Sie sind schuldig in Wort und Tat. Sie waren Partei- oder sogar SS-Mitglied. Sie haben – gefördert vom NS-Regime – zwischen 1933 und 1945 eine rasante Karriere gemacht. Sie haben ein nationalsozialistisches Theater propagiert und: sie haben jüdische Mitarbeiter entlassen. Trotzdem sind Oskar Walleck und Alexander Golling nach 1945 in ihren Spruchkammerverfahren als sogenannte "Mitläufer" eingestuft worden. Nun stellt Noam Brusilovsky diese beiden "Mitläufer", die das Bayerische Staatsschauspiel während der NS-Zeit als Intendanten geleitet haben, in seinem Theaterprojekt in den Fokus. Neben dem Dramatiker Curt Langenbeck, der das völkisch-nationalsozialistische Pathos vor allem auch dramaturgisch untermauerte. Das Stück basiert auf einem enormen Archivmaterial, das der Regisseur zusammen mit seiner Mitarbeiterin Lotta Beckers aus Personalakten, Behördenkommunikation, Programmheften und Spruchkammerakten zusammengetragen hat. Dabei wird deutlich, wie sich Oskar Walleck und Alexander Golling nach Kriegsende nicht nur auf Erinnerungslücken beriefen, sondern sich vor allem auch zu heldenhaften Widerständlern verklärten.
Geschichte eine Bühne geben
Es ist einer der für die dokumentartheatralen Projekte von Noam Brusilovsky typischen "Arbeitsräume", die die Bühnenbildnerin Magdalena Emmerig nun für die Münchner Marstall entworfen hat. Dabei werden sowohl ein historisches Bühnenbild aus den 1930er Jahren zitiert als auch, als Referenz zum Heute, die Bühnenpforte des gegenwärtigen Residenztheaters sowie der Schriftzug „Bayerisches Staatsschauspiel“, der gegenwärtig über dem Eingang des Residenztheaters prangt. Und während sich drei Schauspieler die historischen Figuren anverwandeln und sich wie in einer erneuten Gerichtsverhandlung verteidigen, wird dieser Raum zugleich auch durch gegenwärtiges – und historisches Video- und Soundmaterial bespielt. In dieses atmosphärisch-performative Setting hat sich Noam Brusilovsky als weitere Vertreterin der Gegenwart die Tochter von Alexander Golling, Claudia Golling, eingeladen. Sie, die selbst Schauspielerin ist, hat ihren Vater nach eigenen Worten nicht nur sehr geliebt, sie hat ihn auch als geschätzten Theaterpatriarchen in der Nachkriegszeit wahrgenommen. Zugleich stellt sie sich nun mutig einer höchst ambivalenten Geschichte.
Schuld und Spiel
Mit dieser familiären und damit auch emotionalen Verortung im Hier und Heute, die zugleich als Irritation funktioniert, wird Noam Brusilovskys "Mitläufer" für ein gegenwärtiges Publikum fühlbar. Denn auch wenn Alexander Golling und Oskar Wällen offiziell als eben diese "Mitläufer" eingestuft wurden, auch wenn viele Aussagen aus den Spruchkammerverfahren dabei durchaus für sie sprachen, so stellt das Stück zugleich eine viel größere Verantwortung und damit auch Schuld in den Raum, die nicht durch sich widersprechende Narrative ausgeräumt werden kann. Die Schuld des Mitläufers. Dass dabei zugleich immer auch eine Heute befragt wird, in einer Zeit, in der bis vor kurzem undenkbare politische Konstellationen zumindest wieder befürchtbar werden könnten, macht diese längst überfällige Auseinandersetzung des Bayerischen Staatsschauspiels mit seiner Vergangenheit zu einem beklemmend gegenwärtigen Theatererlebnis.
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