Seit langem wächst in Deutschland der Anteil älterer Wähler - viele Jugendliche sehen ihre Interessen durch die Politik nicht berücksichtigt.
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viele Jugendliche sehen ihre Interessen nicht richtig vertreten

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Jugendliche und die Politik: "Nicht so stark vertreten"?

Seit langem wächst in Deutschland der Anteil älterer Wähler - und viele Jugendliche sehen ihre Interessen durch die Politik nicht genug berücksichtigt. Würde ein Wahlrecht ab 16 helfen? Das ist umstritten, bisher scheitert es am "Nein" der Union.

Ob die Interessen von jungen Menschen in der Politik ausreichend berücksichtigt werden, diese Frage beschäftigt Jugendliche und Politiker seit langem. Für die Betreuer einer Ferienfreizeit in der Nähe von München ist die Sache ziemlich klar: eher nein. "Wir Jugendlichen werden nicht so stark vertreten, weil die Politik auf Ü60-Wähler ausgerichtet ist", sagt der 16-jährige Noah. "Und so lange wir nicht wählen können, müssen die Politiker sich nicht so arg um unsere Interessen scheren - weil es dann eher um Themen wie Pflege oder Rente geht."

Noahs Vermutung: Drängende Probleme wie der Klimaschutz würden mehr verfolgt, wenn auch 16- und 17-Jährige wählen dürften. Ähnlich sieht das die 24-jährige Aylin. Sie geht etwa davon aus, dass ihre Generation kaum gesetzliche Rente bekommen wird und plädiert für ein Grundeinkommen. "Es wäre natürlich cool, wenn wieder mehr Jugendliche in Entscheidungen einbezogen werden", sagt sie. Und der 18-jährige Timo ergänzt: "Die Parteien gucken vor allem auf die Älteren, weil es ihre Generation ist - Politik ist nun mal überaltert."

Bundestagswahl: Anteil älterer Wahlberechtigter steigt

Tatsächlich steigt in Deutschland auch der Anteil älterer Wähler immer weiter. Bei der Bundestagswahl am 26. September ist deutlich mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten über 50 Jahre alt - nämlich 57,8 Prozent. Die Jungen werden bei Bundestagswahlen prozentual gesehen immer weniger: 1961 waren 19,4 Prozent der Wahlberechtigten unter 30 Jahre alt - inzwischen sind es noch 14,4 Prozent.

Der Politologe Michael Weigl von der Universität Passau plädiert zwar für Vorsicht bei der Frage, was genau Politik für Jüngere von Politik für Ältere unterscheidet. Viele junge Menschen hätten allerdings nicht das Gefühl, dass Politik für sie gemacht werde. "Und allein das ist natürlich schon ein Zeichen, dass sich was bewegen muss", sagt Weigl. Er verweist auch darauf, dass in den Parlamenten überwiegend ältere Menschen sitzen - im Bundestag etwa sei man in der Regel über 40 Jahre alt.

Weigl betont aber auch, dass in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon einiges passiert sei, um die Belange von Jugendlichen besser aufzugreifen. Als Beispiel nennt er Jugendparlamente. "Das kommt auch an bei der Politik", erklärt der Politologe.

Wahlrecht ab 16: In Deutschland umstritten

Ein Ansatz für mehr Jugendbeteiligung: Schon 16- und 17-Jährige wählen lassen. Während sich Österreich genau dafür schon im Jahr 2007 entschieden hat, flackert die Debatte in Deutschland seit vielen Jahren immer wieder auf. Auf Bundesebene wäre für eine Wahlalter-Absenkung auf 16 Jahre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig - bislang sind Union und AfD aber strikt dagegen. Zentrales Argument: Das Wahlalter solle mit der Volljährigkeit verknüpft sein, vorher fehle die politische Reife. Anders sehen das SPD, Grüne, FDP und Linke im Bundestag - sie sind dafür, das Wahlalter zu senken.

Bayern: CSU und AfD gegen Wahlalter ab 16

In Bayern darf man sowohl bei Landtags- als auch bei Kommunalwahlen erst ab 18 Jahren wählen. Auch im Bayerischen Landtag sind mehrere Fraktionen dafür, das Wahlalter abzusenken: Grüne, SPD und FDP. Die Freien Wähler (FW) wollen 16- und 17-Jährige nur bei Kommunalwahlen abstimmen lassen, nicht bei Landtagswahlen. Mit dieser Forderung können sie sich aber bisher nicht gegen den Koalitionspartner CSU durchsetzen. Auf BR-Anfrage teilte ein Sprecher der FW-Fraktion zuletzt mit, die Absenkung des aktiven Wahlalters bei Kommunalwahlen stelle "für uns weiterhin eines der wirksamsten Instrumente dar, um jungen Menschen eine bessere Teilhabe an der Demokratie zu ermöglichen".

Die Christsozialen lehnen eine Absenkung des Wahlalters ab. Der CSU-Landtagsabgeordnete Thomas Huber verweist auf verschiedene Möglichkeiten der Jugendbeteiligung: "Partizipation von Jugendlichen passiert vor Ort - in der Gemeinde, in der Schule und im Vereinsleben". Genau das wolle seine Fraktion stärken und unterstützen sowie das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen "besser würdigen". FDP-Fraktionschef Martin Hagen ist jedoch fürs Wählen ab 16: "Die politischen Entscheidungen betreffen insbesondere die jungen Menschen, sei es beim Klima oder bei der Staatsverschuldung. Und deswegen sollte diese Generation auch mitreden", sagt er.

Wie würden 16- und 17-Jährige wählen?

Häufig zu hören ist die Vermutung, dass die Unionsparteien eine Absenkung des Wahlalters ablehnen, weil sie dadurch Stimmverluste fürchten. Ob das so wäre, ist nicht abschließend geklärt: Bei der symbolischen und nicht-repräsentativen "Jugendwahl U18" variieren die Ergebnisse. So lag bei der U18-Bundestagswahl 2017 die Union vor Grünen und SPD, während bei der U18-Europawahl vor gut zwei Jahren die Grünen mit Abstand stärkste Kraft waren.

Dass der Einfluss der möglichen Neuwähler nicht gering wäre, verdeutlicht eine Zahl: In Deutschland leben derzeit rund 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 16 und 18 Jahren. Einige davon dürfen schon wählen: Inzwischen haben elf Bundesländer Jugendlichen ab 16 Jahren das aktive Wahlrecht auf kommunaler Ebene eingeräumt. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen 16- und 17-Jährige darüber hinaus auch bei Landtags- oder Bürgerschaftswahlen abstimmen.

Wählen ab 16 "letztlich eine Glaubensfrage"

Politologe Weigl hält die Frage, ob man schon ab 16 Jahren wählen darf, "letztlich für eine Glaubensfrage". Es stehe "Argument gegen Argument". Weigl vermutet allerdings, "dass es nur eine Frage der Zeit ist - irgendwann werden wir das Wahlalter ab 16 bekommen". Auch bei den Betreuern in der Ferienfreizeit bei München gibt es kein einheitliches Bild. Timo ist dagegen: "Viele Leute sind mit 16 noch nicht bereit zu wählen - oder wählen aus Spaß irgendwelche Parteien", sagt er. Anders sieht das Noah: "Die politische Reife hat nichts mit dem Alter zu tun."

Plenarsitzung im Bundestag am 25.06.21
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