Der Reichtstag in Berlin
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Welche Rolle hat Desinformation beim Bundestagswahlkampf gespielt? Der #Faktenfuchs blickt auf die letzten Monate zurück

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Wahlkampf 2021: Diese Rolle spielten Falschbehauptungen

Wahlkampf 2021: Diese Rolle spielten Falschbehauptungen

Monatelang hat der #Faktenfuchs Ausschau nach Falschbehauptungen zur Wahl gehalten. Welche Narrative wurden verbreitet – und waren es mehr als bei vergangenen Wahlen? Ein Rückblick.

Dieser Bundestagswahlkampf war ein besonderer: Wegen der Corona-Pandemie wurde er an vielen Stellen ins Netz verlegt. Wahlkampfveranstaltungen waren gerade Anfang des Jahres noch nicht möglich. Gleichzeitig wurde vor Desinformationskampagnen in den sozialen Netzwerken gewarnt. Darauf, dass Desinformation eine große Rolle spielen könnte, bereiteten sich viele vor.

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Der #Faktenfuchs hat bereits im Januar recherchiert, wie schon damals – 9 Monate vor der Bundestagswahl – versucht wurde, die Wahl zu delegitimieren.

Frühe Desinformation erinnert an Behauptungen zur US-Wahl

Was auffiel: Viele der Gerüchte um die Wahl ähnelten den Behauptungen, die auch zur US-Wahl verbreitet wurden. Dazu zählt das Narrativ des Wahlbetrugs – Donald Trump selbst behauptete schon Monate vorher, die US-Wahl werde der "größte Betrug in der Geschichte der Wahlen".

Ähnlich wie in den USA gab es in Deutschland schon Anfang des Jahres viele Gerüchte rund um die Briefwahl, zum Beispiel, dass sie einfacher zu manipulieren sei. Es wurde etwa behauptet, dass Stimmen von Komapatienten und Toten gezählt werden könnten – was nicht stimmt. Auffällig waren außerdem Gerüchte zu Wahlhelfern, die das Wahlergebnis manipulieren könnten. Experten schließen dies aber aus. Es gebe zahlreiche Kontrollmechanismen und in Deutschland ist es nicht zulässig, dass nur Mitglieder einer Partei als Wahlhelfer die Stimmzettel auszählen. In der Regel sind es laut Bundeswahlordnung Mitglieder aller Parteien, die sich als Wahlhelfer engagieren, sowie ehrenamtliche Wahlhelfer, die nicht in Parteien aktiv sind.

Der Politikwissenschaftler Andreas Jungherr forscht an der Universität Bamberg zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und sagte im Interview mit dem #Faktenfuchs, es sei kein Zufall, dass Behauptungen wie zur Briefwahl denen zur US-Wahl ähneln. "Ich glaube schon, dass wir hier ganz bewusst eine Kopie des US-amerikanischen Diskurses sehen. Also das hier ganz bewusst versucht wird, in der eigenen Unterstützergruppe den Punkt zu setzen: Wir brauchen die Wahl nicht akzeptieren." Das folge dem strategischen Ziel, einen Vorwand aufzubauen, um die Legitimation einer zukünftigen Regierung anzuzweifeln.

Baerbock Hauptziel von Desinformation

Spätestens seit der Bekanntgabe der Kandidaturen von Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Armin Laschet (CDU) im Frühling wurden auch die Kanzlerkandidaten – und vor allem die Kanzlerkandidatin – Ziel von Desinformation. Laut einer Analyse der Organisation Avaaz von Faktenchecks von Correctiv, dpa und AFP, war Baerbock die Politikerin, die im Jahr 2021 am häufigsten von Desinformation betroffen war. Zu diesem Ergebnis kam auch Newsguard, ein Unternehmen das Websites nach ihrer Glaubwürdigkeit bewertet und einen Desinformations-Tracker betreibt. Laut ihrer Analyse waren die Grünen am häufigsten von Desinformation betroffen, gefolgt von CDU/CSU und der SPD.

