Maskentragende Menschen auf einer belebten Straße in Tokyo.
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In Japan gibt es keinen "Lockdown" wie derzeit in vielen westlichen Ländern. Trotzdem sind die Infektionszahlen relativ niedrig.

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Corona: Superspreader rückwärts aufspüren

Während in Europa und den USA die Coronavirus-Infektionszahlen weiterhin ansteigen, bleiben die Zahlen in Japan relativ stabil. Das hat auch damit zu tun, dass japanische Behörden auf die retrospektive Kontaktnachverfolgung setzen.

„Im Winter sollte jeder Bürger ein Kontakt-Tagebuch führen,“ empfahl der Virologe Christian Drosten vergangenen August. Nicht um darin jede einzelne Begegnung mit einem anderen Menschen zu notieren. Sondern um festzuhalten, wann man sich in eine Situation begeben hat, in der die Infektionsgefahr am größten ist. Das heißt: Wann man sich mit mehreren Leuten über eine längere Zeit in einem geschlossenen Raum aufgehalten hat, wie zum Beispiel auf einer Geburtstagsfeier oder in einer Bar. Wann und mit wem man also einen sogenanntes „Cluster“ gebildet hat.

Über den Vorschlag mit dem Kontakt-Tagebuch mögen viele geschmunzelt haben, durchgesetzt hat er sich nicht. Dabei könnte eine solche Maßnahme recht hilfreich sein, um den überlasteten Gesundheitsbehörden zu helfen, Infektionstreiber effektiv zu identifizieren. Vorausgesetzt, sie wenden die Strategie der retrospektiven Kontaktnachverfolgung (Backward Contact Tracing) an.

Restrospektive Kontaktnachverfolgung in Japan erfolgreich

In Japan führen Experten die niedrigen Infektionszahlen mitunter auf diese Strategie zurück. Der wesentliche Unterschied zur Kontaktnachverfolgung in westlichen Ländern ist, dass japanische Gesundheitsbehörden weiter in die Vergangenheit schauen. Hat sich jemand infiziert, sucht man nach dem Ursprungsherd der Ansteckung.

Dazu werden die Aktivitäten des Infizierten bis zu 14 Tage vor Beginn der Symptome rekonstruiert. Abgefragt wird dabei in erster Linie, ob der Infizierte sich in diesem Zeitraum in einem sogenannten „Cluster“ bewegt hat. Sprich, ob er oder sie auf einer Party, in einer Kneipe oder im Fitness-Studio gewesen ist. Also in einer Situation, in der das Infektionsrisiko am Höchsten ist.

Statt Einzelnachverfolgung werden die Cluster untersucht

Ist das der Fall, konzentrieren sich die Behörden auf die Suche nach möglichen Infektionstreibern in den Clustern. Denn nicht alle Infizierte sind gleich infektiös. Das geht aus einer Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine hervor. Das Team um den Wissenschaftler Akira Endo geht davon aus, dass lediglich 10 Prozent der Infizierten 80 Prozent der Ansteckungen auslösen. Für eine effektive Pandemie-Bekämpfung sei es also wichtiger, die sogenannten Superspreader zu suchen, als jeden einzelnen Kontakt eines Infizierten nach zu verfolgen.

Das würde auch die Gesundheitsämter entlasten, gerade in Zeiten, in denen die Zahlen wachsen. Darauf wies der Virologe Christian Drosten schon im Sommer in seinem Gastbeitrag in der Zeit hin:

„Die Erfahrung aus anderen Ländern lehrt uns schon jetzt, dass eine vollkommene Unterbrechung der Einzelübertragung unmöglich ist. Wir müssen also den Gesundheitsämtern in schweren Zeiten erlauben, über das Restrisiko hinwegzusehen. Sie müssen das wenige Personal dort einsetzen, wo es drauf ankommt: bei den Clustern.“

Welche Kategorien einen Menschen zum Pandemietreiber machen, ist noch unklar. Eine besonders feuchte Aussprache könnte eines der Kriterien sein. Inwiefern eine retrospektive Kontaktnachverfolgung jetzt, da die Zahlen so hoch sind, noch praktikabel ist, ist unter Experten umstritten. Begegnungen in Gruppen sind durch die derzeitigen Einschränkungen ohnehin kaum möglich. Im Hinblick auf die Lockerungen an Weihnachten könnte Christian Drostens Vorschlag mit dem Kontakt-Tagebuch jedoch wieder aktuell werden.

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