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Interview mit Erdal Doğan „Aslıs Verhaftung ist eine politische Rache“

Die türkische Journalistin und Schriftstellerin Aslı Erdoğan sitzt seit Mitte August in einem Istanbuler Gefängnis in Haft. Vorgeworfen werden ihr Unterstützung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation sowie Volksverhetzung. Gestützt auf eine Kolumne, die sie regelmäßig in einer pro-kurdischen Zeitung veröffentlicht hat. Ihr Anwalt Erdal Doğan vertritt die Autorin vor Gericht.

Von: Katharina Willinger

Stand: 14.10.2016

Erdal Dogan, der Anwalt von Asli Erdogan | Bild: Anadolu Ajansi

Wie geht es Aslı Erdoğan momentan?

"Aslı hat gesundheitliche Probleme. Sie hat einige Operationen hinter sich, die letzte war eine schwere OP am Rückenmark. Sie muss daher eine besondere Diät einhalten, was unter diesen Haftbedingungen nicht möglich ist. Zu Beginn der Haft bekam sie ihre Medizin nicht. Erst nach Druck und Anträgen von mir und auch von der Ärztekammer darf sie die jetzt bekommen. Aber außer der Gesundheit ist ihr größtes Problem die psychologische Belastung durch so absurde Vorwürfe, die ihr gemacht werden, wie Handlungen gegen die Einheit des Staates und Terrormitgliedschaft."

Erdal Doğan

Mit was für einem Verfahren muss Aslı Erdoğan rechnen und wie schätzen Sie ihre Chancen auf Freispruch ein?

Portrait Asli Erdogan  | Bild: Gürcan Öztürk

Die türkische Schriftstellerin und Journalistin Asli Erdogan

"Zunächst einmal ist es für uns überraschend, dass es überhaupt so weit gekommen ist, also dass tatsächlich ein Verfahren eröffnet wird. Denn wir haben eigentlich geglaubt, dass Aslıschnell wieder freigelassen wird. Sie wurde im Rahmen der Özgür-Gündem-Schließung (Anmerkung d. Red.: eine pro-kurdischen Tageszeitung) in U-Haft genommen, weil sie Beirats-Mitglied der Zeitung war. Diese Mitgliedschaft hat keine rechtliche Verantwortung, zumal Aslı nur eine beratende Rolle inne hatte. Ihr Name tauchte eigentlich mehr als Etikett auf. Gleichzeitig arbeitete sie auch als Autorin für die Zeitung. Doch nach ihrer Verhaftung wurde ihr dann plötzlich vorgeworfen, dass sie mit ihren Texten die Einheit des Staates stört, die Sicherheitskräfte im Südosten schwächt und damit Mitglied einer Terrororganisation ist. Da diese Texte nicht rechtswidrig sind, haben wir bei der Staatsanwaltschaft beantragt, die Anklage fallenzulassen. Danach sieht es aber nicht aus, es wird wohl zu einem Verfahren kommen. Wir möchten, dass sie so schnell wie möglich vor Gericht gestellt wird, damit sie ihre Freiheit wieder erlangt und diese albernen Vorwürfe fallen gelassen werden."

Erdal Doğan:

Fast alle anderen Mitarbeiter der Zeitung Özgür Gündem wurden nur wenige Tage nach der Massenverhaftung wieder frei gelassen. Aslı Erdoğan nicht. Weshalb?

"Nun, Aslı Erdoğan ist eine weltbekannte türkische Literatin. Und durch ihre Verhaftung will man allen Intellektuellen eine Botschaft, eine Art Drohung übermitteln. Diese Botschaft lautet: Die türkische Republik hat Tabu-Themen, z.B. Armenier, Kurden und Aleviten. Wagt es bei diesen Themen bloß nicht, unsere Sicherheits- und Innenpolitik zu kritisieren und Menschenrechte ins Spiel zu bringen. Aus dieser Sicht ist Aslı vielleicht ein Symbol, ihre Verhaftung ein politisches Mittel, eine politische Rache."

Erdal Doğan:

Es wurden nach dem Putschversuch im Juli zahlreiche auch regierungskritische, oppositionelle Journalisten verhaftet, die nicht mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht wurden, und die nach einigen Tagen U-Haft wieder freigelassen wurden. Welchem Ziel dienen solche Aktionen?

"Das Ziel ist folgendes: Es soll ein neues, ein anti-demokratisches Regime entstehen. Nur eine Stimme soll zu hören sein. Und das ist nicht die einer oppositionellen Presse. Das System soll, so gut es geht, religiös-konservativ gemacht werden, und gleichzeitig wird eine Staatsverwaltung geschaffen, die nicht in Frage gestellt werden kann und nicht transparent ist. Am Ende soll es einen einheitlichen Staat geben, mit einer Rasse, einer Religion und eben einer Meinung." Erdal Doğan


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