Blick auf Ingolstadt und die Donau
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Blick auf Ingolstadt und die Donau

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Wie evakuiert man eine Großstadt? Ingolstadt hat den Plan

Evakuierungspläne umfassen oft nur die extrem gefährdeten Stadtgebiete. Das soll sich ändern: Ingolstadt entwickelt mit der Hochschule München ein Notfallkonzept für eine komplette Stadt. Das bundesweit einzigartige Projekt soll als Blaupause dienen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Bei Hochwasser, Austritt von Gefahrenstoffen oder beim Fund von Kampfmitteln, wie beispielsweise Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg, kann es vorkommen, dass Teile der Bevölkerung evakuiert werden müssen – je nach Lage in möglichster kurzer Zeit. Pläne für solche begrenzten Evakuierungen gibt es in den allermeisten Städten. In Ingolstadt entsteht derzeit aber ein Plan, wie die ganze Stadt evakuiert werden könnte. Und das, sagt die Stadt, sei bundesweit einzigartig.

Plan für gesamtes Stadtgebiet bundesweit einzigartig

Evakuierungspläne gebe es oft nur für besonderes gefährdete Bereiche - etwa für Viertel, die besonders nahe am Fluss liegen, oder für Industriegebiete, erklärt Julian Schedel vom Amt für Brand und Katastrophenschutz der Stadt Ingolstadt. Er hält es für sinnvoll, für die ganze Stadt einen Plan in der Schublade zu haben. "Als einfaches Beispiel stellt man sich vor: ein Gefahrenstoff-Transport, der irgendwo auf der Straße verunglückt und dann die umliegende Bevölkerung bedroht.": Die Stadt Ingolstadt arbeitet gemeinsam mit der Fakultät für Geoinformation der Hochschule München an einem Plan, um im Fall der Fälle dann möglichst schnell jedes Viertel in Ingolstadt evakuieren zu können.

Evakuierungsrouten für Ingolstadt in vier Teilen

Dafür haben die Verantwortlichen Ingolstadt in vier Teile aufgeteilt. Die Studenten des Studiengangs Geomatik haben Evakuierungsrouten erarbeitet, darauf geachtet, welche Fahrzeuge dafür in Frage kommen, auf diesen Routen Sammelpunkte definiert, wo die Menschen abgeholt werden und auch die Bevölkerungsstruktur erfasst, um zu sehen, welche besonderen Anforderungen die Menschen haben, die in diesem Bereich leben. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Alter, um zu wissen: Wie weit können die Menschen beispielsweise zu Fuß gehen? Jedes Gebiet hat seine besonderen Herausforderungen.

Herausforderung: die enge Altstadt

Besonders schwierig stellte sich bei der Planung die Ingolstädter Altstadt dar: enge Straßen, Häuser, die dicht an dicht stehen, und Kopfsteinpflaster. Große Busse könnten sich hier gegenseitig blockieren, meint Student Julian Beilner. Der Plan: "Dort setzten wir dann auf kleine Busse, die bei der Feuerwehr vorhanden sind. So haben wir über kurze Strecken die Personen aus den Bereichen an zentrale Punkte herausgebracht. Dann werden die Leute mit großen Bussen aus der Stadt rausgebracht."

So wird Schulen, Kindergärten und Altenheimen geholfen

Ein weiterer wichtiger Punkt sind sogenannte vulnerable Objekte wie Schulen, Kindergärten oder Altenheime. Die Menschen dort können oft keine weiteren Strecken zu Sammelpunkten zurücklegen oder benötigen eine besondere Betreuung. "Für Altenheime ist beispielsweise vorgesehen, die Menschen gesondert in Kleinbussen zu evakuieren. Mit dabei sollte dann auch medizinisches Personal sein, das sich gemeinsam mit den Pflegern um die Menschen kümmert", erklärt der Student Thomas Röhrl. Dafür haben die Studenten zu den Plänen extra Infoblätter mit angelegt – analog und digital. Auf denen finden die Einsatzkräfte dann alle wichtigen Informationen, wie Personenzahl, Öffnungszeiten und Zugang zum Haus.

Orte, wo die Menschen hingebracht werden, haben die Studenten noch nicht festgelegt. "Wir wissen ja nicht, warum wir evakuieren. Wenn es ein Hochwasser gibt, stehen bestimmte Bereiche nicht zur Verfügung. Das muss man dann im nächsten Schritt planen", sagt Thomas Röhrl.

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Die Studenten der Hochschule München haben gemeinsam mit der Stadt Ingolstadt einen Evakuierungsplan für das gesamte Stadtgebiet erarbeitet.

Szenario extremes Hochwasser

Eine wichtige Rolle spielt in Ingolstadt auch das Thema Hochwasser. Die Donau fließt durch die Stadt. Pläne für ein mögliches Hochwasser gibt es schon. Die Studenten haben dennoch verschiedene Szenarien digital durchgespielt. Darunter auch ein extremes Hochwasser, bei dem rund 60.000 Menschen im Süden der Stadt betroffen sein könnten. Auch wenn solche Szenarien nicht sehr wahrscheinlich sind, ist eine gute Vorbereitung wichtig, meint Julian Schedel vom Amt für Brand- und Katastrophenschutz: "Wenn es keine guten Pläne gibt, kann das Menschenleben kosten, wie wir es zuletzt im Ahrtal gesehen haben."

Einsatzkräfte nicht gefährden

Auch für die Planung des Einsatzes sind die Modellrechnungen der Studenten hilfreich. Sie zeigen, wie schnell welche Gebiete geflutet werden. Das sei nicht nur zum Schutz der Bevölkerung wichtig, sondern auch zum Schutz der Einsatzkräfte, sagt Julian Schedel: "Wenn wir in diesem Bereich zum Beispiel mit Einsatzkräften tätig sind und einen Damm verstärken oder mobilen Hochwasserschutz aufbauen und wissen, dass es beispielsweise nach einer Zeit x zur Überflutung kommt, dann können wir auch unsere eigenen Kräfte rechtzeitig in Sicherheit bringen."

Der Plan: Menschen retten und keine Einsatzkräfte gefährden. Wo müssen welche Kräfte mit welcher Ausrüstung zuerst hin? All das sind Punkte, die im Evakuierungsplan berücksichtigt werden und im Ernstfall Menschenleben retten können.

Blaupause für andere Städte

Lob für das Projekt kommt vom Bayerischen Innenministerium. "Ein solcher Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis verspricht eine weitere Verbesserung im vorbereitenden Katastrophenschutz und wird daher ausdrücklich begrüßt", schreibt das Ministerium auf BR-Anfrage. Alle Kreisverwaltungsbehörden in Bayern, also Landratsämter und kreisfreie Städte, seien gehalten, Planungen für die Durchführung von Evakuierungsmaßnahmen aufzustellen und entsprechend zu aktualisieren, so das Ministerium.

In Ingolstadt würden die guten Ideen und Ansätze der Studenten jetzt weiterbearbeitet, schildert Julian Schedel. Sie sollen auch weiterhin wissenschaftlich begleitet werden, um dann die Erkenntnisse so aufzuarbeiten, dass auch andere Städte und Landkreise sie übernehmen können und sie nur noch auf ihre jeweilige Stadt übertragen müssen. Bis zum Jahresende soll für Ingolstadt alles fertig geplant sein – und hoffentlich nicht so schnell zum Einsatz kommen.

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