Welt/Bühne Das Festival im Münchner Residenztheater
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WELT/BÜHNE - DAS FESTIVAL

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Poetische Skizzen zur Weltlage: Das "Welt/Bühne"-Festival

Aus Italien, Israel, Uganda, der Ukraine – 25 Theaterautoren und -autorinnen aus der ganzen Welt erzählen in szenischen Lesungen und Diskussionen von Kriegen und Krisen. Bis 30 Juni im Münchner Marstall-Theater beim Festival "Welt/Bühne".

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Nachrichten aus der Ukraine. Natalja Blok steuert dem Festival "Welt/Bühne" im Münchener Residenz-Theater ein dokumentarisches Stück bei. Wenn Krieg und Okkupation die Wirklichkeit auf den Kopf stellen und ein Drama dem anderen folgt, braucht es auf der Bühne keine weitere Verfremdung mehr. Theater in Zeiten des Krieges versteht die Dramatikerin und Regisseurin aus Cherson denn auch als eine Art Therapieangebot. "Es sind zwei Texte, die in die szenische Lesung eingeflossen sind", sagt Natalja Blok. "Zum einen meine Fluchtgeschichte 'Ich möchte innehalten'. Zum anderen ist der Text 'Stadt M oder die Melitopolkirsche' in das Stück eingegangen, in dem ich von meinem Freund Serhij, einem Schauspieler erzähle, der nicht fliehen kann, weil er zur Armee eingezogen worden ist."

Traumatische Geschichten aus dem Krieg

Es sei ein dokumentarisches Stück mit Episoden aus Mariupol, Melitopol und München. Jeder von ihnen habe eine andere Erfahrung im Krieg gemacht. Aber alle Geschichten seien traumatisch. "Im Theater kannst du auf der Bühne eine Geschichte erleben, die deiner eigenen ähnlich ist und du hast das Gefühl, dass du mit deinem Schicksal nicht allein bist. Eine Art 'Theater der schnellen Reaktion'".

Kaleidoskopartig kombiniert Natalja Blok Erfahrungen und Momentaufnahmen einer Flucht mit den Erfahrungen ihrer Hündin Afina, die auch zur Sprache kommen, schlaglichtartigen Bildern von der Front, Sexträumen und der unerschütterlichen Suche des Helden Serhij nach seiner Freundin.

Kulturaustausch auf der Bühne

Lebensbejahende Gewissheiten können sich die Protagonisten in Oleksandr Seredins Stück "Die Langlebigen" nicht leisten: Verwundete und Verletzte nämlich sowie und diejenigen, die ihnen helfen. Jeder Tag des Überlebens zählt und summiert sich zu einem langen Leben. "Welt/Bühne" ist ein vielstimmiges Festival, ein Experiment des Kulturaustausches, voller brisanter Heterogenität. Der Höhepunkt: Eine Lesereise mit zwei Dutzend Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt, kuratiert von dem Schriftsteller und Dramatiker Albert Ostermaier.

"Was für mich dann das Spannende wird, dass es der Versuch ist, einfach eine Gegenwartsbilanz zu machen", so Ostermaier. "Wir werden uns durch die ganze Welt bewegen, das geht von Israel und Palästina über Italien bis nach Australien mit Simon Stone am Ende. Was ich mir daraus erhoffe und erwarte, das zeichnet sich in den Texten ab, dass man vielleicht auch Vergleichsmomente sieht. Gibt es Frühindikatoren, dass man merkt, dass sich ein Land radikalisiert? "

Seismographisches Gespür

Die Fragestellungen sind so ortgebunden wie grenzüberschreitend, etwa in Birute Kapustinskaites Stück "Das Pfannkuchenrezept der Nobelpreisträgerin": Es geht um sexuelle Übergriffe eines Professors während des Medizinstudiums, die mindestens drei Frauen betreffen. Das Tauma ist bei allen gleich, doch für die Heldin ist es ein Alptraum, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Es würde bedeuten, mahnt die Mutter, dass auch die sexuellen Übergriffe des eigenen Vaters aufgeklärt werden würden – ein Kollaps der Familienehre. Eine sicher weitverbreitete Schweigepflicht. Und was baut sich auf zu nationalen Krisen? Zu Konflikten über die Familie hinaus?

Albert Ostermeier spricht der "Welt/Bühne" Kassandra-Fähigkeiten zu. "Nämlich die, dass sie ein seismographisches Gespür hat für das, was ist, aber vor allem, was kommen wird und kommen kann und kommen könnte. Weil, ich habe die Erfahrung mit der Politik gemacht, dass ein Problem, eine Krise erst dann wahrgenommen wird, wenn es vor der Tür steht."

In Anbetracht der Gleichzeitigkeit von Krisen und Kriegen wäre Zukunftswissen aus Dramatik und Literatur nicht nur Wunsch, sondern dringliche Notwendigkeit.

Mehr Infos zum "Welt/Bühne"-Festival

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