Die Silhouetten einer Justizia-Statue und einer Kirche
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Der Missbrauchstäter und ehemalige Priester Peter H. muss vor dem Landgericht Traunstein persönlich erscheinen. Das ordnete das Landgericht an.

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Missbrauchsklage gegen Ex-Papst: Opfer fordert 350.000 Euro

Vor dem Landgericht Traunstein fordert ein 39-Jähriger aus Oberbayern, der als Kind von einem Priester sexuell missbraucht wurde, insgesamt 350.000 Euro Schmerzensgeld vom Erzbistum München sowie von den Erben des verstorbenen Papstes Benedikt XVI.

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Es ist ein Verfahren, das in Kirchenkreisen und darüber hinaus sehr aufmerksam verfolgt werden dürfte: Der heute 39-jährige Andreas Perr gibt an, als elfjähriger Bub in den neunziger Jahren sexuell missbraucht worden zu sein, im Pfarrhaus in Garching an der Alz. Der Täter: der Priester Peter H., der inzwischen als pädokrimineller Mehrfachtäter bekannt ist. H. hatte die Tat bereits 2016 in einem nicht öffentlichen kircheninternen Verfahren zugegeben und bestreitet die Vorwürfe auch im laufenden Verfahren nicht.

Die Tat ist strafrechtlich verjährt. Doch über das Zivilrecht hat der Anwalt von Andreas Perr, der Berliner Verteidiger Andreas Schulz, nun einen Weg gefunden, den Fall vor dem Landgericht Traunstein neu aufzurollen. Brisant: Dabei wird es am ersten Verhandlungstag am 20. Juni auch um die Verantwortlichkeit hoher Kirchenmänner, wie des ehemaligen, inzwischen verstorbenen Papstes Benedikt XVI. gehen.

50.000 Euro Schmerzensgeld von Benedikts Erben gefordert

Von dessen Erben fordert Klägeranwalt Schulz nach Unterlagen, die dem BR, Correctiv und der Zeit vorliegen, nun 50.000 Euro Schmerzensgeld für seinen Mandanten sowie weitere 300.000 Euro vom Erzbistum München und Freising. Dem Kläger sollen "alle materiellen und immateriellen Schäden" ersetzt werden, die ihm "aus der Missbrauchstat (…) entstanden sind sowie in der Zukunft noch entstehen werden", schreibt sein Anwalt in einem Schriftsatz an das Landgericht Traunstein.

Denn kirchenintern war seit Ende der 1970er Jahre bekannt, dass Pfarrer H. mehrfach Jungen sexuell missbraucht hatte. Dennoch wurde er 1980 aus dem Bistum Essen nach München und Freising versetzt. Erzbischof war damals Joseph Ratzinger. Und auch in seiner Zeit als Glaubenspräfekt hatte der spätere Papst noch einmal mit dem Fall H. zu tun. Kurz nachdem H. 1986 vom Amtsgericht Ebersberg in Oberbayern wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs an Jungen in alkoholisiertem Zustand zu einer Geld- und Bewährungsstrafe verurteilt worden war, erteilte er diesem als Glaubenspräfekt die Erlaubnis, weiterhin die heilige Messe zu feiern – mit Traubensaft statt Wein.

Ein entsprechendes Bittgesuch hatte das Erzbistum München und Freising zuvor an den Vatikan gerichtet. Informationen über H.s Verurteilung wegen pädokrimineller Übergriffe und ein psychiatrisches Gutachten über den Priester lagen dem Glaubenspräfekten Ratzinger damals vor, wie Recherchen von BR und Correctiv ans Licht gebracht haben.

Anwalt: "Kläger wurde um sein Lebensglück gebracht"

Joseph Ratzinger habe als Chef der Glaubenskongregation 1986 ebenso wie die damals Verantwortlichen im Erzbistum München und Freising dafür gesorgt – begründet Klägeranwalt Schulz die Schadensersatzforderungen seines Mandanten – dass der verurteilte Priester erneut in einer Gemeinde eingesetzt wurde. Somit wurde H., argumentiert Schulz weiter, auch der Missbrauch an Andreas Perr erst ermöglicht – mit schweren traumatischen Folgen für dessen Leben.

"Der Kläger wurde so um sein Lebensglück gebracht, aus der Lebensbahn geworfen und suchte deswegen Zuflucht in Drogen und Alkohol mit all seinen Folgen für seinen beruflichen Lebensweg", heißt es im Schriftsatz des Anwalts. Konkret nennt er als Folgen für den Kläger: "traumaassoziierte Albträume, Flashbacks und Symptome der Vermeidung, die sich darauf beziehen, belastende Erinnerungen und Gedanken an das erlebte Gewaltereignis zu verdrängen."

Verfahren vor Landgericht Traunstein

Das Verfahren vor dem Landgericht Traunstein und ein weiterer, ähnlicher Prozess, der derzeit in Köln verhandelt wird, könnten Rechtsgeschichte schreiben. Auch weil die geforderten Entschädigungssummen im sechsstelligen Bereich weit höher liegen als die üblichen freiwilligen Anerkennungsleistungen der Bistümer, die maximal 50.000 Euro an Missbrauchsopfer zahlen. Die Beklagten können bis zum 16. Juni zu der Schadensersatzforderung Stellung nehmen. Das Landgericht Traunstein hat den Streitwert nach Informationen von BR, Correctiv und Zeit in der geforderten Höhe festgesetzt.

Der erste Verhandlungstag ist auf den 20. Juni terminiert. Zuvor muss das Gericht entscheiden, ob es das Verfahren aufspaltet: Der Klägeranwalt fordert, den Prozess gegen die Papst-Erben von dem Verfahren gegen das Erzbistum, den ehemaligen Erzbischof Friedrich Wetter und den Missbrauchstäter H. zu trennen. Hintergrund ist, dass einige Erben Ratzingers noch nicht gefunden sind. Nur eine Cousine hat die Erbschaft bereits ausgeschlagen.

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