016 der gesetzlich vorgesehene Betreuungsschlüssel asylsozialer Beratung, nach welchem eine Fachkraft auf 120 Asylbewerber fallen soll, auf Landesebene nicht eingehalten war. Wie eine Anfrage des BR an die Regierung von Oberfranken ergab, befand sich noch bis Ende Mai keine einzige für den Zweck ausgebildete Fachkraft in der Einrichtung. Überhaupt gab es für die Aufgabe sozialer Betreuung der zum selben Zeitpunkt etwas mehr als 500 Zugewiesene umfassenden Unterbringung insgesamt nur einen tätigen Mitarbeiter der Arbeitnehmerwohlfahrt (AWO), der für entsprechende Aufgabe allerdings nicht ausgebildet ist. Eine neue Anfrage (Stand 20. Juli) ergab, dass sich auch jetzt eine einzige Person in dieser Funktion in der ARE befinde. Es handle sich dabei um denselben Mitarbeiter.

Umso gravierender: Es gab bis zum selben Zeitpunkt Ende Mai auch keinen einzigen Anwalt an Ort und Stelle, der den Zugewiesenen eines nach Herkunft gebündelten Ortes für Schnellverfahren, die Rechtsmittel innerhalb einer Woche beim Verwaltungsgericht einzureichen haben, juristisch hätte zur Seite stehen können. Seit Eröffnung der Einrichtung im September 2015 ist auch das BAMF mit eigener Außenstelle vor Ort vertreten, um Anträge zu prüfen, seither finden aus der ARE Bamberg Abschiebungen statt, deren Umsetzung die Landesbehörden durchführen. Positiv befundene Anträge Asyl- oder Schutzsuchender, die sich in der ARE Bamberg einfanden, sind bislang keine bekannt.

Deutscher Anwaltverein: Besondere Erstaufnahme ohne Rechtsberatung verfassungswidrig

„Besondere Erstaufnahmeeinrichtungen ohne asylrechtliche Beratung sind verfassungswidrig“, hatte der Deutsche Anwaltverein (DAV), dem mehr als 60.000 Rechtsexperten der BRD angehören, bereits in seiner hier zugänglichen umfangreichen Stellungnahme Anfang Februar zu bedenken gegeben. Gerade in den Fällen Manchings und Bambergs hatten die Anwälte befürchtet, dass eine staatlich finanzierte Rechtsberatung „sicher nicht gewährleistet werden“ könne. Eben diese Befürchtung hat sich in der monatelangen Praxis der sogenannten "Ankunfts- und Rückführungseinrichtung" in Bamberg nun offensichtlich auch faktisch bestätigt.

An den Standorten Manching und Bamberg habe man das mit dem am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren verbundene Verfahrenskonzept bereits „erfolgreich getestet“, hieß es in einem Bericht des BAMF vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestags im Februar dieses Jahres. Auf Nachfrage des BR, auf welcher konkreten bundesrechtlichen Grundlage die Testphase erfolgt sei, antwortete die Pressestelle des Bundesamts nun, dass seit 1. Juli 2016 eine Vereinbarung zwischen dem Bundesamt und dem Freistaat Bayern zur Durchführung beschleunigter Asylverfahren bestehe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe es sich im Fall der ARE Bamberg um keine „besondere Aufnahmeeinrichtung“ im Sinne des Bundesamts gehandelt. Dies gab allerdings Anlass zu erneuter Nachfrage.

Testphase für "sichere Herkunftsstaaten"

Auf BR-Nachfrage teilte das BAMF mit, dass in der Zeit zwischen September 2015 und 1. Juli 2016 schnelle Verfahren im Sinne eines „Ankunftszentrums für Antragsteller mit geringer Bleibeperspektive" erprobt wurden. Die eigentliche ''Beschleunigung'' habe sich in dieser Zeit aus der Priorisierung des Personenkreises aus ''sicheren Herkunftsstaaten'' ergeben. Soweit das BAMF. Auch in der Begründung zum neuen Bundesgesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren wird bei bestimmten Personengruppen, zu denen insbesondere auch Einreisende aus "sicheren Herkunftsstaaten" gehören, von einem „nur kurzfristigen Aufenthalt“ in der BRD ausgegangen. Auf eine kurze Verweildauer der Einreisenden von nicht länger als 15 Monaten werden in dem am 25./26.2. im Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetzesentwurf auch die Einschränkungen der Sozialleistungen für die Betroffenen zurückgeführt.

Fragwürdige Übergangsfälle

Von zügigen Verfahren kann in vielen der Fälle aber keine Rede sein. Zudem fanden sich in der ARE Familien und Kinder, die längst an anderen Orten in Bayern lebten – teils über mehrere Jahre. Weder von einer kurzfristig erfolgten Einreise ins Land noch von einem kurzen Aufenthalt kann hier die Rede sein.

Wurde hier wirklich der konkrete Einzelfall berücksichtigt, bevor die Menschen überhaupt einer solchen Einrichtung zugewiesen wurden? Oder erhielten einzelne Familien trotz der Vorgabe, dass auch bei „sicheren Herkunftsstaaten“ jeder Fall individuell behandelt werde, letzten Endes sogar aus eher statistischen Erwägungen einen Zuweisungsbescheid der Landesbehörde? Man sei jedenfalls auch von derartigen Fallkonstellationen überrascht, betont Erzbischof Schick. Man sei in der Tat davon ausgegangen, dass der ARE ausschließlich neu bzw. erneut aus dem Westbalkan einreisende Antrag- oder Folgeantragsteller zugewiesen würden.