Zum Beispiel verbreiteten sich Fake-Zitate, etwa zur angeblichen Forderung nach einem Haustierverbot (den #Faktenfuchs-Artikel dazu lesen Sie hier). Oder dazu, dass Baerbock angeblich die Witwenrente abschaffen wolle. (Ticker-Eintrag vom 14. Mai ). Beides stimmt nicht. Mit einem weiteren Fake-Zitat wurde ihr unterstellt, sie wolle das Glasfasernetz ausbauen, um E-Autos auf dem Land zu laden – das hatte Baerbock nicht gesagt, wie Correctiv überprüfte.

Auch verbreiteten sich sexistische Bildmontagen zu ihr – darunter gefälschte Nacktfotos. Von solchen sexistischen Angriffen sind Politikerinnen deutlich häufiger betroffen als Politiker, wie der #Faktenfuchs recherchierte. Baerbock wurde außerdem in die antisemitische Verschwörungstheorie zum "Great Reset" eingebaut:

Bei Baerbock kämen zwei Aspekte zusammen, sagt der Politikwissenschaftler Erik Meyer, der schon bei der US-Wahl 2020 und der Europawahl 2019 zu Desinformation geforscht hat: dass es eine weibliche Kandidatin sei und dass die Grünen eine besondere Rolle in einem gewissen Kulturkampf spielten. Aber: "Es ist nicht so, dass Falschbehauptungen eine spezielle Angelegenheit sind, die ausschließlich die Grünen treffen. Auch Armin Laschet und die CDU wurden von Akteuren ins Visier genommen und zum Beispiel mit Verzerrungen von Zitaten und Fotomontagen angegriffen".

Falschinformationen wie Fake-Zitate auch zu CDU/CSU

Zu Laschet kursierte ein falsches Zitat, laut dem er sagt, man müsse jungen Leuten erklären, warum das mit dem Klimaschutz nicht so schnell gehe. Das Zitat basiert auf einem Tweet der Friday-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, die es bereits 2019 auf ihrem Twitter-Kanal gepostet hatte. Laschet hatte sich jedoch wörtlich nicht so geäußert. Außerdem verbreitete sich ein Bild auf Facebook und Twitter, auf dem es so aussieht, als habe ein Mann neben Laschet im Regen stehen müssen, während Laschet unter einem Schirm stand. Das Bild entstand, als Laschet das Katastrophengebiet in Westdeutschland nach dem Hochwasser besuchte. Dem Bild fehlt der nötige Kontext, wie Correctiv recherchierte.

Die CSU wurde Ziel eines selbsternannten Satireprojekts: In den sozialen Netzwerken verbreitete sich Ende Juni ein Video, das den Anschein erweckte, von der Partei zu stammen. Es legte nahe, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer zusätzliche Geflüchtete in Deutschland aufnehmen wolle. Bevor sich die Künstler zu der Aktion bekannten, verbreitete sich das Video ohne Einordnung im Netz. Auch zum bayerischen Ministerpräsidenten Söder kursierten falsche Zitate (siehe z.B. hier und hier bei Correctiv).

Ziel von Desinformation: Aufmerksamkeit oder Klicks generieren

Zu Scholz und der SPD haben Faktenchecker wenig Desinformation beobachtet. Die wenigen Falschbehauptungen, die sich zu Scholz verbreitet haben, drehten sich wiederholt um gefälschte Finanztipps (Faktenchecks von mimikama dazu hier und hier).

Der Politikwissenschaftler Andreas Jungherr von der Universität Bamberg sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs, was online passiere, folge einer "Aufmerksamkeits-Logik" – auch Desinformation. Es stehe der Kandidat im Vordergrund, der stark in der medialen Berichterstattung sei oder sich angreifbar gemacht habe. "Meine Vermutung wäre, dass diese Kandidatin oder dieser Kandidat dann auch Ziel von Desinformation wird."

