Nordrhein-Westfalen, Köln: Wolken ziehen am Dom vorbei.
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300.000 Euro - eine solche Höhe für Entschädigungszahlungen könnte Bistümer finanziell in Schwierigkeiten bringen.

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Missbrauch: 300.000 Euro Schmerzensgeld - macht das Schule?

Das Urteil hat Signalwirkung: 300.000 Euro Schmerzensgeld soll das Erzbistum Köln laut Richterspruch an ein Missbrauchsopfer zahlen. Neu auch: Das Bistum haftet für seine Priester. Das kann teuer werden für die Bistümer.

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Es sei eine "Zäsur in der deutschen Justizgeschichte", sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster. Tatsächlich kommt dem Kölner Richterspruch Signalwirkung in mehrerlei Hinsicht zu: Zum einen, weil die Kirche als Institution zur Rechenschaft gezogen wird und nicht mehr nur der einzelne Priester als Täter.

Zum anderen befindet erstmals nicht die Kirche selbst darüber, welche Entschädigung angemessen ist. Bisher haben katholische Bistümer von sich aus nur in 24 Fällen Entschädigungen von mehr als 100.000 Euro geleistet. Oft bleiben die Zahlungen weit darunter und liegen im Schnitt bei 5.000 Euro.

Weiterer Prozess mit Signalwirkung in Traunstein ab Dienstag

In Traunstein kommt es ab Dienstag zu einem weiteren Prozess, der ebenfalls exemplarisch zeigen könnte, auf was sich die Bistümer in Sachen Schmerzensgeldforderungen einstellen müssen: Ein Missbrauchsopfer des katholischen Intensivtäters Peter H. zieht vor Gericht.

Unter den Beklagten sind nicht nur der mutmaßliche Missbrauchstäter selbst, sondern auch das Erzbistum München und Freising sowie die früheren Erzbischöfe - einer von ihnen der inzwischen verstorbene Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI.. Er stand an der Spitze des Erzbistums, als Peter H. von Essen nach München kam.

Der Kläger fordert 350.000 Euro Schmerzensgeld. Das Landgericht Traunstein muss nun entscheiden, ob das Erzbistum haften muss.

Urteil mit Signalwirkung: "Kein Bistum kann sich sicher fühlen"

Finanzielle Folgen könnte das Kölner Urteil auf jeden Fall auch für andere Missbrauchsbetroffene haben: Die unabhängige Kommission, die über Zahlung und Höhe der Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer befindet, hat angekündigt, dass das Urteil, wenn es rechtskräftig ist, in die künftige Zahlungspraxis einfließen wird. Auch wer als Betroffener von sexuellem Missbrauch schon ein Verfahren zur Anerkennung seines Falles durchlaufen hat, darf seinen Antrag also nochmal prüfen lassen und auf mehr Geld hoffen.

Das Kölner Urteil habe auf jeden Fall eine starke Signalwirkung, so Kirchenrechtler Schüller: "Insofern, dass kein Bistum sich mehr sicher fühlen kann, dass Opfer sexualisierter Gewalt nicht klagen." Dann könnten staatliche Gerichte bei entsprechender Beweislage die Amtshaftung feststellen und möglicherweise auf eine wesentlich höhere Schmerzensgeldzahlung entscheiden als Bistümer bislang zu zahlen bereit waren. "Das kann die Diözesen, die nicht so wohlhabend sind wie Köln, Paderborn oder München-Freising, schon auch finanziell in die Knie zwingen", so Thomas Schüller.

Mögliches Szenario: Pleite durch Schmerzensgeldzahlungen?

Wohin das führen kann, haben in der Vergangenheit Schmerzensgeldprozesse in den USA gezeigt: Teilweise wurden Missbrauchsopfern Schmerzensgeldzahlungen in Millionenhöhe zugesprochen. Mehrere Diözesen gerieten daraufhin in die Insolvenz.

Da Kirchen in Deutschland Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ist eine Insolvenz zwar faktisch nicht möglich. Nichtsdestotrotz könnten die Bistümer in finanzielle Schwierigkeiten geraten: Angebote müssten gestrichen, Gebäude verkauft, Personal entlassen werden.

Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, macht klar: Darauf könne man keine Rücksicht nehmen. "Ich muss halt für das einstehen, für das ich verantwortlich bin. Und das heißt für die katholische Kirche massenhafter sexueller Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen."

Kirche kann Verjährung geltend machen

Voraussetzung für eine Haftbarmachung von Bistümern oder Ordensgemeinschaften ist allerdings, dass diese darauf verzichten, Verjährung geltend zu machen. Das Erzbistum Köln hat im aktuellen Fall darauf verzichtet, angesichts der Schwere des Missbrauchsfalls. Der Kläger war in seiner Jugend in den 1970er Jahren hunderte Male von einem Kleriker vergewaltigt worden.

Die so genannte Verjährungseinrede ist ein Recht der Bistümer, erklärt Kirchenrechtler Thomas Schüller. Er sehe nicht, dass viele Diözesen auf diese Verjährung verzichten würden. "Da achtet man dann weniger auf das verheerende Außenbild, sondern man achtet auf das Geld", ist Schüller sich sicher.

Entschädigungen aus Kirchensteuermitteln?

Unabhängig von der Höhe von Entschädigungszahlungen stellt sich ein grundsätzliche politische Frage: Aus welchem Geldtopf erstattet die Kirche den Opfern die Entschädigungszahlungen? Verwendet sie dafür Kirchensteuermittel, zahlen also alle Kirchenmitglieder für Straftaten von Priestern?

Das Erzbistum Köln muss sich darüber zumindest aktuell noch nicht den Kopf zerbrechen, denn man hat vorgesorgt: Es gibt einen eigenen Fonds für Schmerzensgeld an Missbrauchsopfer, der im Wesentlichen durch Abgaben von Klerikern aus vergangenen Jahrzehnten gefüllt wurde, also nicht direkt aus Kirchensteuermitteln. Aus diesem Topf sollen auch die 300.000 Euro an das Missbrauchsopfer Georg Menne gezahlt werden, wenn das Urteil rechtskräftig ist.

"Im Moment hat der Kölner Kardinal noch das Glück, ein sehr frei floatendes Vermögen benutzen zu können", analysiert Kirchenrechtler Thomas Schüller die Situation. "Aber auf lange Sicht dürften es dann doch laufende Kirchensteuermittel sein." Die aber nehmen wegen der zahlreichen Kirchenaustritte immer weiter ab. Zugleich muss die Kirche mit höheren Entschädigungen für Missbrauchsopfern rechnen.

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