Bodensee-Panorama
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Bayern denkt darüber nach, Wasser aus dem Bodensee zu entnehmen, um es in den Norden und Osten zu pumpen. Die Idee löst auch Kritik aus.

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Trinkwasser: Bayern und die Mega-Leitung vom Bodensee

Wasserverbände und Politiker in Bayern denken über ein Milliardenprojekt nach: Eine Mega-Leitung könnte künftig Wasser vom Bodensee in den trockenen Norden und Osten des Freistaats bringen. Doch nicht nur Naturschützer sind skeptisch.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

In einem dicken Ordner führen Wasserwart Markus Hey und Siegbert Ruck Protokoll. Von ihrer Dienststelle, dem Pumpwerk im unterfränkischen Irmelshausen, sind es gerade einmal 1,5 Kilometer bis nach Thüringen. Die Gegend im Grabfeld gilt als eine der trockensten in Bayern. Hey und Ruck zeigen auf die Notizen in ihren Unterlagen. 2018 regnete es 555 Liter pro Quadratmeter, 587 Liter in 2019, 559 Liter in 2020. Bereits seit vier Jahren gilt hier und in weiteren Dörfern im Grabfeld eine Anordnung zum Wassersparen: Pools dürfen nicht mehr befüllt werden, Rasensprengen ist verboten.

Markus Hey beobachtet, dass die Pegelstände in den Brunnen rapide zurückgehen. Er habe Angst, dass sie versiegen: "Es kann dir keiner sagen, wann kein Wasser mehr nachkommt." Mögliche Hilfe verspricht nun ein Projekt, das unter anderem Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) forciert: eine Mega-Leitung vom Bodensee einmal quer durch den Freistaat.

Wasser aus dem Süden soll in den Norden

Mit Blick auf die durchschnittlichen Niederschlagsmengen kann man sich den Freistaat zweigeteilt vorstellen: Im Süden regnet es deutlich mehr als im Norden. Gerade einmal 454 Liter Regen pro Quadratmeter waren es 2022 in Irmelshausen im Grabfeld. 1.239 Liter pro Quadratmeter waren es laut Deutschem Wetterdienst dagegen beispielsweise in Garmisch und in Konstanz 872 Liter pro Quadratmeter. Gleichzeitig befindet sich dort mit dem Bodensee im Südwesten Bayerns ein enormer Wasserspeicher. Baden-Württemberg nutzt den See bereits zur Trinkwasserversorgung für viele Millionen Menschen, etwa aus dem Raum Stuttgart. Jetzt überlegt auch das Bayerische Umweltministerium, Wasser aus dem See nach Norden zu pumpen. Ein Milliardenprojekt – wenn es denn kommt.

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Trinkwasseraufbereitung in Baden-Württemberg: Die Bodensee-Wasserversorgung nutzt den See bereits, das Wasser wird in 60 Metern Tiefe entnommen.

Bodensee, Lechmündung, Trinkwassertalsperre

Denn derzeit handelt es sich bei der Bodensee-Entnahme nur um eine von mehreren Überlegungen, mit denen sich Umweltministerium, Landesamt für Umwelt und die bayerischen Fernwasserversorger beschäftigen. Gemeinsam haben sie 2021 das Projekt "SüSWasser" gestartet. Im Juli 2023 hat Umweltminister Glauber Zwischenergebnisse vorgestellt. Im ersten Teil des Projekts hat ein Ingenieurbüro geprüft, wo in den kommenden Jahrzehnten die Wasserreserven knapp werden könnten. Im nächsten Schritt soll es bis Ende 2024 darum gehen, welche Maßnahmen dafür am besten geeignet sind.

Die Rede ist einerseits von kilometerlangen Leitungen, um die verschiedenen Fernwasserversorger miteinander zu verbinden. Gleichzeitig stellen sich die Experten die Frage, welches Wasserreservoir zusätzlich angezapft werden könnte. Etwa könnte das Lechmündungsgebiet im schwäbischen Oberndorf weiter erschlossen werden, als "leistungsstarke Reserve", wie es in der Analyse heißt. Außerdem könnte künftig Bodenseewasser in nördlichere Gebiete des Freistaats umgeleitet werden. Eine weitere Überlegung: eine dritte Trinkwassertalsperre – zusätzlich zu Mauthaus im Frankenwald (Oberfranken) und Frauenau im Bayerischen Wald (Niederbayern).

Grafik: Mögliche Fernwasserleitungen vom Bodensee in Richtung Norden und Osten Bayerns

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Ein neues Leitungssystem könnte künftig Wasser aus dem Bodensee in den Norden und Osten Bayerns bringen.

Ziel ist es laut Ministerium, die ortsnahe öffentliche Wasserversorgung zu unterstützen und "im Bedarfsfall" zu entlasten – also eine Art Notfall-Wasserleitung. Lange hatte das Umweltministerium keine Angaben dazu gemacht, spricht inzwischen aber von einem Gesamtbedarf von rund 25 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr. Zum Vergleich: Das ist mehr Wasser als die Talsperre Mauthaus speichern kann. Ob der Bedarf noch steigen könnte, dazu äußert sich das Ministerium nicht.

