CSU-Chef Markus Söder
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"Leitkultur": CSU greift umstrittenen Begriff wieder auf

Der Begriff der Leitkultur ist zurück in der Politik. Die CSU-Fraktion verwendet ihn in einem Papier zur Integration. Heute will sie zudem eine Resolution mit dem Titel "Migration begrenzen" beschließen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die "Leitkultur" ist zurück auf der politischen Bühne. Nachdem es jahrelang ruhig um den Begriff geworden war in der politischen Auseinandersetzung, tauchte er jetzt in einem Arbeitspapier der CSU-Fraktion zum Thema "Integration" auf: Von den nach Deutschland kommenden Migranten müsse man "einfordern, dass sie unsere Leitkultur akzeptieren", heißt es in dem CSU-Papier.

Vor mehr als zwei Jahrzehnten, im Jahr 2000, hatte der damalige Fraktionschef der Union im Bundestag, Friedrich Merz, mit dem Begriff eine große Kontroverse ausgelöst. Der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder regierte damals mit den Grünen, die Koalition feilte gerade an einem Zuwanderungsgesetz, da nahm Merz diesen Begriff in den Mund, den der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi geprägt hatte: Leitkultur.

Zuerst hatte der CDU-Innenpolitiker Jörg Schönbohm Tibis Wortschöpfung in die Politik geholt. Friedrich Merz verhalf dem Begriff dann zu bundesweiter Bekanntheit, indem er öffentlich forderte: "Es geht im Wesentlichen darum, dass die hier in Deutschland lebenden Ausländer auch bereit sind, sich einer deutschen Leitkultur anzuschließen."

Unterschiedliches Verständnis von "Leitkultur"

Politikwissenschaftler Tibi und die CDU verbanden mit der "Leitkultur" unterschiedliche Inhalte: Tibi wollte einen gesellschaftlichen Konsens mit gemeinsamen, verbindenden Werten. Für Merz war der Begriff weniger Integrationshilfe als Gegenbegriff zum Multikulturalismus. Merz verlangte, Einwanderer müssten sich an die freiheitlich-deutsche Leitkultur anpassen.

Damals wurde der Vorwurf laut, Merz verlange Assimilation – also Angleichung. Besonders bei den Grünen war daraufhin die Aufregung groß: Merz habe "die ersten Raketen einer ausländerfeindlichen Kampagne gezündet". Die damalige CDU-Chefin Angela Merkel aber – über jeden Verdacht ausländerfeindlicher Anwandlungen erhaben – stellte sich an Merz‘ Seite und redete ebenfalls von "Leitkultur".

Stoiber: "Keine Zwangsehe, keine Zwangsburka"

Im Jahr 2007 schrieben CDU und CSU den Begriff in ihre Parteiprogramme. Dann wurde es vorübergehend ruhig, bis 2015 viele Migranten nach Deutschland kamen.

Beim Politischen Aschermittwoch sagte Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber damals: "Hier gibt es keine Peitschenhiebe für Blogger, keine Zwangsehe, keine Zwangsburka. Keine Behandlung von Frauen als Menschen zweiter Klasse. Das ist deutsche Leitkultur."

Holetschek: "Mehr Werte wagen!"

Und nun greift also die CSU-Landtagsfraktion die "Leitkultur" wieder auf. Der neue Fraktionschef Klaus Holetschek sagt im BR24-Gespräch: "Wir müssen wieder mehr Werte wagen! Dass die Menschen, die zu uns kommen, unsere Werte akzeptieren müssen und auch leben müssen." Es werde keiner gezwungen, Schweinsbraten und Knödel zu essen. Stattdessen gehe es um gemeinsame Werte, "die basieren auf Gleichberechtigung, Toleranz, auf unserem Rechtsstaat, auf der Demokratie. Und das müssen wir einfordern."

Holetschek räumt ein, der Begriff Leitkultur sei schwierig. Der Extremismusforscher Ahmad Mansour, unlängst zu Gast in der CSU-Fraktion, warnt davor, in der Leitkultur-Debatte auf der sprachlichen Ebene zu verharren. Man müsse darüber reden, dass "unter uns Menschen leben, die die Grundwerte dieser Gesellschaft ablehnen".

Söders lange Zurückhaltung beim Thema Migration

Seit der Landtagswahl 2018 hatten sich die CSU und besonders ihr Chef Markus Söder lange zurückgehalten in der Asylpolitik. Denn im Wahlkampf 2018 hatte sich Söder mit Annäherung an AfD-Rhetorik viel Kritik eingehandelt. Ein Fehler, wie er später einräumte.

Dieses Jahr, angesichts hoher Flüchtlingszahlen, griff Söder das Thema wieder auf, wenige Wochen vor der Landtagswahl im Oktober. Seit kurzem stellt Söder auch das Grundrecht auf Asyl in seiner jetzigen Form in Frage. Nun legt die CSU-Fraktion nach: Sie beruft sich auf Werte, die sie von Migranten einfordern will. Gleichzeitig sagt Fraktionschef Holetschek, der "Multi-Kulti-Kuschelkurs von Rot-Grün" sei gescheitert.

Neues CSU-Papier: "Migration begrenzen"

Dass der neue Fraktionschef Migration zum Schwerpunkt machen will, zeigt auch seine jüngste Initiative: Heute sollen die CSU-Abgeordneten ein weiteres Papier beschließen, Titel: "Migration begrenzen". Der Entwurf der Resolution liegt dem BR vor. Demnach fordert die Fraktion einen "effektiven Schutz" der EU-Außengrenzen und die dortige Durchführung von Asylverfahren. Verlangt wird zudem eine "solidarische Verteilung von Asylbewerbern sowie Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine auf alle EU-Länder".

Auch Söders Ruf nach einer Asylrechtsreform findet sich in dem Papier: Der Bund müsse daran mitwirken, den "individuellen Rechtsanspruchscharakter" des Asylrechts EU-weit zu "überdenken".

In dem fünfseitigen Entwurf geht es überdies um schnellere Abschiebungen, weniger Hilfe für ukrainische Flüchtlinge, die bisher Bürgergeld beziehen, sowie Arbeitspflicht von Migranten für gemeinnützige Tätigkeiten.

Versprechen an die Kommunen

Enthalten ist auch ein Versprechen: Der Freistaat werde prüfen, wie er die Kommunen bei der gerechten Verteilung von Migranten "weiter wirksam unterstützen kann". Zugleich eine Bekräftigung: Jede Kommune müsse "im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit Verantwortung" übernehmen.

Gast der Fraktionssitzung wird der Präsident des Bayerischen Landkreistages sein, der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin (CSU).

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