Desinformation auch außerhalb des Internets

Neben gefälschten Zitaten, Fotos und Videos schafften es auch einige Fakes in die Offline-Welt: Unter anderem wurden mehrfach Fake-Wahlplakate der CDU/CSU aufgehängt – als Satire. Darüber berichtete zum Beispiel Mimikama. In einem Fall bekannte sich die Satirepartei "Die Partei" zu so einem Plakat, für andere übernahm die Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion die Verantwortung.

Die Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft" schaltete am 11. Juni in mehreren überregionalen Zeitungen eine Anzeige, die Annalena Baerbock in einer Fotomontage mit zehn Geboten auf dem Arm zeigte und die Grünen als Verbotspartei darstellen sollte. Die Deutsche Presse-Agentur hat vier der Behauptungen untersucht und kommt zu dem Schluss, dass diese falsch, teilweise falsch oder ungenau sind.

Zuerst Kandidaten im Fokus, dann der Wahlprozess

Zu welchen Themenbereichen im Wahlkampf Desinformation verbreitet wurde, dazu gibt es bisher noch keine quantitativen Analysen. Der Politikwissenschaftler Erik Meyer beobachtete vor allem Falschbehauptungen zur Pandemie-Politik und zum Klima – und da vor allem in Zusammenhang mit dem Narrativ der Grünen als "Verbotspartei".

Laut Newsguard hat sich der Fokus der Falschinformationen kurz vor der Wahl verschoben. Über die Wahlkampfmonate hinweg hätten sich vor allem Falschbehauptungen und Gerüchte rund um die Parteien und ihre Kandidaten verbreitet.

Kurz vor der Wahl überwog danach jedoch Desinformation, die den Wahlprozess selbst und die Legitimität der politischen Prozesse infrage stelle. Dazu gehöre etwa die Behauptung, dass die Briefwahl ein Instrument für Wahlbetrug sei oder es bei Auszählung zu Manipulationen kommen könne. Zu diesen Themen hat der #Faktenfuchs bereits mehrfach recherchiert (hier zu Briefwahl und hier zu weiteren Fragen rund um den Wahlprozess).

Wer verbreitete Desinformation?

Von der US-Wahl 2016 ist bekannt, dass es vor allem russische Desinformationskampagnen waren, bei denen auch mithilfe von Bots versucht wurde, Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen.

Im Bundestagswahlkampf sei die politische Desinformation dagegen "zum ersten Mal in der Geschichte" von Bürgern selbst gekommen, sagte James Hawdon, Professor für Soziologie und Direktor des Zentrums für Friedensstudien und Gewaltprävention an der Virginia Tech University den Faktencheckern von Correctiv. Erik Meyer beobachtete Ähnliches bereits bei der US-Wahl 2020.

Bots, von denen befürchtet wurde, dass sie gezielt Desinformation verbreiten, habe man im Bundestagswahlkampf wenig gesehen. Das kann laut Meyer auch daran liegen, dass Facebook mittlerweile Bots stärker einschränkt.

Wo verbreitete sich Desinformation?

Was dagegen laut Meyer im Vergleich zugenommen habe, sei die Bedeutung von Desinformation durch "individuelle Superspreader", zum Beispiel in großen Telegram-Kanälen. Der Politikwissenschaftler Jungherr sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs, auch weil Plattformen wie Facebook oder Twitter mittlerweile stärker moderierten und Falschmeldungen kennzeichneten, wanderten Verbreiter von Desinformation zunehmend auf andere Plattformen ab – allen voran zu Telegram.

Das enorme Anwachsen von Telegram-Gruppen mit teils mehr als einhunderttausend Abonnenten hat auch der #Faktenfuchs beobachtet. Über diese Kanäle verbreitet sich Desinformation im Minutentakt, auch zu politischen Themen und zum Wahlkampf. Dazu gehören Kanäle wie der des Schlagersängers und Verschwörungstheoretikers Michael Wendler, der bis vor kurzem aktive Account von Attila Hildmann, Kanäle von rechtsextremen Aktivisten wie Martin Sellner von der Identitären Bewegung sowie von Aktivisten, die die Existenz des Corona-Virus leugnen oder Gegner der Pandemie-Maßnahmen sind.