Naturschützer halten Bodensee-Leitung für überflüssig

Doch während diese Optionen geprüft werden, regt sich bei einem der möglichen Vorhaben bereits Widerstand: der Wasserleitung vom Bodensee über Nürnberg nach Ostbayern. Christine Margraf vom Bund Naturschutz (BN) etwa hält das Projekt für überzogen und an den eigentlichen Problemen vorbei geplant.

Margraf kritisiert: "Man tut so, als könnte man mit technischen Maßnahmen das Problem lösen. Das funktioniert aber nicht, weil das Problem beim Umgang mit dem Wasser liegt." Sie befürchte, dass durch die Mega-Wasserleitung der Glaube entstehe, man könne weitermachen wie bisher. "Diese trügerische Hoffnung ist einfach falsch", sagt die promovierte Biologin.

Wasserpreis noch immer nicht umgesetzt

Der BN fordert deshalb einen Wasserpreis, der so hoch sein muss, dass es sich lohnt, möglichst viel Wasser einzusparen. Bayern ist eines von drei Bundesländern, in denen die Entnahme noch nichts kostet. Das Umweltministerium hatte angekündigt, einen sogenannten Wassercent einzuführen. Bisher gibt es ihn nicht. In Baden-Württemberg zahlt etwa die Bodensee-Wasserversorgung zehn Cent für 1.000 Liter entnommenes Wasser.

Der BN schlägt außerdem vor, Flüsse und Bäche zu renaturieren und den Flächenverbrauch einzuschränken. Wasser soll so vorwiegend vor Ort im Boden gespeichert werden. Christine Margraf sagt: "Fakt ist, dass alles, was ich jetzt in Angriff nehme, um die Landschaft wasserhaltefähiger zu machen, eine Wirkung hat." Auch der Süden werde im Jahr 2050 unter den Folgen des Klimawandels und unter mehr Trockenheit leiden. Das bestätigt auch die Grobanalyse aus dem Umweltministerium. Im Westallgäu und südlich von Kempten könnte es demnach Defizite geben.

Mehrere Maßnahmen sollen Wasserversorgung sichern

Die mögliche Wasserspange, wie sie Umweltminister Glauber immer wieder anführt, wäre nicht die erste Großmaßnahme, um Wasser aus dem bayerischen Süden in den trockeneren Norden zu schaffen. Über die Main-Donau-Leitung und das fränkische Seenland werden schon jetzt Millionen Kubikmeter jährlich umgeleitet. Die Wasserversorgung Fränkischer Wirtschaftsraum (WFW) pumpt Trinkwasser aus dem schwäbischen Genderkingen in den Ballungsraum Nürnberg-Fürth-Erlangen.

Professor Jörg Drewes vom Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft an der TU München verweist darauf, dass verschiedene Maßnahmen nötig seien, um die Versorgung in Bayern zu sichern. Neben einer verstärkten Regenwassernutzung oder der Wiederverwendung von Wasser zählt er dazu auch neue Leitungen. Die mögliche Bodensee-Leitung könnte eine davon sein.

Lange Leitung, hohe Kosten

Drewes gibt allerdings zu bedenken, dass die Größe der Leitung Herausforderungen mit sich bringe. Denn in den Wintermonaten ist der Wasserbedarf geringer als im Sommerhalbjahr. "Das bedeutet, dass das Wasser auch in den Leitungen stagniert. Das ist nicht so günstig für die Hygiene und Qualität des Wassers", sagt Drewes. Hinzu komme die Frage, wie viel Wasser dem Bodensee künftig in Trockenjahren noch zur Verfügung steht – wobei der Wissenschaftler die momentan geplante Wassermenge für vertretbar hält.

Fest steht auch: Das Projekt würde Milliarden kosten – konkret geht Umweltminister Glauber von vier bis fünf Milliarden Euro aus. Er sagte BR24 dazu: "Es gilt am Ende, die Kosten nebeneinander zu legen, denn das müssen die Bürgerinnen und Bürger, aber auch der Freistaat bezahlen können." Aus seiner Sicht eigne sich der Bodensee gut, auch wegen der hohen Wasserqualität. Ein Projekt für Jahrzehnte – vielleicht ließe sich die Trinkwasserversorgung im Norden und Osten Bayerns auf anderem Wege leichter sichern.

Dritte Talsperre als denkbare Alternative

Wie das möglicherweise gehen könnte, zeigt Markus Rauh bei einem Besuch an der Ködeltalsperre im Frankenwald. Etwa 21 Millionen Kubikmeter Rohwasser sind in dem See gestaut, er wird aus zwei Flüssen gespeist. Als Verbandsdirektor der Fernwasserversorgung Oberfranken ist Rauh eng in das Projekt "SüSWasser" eingebunden. Für ihn steht fest: Die Talsperre in Oberfranken habe sich bewährt, "die funktioniert in Klimawandel-Zeiten ausgesprochen gut", so der Fachmann. Selbst in Trockenjahren habe sie ausreichend Wasser geführt.