DAV-Asylrechtsexperte: Aus der ARE gibt es keine „freiwillige Rückkehr“

Asylrechtsexperte Wolfram Steckbeck aus Nürnberg, selbst Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwaltvereins, konnte in einzelnen Fällen helfen. Einzelne seiner Mandanten, die einen Zuweisungsbescheid erhielten, mussten nicht in die ARE. Das scheiterte teils an schwerwiegenden Krankeiten, weswegen Klage eingereicht wurde. Wäre kein Anwalt dagewesen, hätte es anders ausgesehen. Für Steckbeck habe die Abschiebepraxis der letzten Monate seit September 2015 insbesondere einen Sinn und Zweck: „Abschreckung“. Auf Kosten von Menschenschicksalen.

Manche der Betroffenen haben das Land schon verlassen, nachdem sie den Zuweisungsbescheid erhielten, sagt Steckbeck. Das kann dann je nach Fallgeschichte zweierlei heißen, meint der Anwalt. Mal könne es so gedeutet werden, dass ein Anspruch auf Asyl oder Schutz im Land tatsächlich nicht wahrscheinlich sein könnte. Mal heiße es in der Erfahrung des Anwalts aber auch: die „Abschreckung funktioniert wirklich“, und zwar auch in Fällen, in denen eine Aussicht auf Bleibe im Land rechtlich sehr wohl gegeben wäre. Eines sei für den Anwalt aber auch klar: von einer „freiwilligen Rückkehr“ könne man bei denjenigen, die sich einmal auf Behördenzwang in die ARE begeben haben, aus rechtlicher Sicht in keiner Weise mehr ausgehen:

"Von einer freiwilligen Rückkehr derer, die in die ARE eingewiesen werden, kann keine Rede sein. Es ist eine freiwillig erzwungene Rückkehr: man droht mit einem empfindlichen Übel, nämlich dem langmonatigen Aufenthalt in der ARE und die Leute sagen daraufhin, dann geh ich lieber heim, schlimmer kann's zuhause auch nicht sein als in der ARE. Das hat nichts mehr mit Freiwilligkeit zu tun."

Wolfram Steckbeck, Anwalt für Ausländer- und Asylrecht

Anwälte und Kirche fordern Schutz von Grundrechten

Bambergs Erzbischof Schick hat auch Bedenken mit Blick auf das Verständnis freier Religionsausübung in der ARE. So sei auch die gegenüber dem BR bestätigte Handhabe der zuständigen Bezirksbehörde, während des gesamten Ramadan das Ende der Besuchszeiten bei 20 Uhr, also etwa anderthalb Stunden vor Beginn des gemeinsamen Fastenbrechens zu belassen, nicht hinzunehmen:

"Zur Religionsfreiheit gehört, dass man seine Religion ausüben kann. Das sind Forderungen, die wir allgemein haben und die wir für Bamberg, wie immer das definiert ist, ob ARE oder allgemeine Erstaufnahme, oder wegen mir parallel – das fordern wir für alle."

Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg

Schick betont außerdem den Schutz der körperlichen Unversehrtheit, der ein generelles Manko in deutschen Flüchtlingsunterkünften darstelle und zu achten sei. Wenngleich für Schick die allgemeine Sicherheit in der Einrichtung etwa in Feuer- und Notsituationen selbstverständlich zu berücksichtigen sei, verweist er im besonderen Fall der ARE auf das Ombudsteam, mit dem er sich intensiv ausgetauscht hat und das die Privatsphäre und persönliche Sicherheit besonders von alleinerziehenden Frauen nicht genügend geschützt sieht.

Auf BR-Nachfrage bestätigte die Regierung von Oberfranken, dass sich mit Ausnahme der Toilettentüren Zimmer in der ARE generell "nicht absperren lassen". Es handle sich um eine Vorbeugungsmaßnahme für mögliche Fälle eines „Feueralarms oder einer sonstigen Nothilfesituation“. Auch sehe die Bezirksregierung, der die zuständige Zentrale Ausländerbehörde angehört, „kein Ermessen hinsichtlich der Anmeldung zur Abschiebung“, wenn es im Einzelfall um die Frage geht, ob trotz eines erfolgten Negativbescheids eine Abschiebung dennoch ausgesetzt werden könne. Das sieht Aylrechtler Steckbeck anders – und verweist auf verfassungsrechtliche Vorgaben:

"Bei jeder Abschiebung sind die Grundrechte im Blick zu behalten, das heißt selbst wenn alle Behörden, also Bundesamt oder auch Gerichte, Verwaltungsgericht, entschieden haben: ja, die Abschiebung ist zulässig, muss ich natürlich die Grundrechte des Betroffenen im Blick behalten. Das heißt, ich muss das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beachten, ich muss das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie zum Beispiel beachten, das heißt, ich darf nicht einen Teil der Familie abschieben, weil die nun grade gesund sind und den anderen Teil halt hier lassen, bis sie gesund sind, das geht nicht. Ich kann Familien nicht auseinanderreißen, ich kann Kranke nicht abschieben. Und das darf niemand, das darf auch die besondere Ausländerbehörde nicht."

Wolfram Steckbeck, Anwalt für Ausländer- und Asylrecht

Staatlich finanzierte Rechtsberatung heute: weder verfügbar noch geplant

Die Regierung von Oberfranken teilte auf BR-Nachfrage mit, dass die „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung für Asylbewerber mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit“ in ihrer aktuellen Funktion weiterhin erhalten bleiben soll. Nicht als Alternative, sondern parallel bestehe seit dem 18. Juli eine weitere gewöhnliche Aufnahmeeinrichtung. Der Name beider Unterkünfte soll jedoch einheitlich "Aufnahmeeinrichtung Oberfranken" lauten.

Auch gegenwärtig sei ein „staatlich finanzierter Rechtsanwalt“ auf dem Gelände „nicht verfügbar und auch nicht geplant“.


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