Auch beschränkt sich Desinformation längst nicht mehr nur auf Text, Bild oder Videos: "Die problematischen Inhalte wandern ab in Sprachnachrichten auf Telegram, in nur 24 Stunden verfügbare Instagram-Storys oder in YouTube-Livestreams", sagt Erik Meyer. Livestreams hätten bei der Desinformation auch bei der US-Wahl 2020 eine große Rolle gespielt.

Und auch einschlägige Blogs und Portale spielten eine Rolle dabei, Desinformation zu schaffen oder aus dem Zusammenhang gerissene Darstellungen populär zu machen. Diese Quellen wurden dann wiederum über Telegram-Kanäle und soziale Netzwerke verbreitet.

Gab es in diesem Bundestagswahlkampf mehr Desinformation als bei der letzten Bundestagswahl?

Desinformation ist kein Alleinstellungsmerkmal des aktuellen Wahlkampfs. Falschbehauptungen über Kandidaten, die Wahl selbst oder die Umstände der Stimmauszählung gab es auch in der Vergangenheit. Nach vergangenen Landtagswahlen wie etwa der in Sachsen-Anhalt im Juni 2021 verbreiteten sich zum Beispiel Behauptungen, es habe Wahlfälschung gegeben – zu Unrecht, wie dieser #Faktenfuchs darlegt.

Auch im Zuge der Bundestagswahl 2017 gab es Falschmeldungen, gefälschte Wahlplakate oder Desinformations-Kampagnen gegen einzelne Personen. Dennoch waren die Befürchtungen im Vorfeld der Wahl größer, als sie sich in der Praxis bewahrheiteten: Eine Studie der Stiftung Neue Verantwortung aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass manche Prophezeiungen, die im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 geäußert wurden, nicht eintraten. So habe es zum Beispiel nur wenige Desinformations-Kampagnen aus Russland gegeben. Allerdings kamen 2017 zahlreiche Falschbehauptungen laut der Untersuchung "von Rechten, Rechtspopulist:innen und Rechtsextremen".

Die Journalistin und Autorin Karolin Schwarz, die sich mit Desinformation beschäftigt, kommt im Rahmen einer Befragung zum Thema Desinformation im Bundestagsausschuss Digitale Agenda zu dem Schluss: Für den Bundestagswahlkampf 2017 seien eine Reihe von Manipulationsversuchen nachgewiesen worden. So seien etwa Anleitungen verbreitet worden, wie man Fake-Accounts anlegt. Auch unter dem Hashtag #Wahlbetrug seien zahlreiche Falschmeldungen verbreitet worden. Damals gab es allerdings – anders als heute – noch nicht viele Faktenchecker-Projekte (auch der #Faktenfuchs wurde erst nach der Bundestagswahl 2017 ins Leben gerufen).

Der Politikwissenschaftler Erik Meyer, der zu digitaler Desinformation in Wahlkämpfen forscht, sagte im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen auf den digitalen Plattformen unterwegs seien, könnten irreführende Inhalte durchaus verstärkt Verbreitung finden. Anders als in den USA gebe es jedoch keine Person in einem hohen politischen Amt wie Donald Trump, die im Vorfeld der Wahl als "Superspreader von Desinformation" agiere.

Inwiefern bei diesem Bundestagswahlkampf tatsächlich mehr Falschinformationen verbreitet wurden, lässt sich (noch) nicht abschließend sagen. Zum einen gibt es seit 2017 mehr Faktenchecker, die sich mit Falschbehauptungen befassen – und damit diese auch enttarnen. Zum anderen werden erst Studien nach der Bundestagswahl verlässlich Auskunft geben können, inwiefern und in welchem Ausmaß sich Befürchtungen im Vorfeld der Wahl bewahrheiten.

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