Völlig offen wäre bei dieser Variante aber noch, wo die dritte Trinkwassertalsperre künftig liegen könnte. Das beauftragte Ingenieurbüro schlägt bislang für einen möglichen See nur einen groben Korridor vor – vom östlichen Oberfranken, über die östliche Oberpfalz bis in den Bayerischen Wald. Im Nordosten Bayerns erwarten die Experten künftig einen Mangel. Mit Blick in Richtung Süden sagt Rauh: "Die Frage, ob der Bodensee die richtige Ressource ist, ist derzeit noch nicht beantwortet. Persönlich habe ich meine Zweifel, dass es die langfristig wirksamste Maßnahme ist."

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Bis zu 21 Millionen Kubikmeter fasst die Talsperre Mauthaus in Oberfranken. Auch eine dritte Trinkwassertalsperre prüft der Freistaat derzeit.

Bedenken kommen auch aus Niederbayern. "Es sind nicht nur finanzielle Kosten, sondern das ist natürlich auch der ganze bauliche Aufwand, der zu treiben ist", sagt Rainer König, Hydrogeologe am Wasserwirtschaftsamt Deggendorf, das für die Talsperre Frauenau zuständig ist. Man müsse über 900 Kilometer lange Leitungen durch ganz Bayern bauen, um alles zu vernetzen. Das wäre teuer und würde lange dauern. "Es gilt, Wasser zurückzuhalten, da wo es anfällt", ist König überzeugt.

Bodensee-Leitung braucht internationale Zustimmung

Ohnehin müsste die Entnahme aus dem Bodensee zunächst international abgestimmt werden. Darauf verweist etwa die Vorarlberger Landesregierung auf BR24-Nachfrage. Ähnliche Antworten kommen beispielsweise aus den Schweizer Kantonen Thurgau und St. Gallen. Man habe grundsätzlich Kenntnis von den Plänen aus Bayern, kenne aber noch keine Details, schreibt der Kanton Thurgau dazu.

"Diese Gespräche laufen und natürlich sind die notwendig", sagt Bayerns Umweltminister Glauber mit Blick auf Baden-Württemberg. Dort hält sich man ebenfalls bedeckt mit einer politischen Bewertung und verweist nicht nur auf Klimachecks, die erst noch gemacht werden müssten, sondern auch auf die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB), die einbezogen werden muss.

Bodensee dürfte weiterhin genug Wasser haben

Laut IGKB, in der Bayern neben den anderen Bodensee-Anrainern selbst Mitglied ist, wird derzeit rund die Hälfte der genehmigten Wassermengen aus dem Bodensee für die Wasserversorgung entnommen. In einem Faktenblatt der IGKB heißt es: "Selbst ein aufkommender Mehrbedarf könnte zukünftig innerhalb der bestehenden Genehmigungen abgedeckt werden."

Grafik: Wasserbilanz des Bodensees

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Die Wasserbilanz des Bodensees mit den wichtigsten Einträgen (blau) und Austrägen (orange).

Derzeit verdunstet beispielsweise mit rund neun Kubikmetern pro Sekunde mehr Wasser, als für die Trinkwasserversorgung entnommen wird (4,1 Kubikmeter/Sekunde). Mit der Gesamtmenge von 25 Millionen Kubikmetern Wasser, die dem Umweltministerium vorschwebt, würde die gesamte Entnahmemenge aus dem Bodensee um circa 0,8 Kubikmeter pro Sekunde steigen. Wie es um die Wassersituation unter dem Eindruck des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten am Bodensee selbst steht, versuchen Wissenschaftler zurzeit genauer zu klären.

Kommunen im Grabfeld hoffen auf schnelle Lösung

Im trockenen Grabfeld wiederum bräuchte es zunächst keine Leitung vom Bodensee, deren Fertigstellung mehrere Jahrzehnte dauern könnte. Den Wasserzweckverbänden wäre bereits mit einem Anschluss an die Fernwasserversorgung im nahegelegenen Oberfranken geholfen. Pläne dafür gibt es bereits seit rund 20 Jahren. Doch damals scheiterte das Vorhaben an Widerständen in der Bevölkerung, sagt Georg Rath (CSU), Bürgermeister der Gemeinde Herbstadt im nördlichen Grabfeld.

Nun ist die Situation eine andere. Die Mitarbeiter im Pumpwerk Irmelshausen sagen, die Pegelstände ihrer vier Trinkwasserbrunnen seien um bis zu vier Meter gesunken – in gerade einmal fünf Jahren. Im Grabfeld hoffen sie auf eine Förderung des Freistaats, um die Leitung zu ermöglichen. Umweltminister Glauber kündigte an, das Projekt "partnerschaftlich" finanzieren zu wollen. Doch eine Zusage fehlt bislang. Es müssten "verschiedene Rahmenbedingungen geklärt werden", heißt es sehr allgemein aus dem Ministerium. Ein Anschluss des Grabfelds an die Fernwasserversorgung im benachbarten Thüringen gilt inzwischen als unwahrscheinlich.

Der Hafen von Lindau am Bodensee
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Der Hafen von Lindau am Bodensee

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