"Landgericht Staatsanwaltschaft Amtsgericht" steht am Gerichtsgebäude in Traunstein.
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Vor dem Landgericht Traunstein beginnt heute ein Zivilverfahren mit großer möglicher Symbolwirkung für die Entschädigung von Missbrauchsopfern.

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Missbrauchs-Prozess gegen Erzbistum in Traunstein

Das Verfahren beginnt heute vor dem Landgericht Traunstein: Ein Missbrauchsopfer aus Bayern fordert von der katholischen Kirche Hunderttausende Euro Schmerzensgeld, einen Teil davon auch vom inzwischen verstorbenen Papst beziehungsweise dessen Erben.

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Es geht um die Verantwortung hoher Kirchenmänner für die Versetzung eines als Missbrauchstäter bekannten Priesters und um die Frage, ob und wie viel die katholische Kirche zahlen muss für ein vom Missbrauch zerstörtes Leben, wie das von Andreas Perr. Der heute 39-Jährige gibt an, als zwölfjähriges Kind im oberbayerischen Garching an der Alz von dem Gemeindepfarrer Peter H. sexuell missbraucht worden zu sein.

Alkohol- und Drogensucht als Folge des Missbrauchs

 Wie "seelischen Mord" habe er den Missbrauch empfunden, so Perr und das Erlebte andauernd mit sich herumgetragen. "Dann bin ich natürlich in der Schule auch schlechter geworden, bin von zu Hause ausgebrochen und habe damals schon angefangen mit Alkohol und THC." Andreas Perr rutschte ab in die Alkohol- und Drogensucht, infolge des Missbrauchs, wie er sagt.

Das muss er nun im Zivilverfahren plausibel darlegen. Sein Anwalt, Andreas Schulz, ist zuversichtlich, wie er dem BR und Correctiv vorab schriftlich mitteilte: Die psychischen missbrauchsbedingten Schäden seien unstreitig, so der Anwalt: "Zum einen durch die bereits vorliegenden Gutachten, zum anderen prozessual, weil die Beklagten dem Schaden des Klägers nicht substantiiert widersprochen haben."

Opfer fordert 350.000 Euro Schmerzensgeld

Dafür fordert Andreas Perr nun 350.000 Euro Schmerzensgeld und zwar vom ehemaligen Papst Benedikt XVI. und stellvertretend für die weiteren Verantwortlichen vom Erzbistum München und Freising. Weil sie Peter H. immer wieder in der Seelsorge einsetzten, obwohl dieser bereits Ende der 1970er Jahre auffällig und 1986 wegen Missbrauchs an Jungen strafrechtlich verurteilt worden war.

Eigentlich sollte es heute im Traunsteiner Landgericht, um die Verantwortung von Joseph Ratzinger im Fall H. gehen. Hier fordert Perr 50.000 Euro, den Rest vom Erzbistum. Doch das Verfahren gegen den verstorbenen Ex-Papst soll gesondert stattfinden – wie das Landgericht Traunstein gestern mitteilte.

Denn bisher ist unklar, ob Benedikts Erben das Erbe antreten und somit auch den Prozess übernehmen. Es ist also weiter offen, ob es zu einer gerichtlichen Klärung kommt. Auf die hoffen viele Katholiken in Garching an der Alz, wie Rosi Mittermeier, die sich als Sprecherin der örtlichen "Initiative Sauerteig" für Aufklärung und Prävention einsetzt.

Initiative gegen Missbrauch hofft auf "Klarheit" durch Urteil

Die Initiative halte es für wichtig, dass der Prozess klar die institutionelle Verantwortlichkeit feststellt, so Mittermeier vor Prozessbeginn gegenüber dem BR: "Unsere Erwartung ist, dass durch ein richterliches Urteil Klarheit geschaffen wird. Da gibt's Tatsachen, da gibt’s Fakten und das wird richterlich festgestellt und darauf kann man dann aufbauen, wenn man kirchliche Strukturen ändern will."

In jedem Fall wird das Verfahren gegen das Erzbistum München mit Spannung erwartet. Denn sollte das Landgericht in einem Vergleich oder einem Urteil ein hohes Schmerzensgeld aufrufen, hätte das Auswirkungen auf weitere mögliche Klagen. Schon in der vergangenen Woche hatte das Kölner Landgericht das Erzbistum Köln zu einer Zahlung von 300.000 Euro an einen Betroffenen verurteilt – eine weit höhere Summe als die bisher üblichen Anerkennungsleistungen der Bistümer, die im Schnitt bundesweit bei rund 22.000 Euro pro Opfer liegen.

Schwere von Missbrauch hängt nicht von Häufigkeit oder Dauer ab

Im Kölner Fall hatte ein Priester über Jahre einen Jungen vergewaltigt. Bei Andreas Perr war es ein einmaliger Missbrauch. Doch das müsse die Höhe des Schmerzensgeldes nicht schmälern, sagt Lothar Jaeger - Experte für Schmerzensgeldfragen und ehemals langjähriger Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln: Der Bundesgerichtshof habe das Wort Lebensfreude in einer Entscheidung in nur einem Absatz zehn Mal verwendet und damit eindeutig klargemacht: "Lebensbeeinträchtigungen sind genauso wie schwerste Körperverletzungen zu bewerten."

Am Ende müssen das die Richter am Landgericht Traunstein entscheiden. Ab Mittag wird verhandelt. Auch die Einigung auf einen Vergleich ist nicht ausgeschlossen. Die Bereitschaft dazu hatte das Erzbistum München und Freising dem Kläger bereits vorab mitgeteilt.

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