Symbolbild des illegalen Drogenhandels in Bayern
Bildrechte: picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmaye

Symbolbild des illegalen Drogenhandels in Bayern

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Cannabis-Amnestie: Viel Arbeit für Bayerns Justiz

Die Cannabis-Freigabe soll zum 1. April kommen und Gerichte entlasten. Doch erst einmal müssen in Bayern 29.000 Altfälle einzeln überprüft werden. Da das neue Gesetz neue Ordnungswidrigkeiten einführt, wird langfristig keine Entlastung erwartet.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Niederbayern am .

Das Gesetz zur Cannabis-Legalisierung führt nach einem Medienbericht dazu, dass bayernweit etwa 29.000 Strafakten überprüft werden müssen. Diese Zahl nannte das Bayerische Justizministerium auf Anfrage. Bundesweit sind es demnach insgesamt mehr als 210.000 Strafakten, ergab eine Recherche der "Deutschen Richterzeitung". Mit rund 60.000 Fällen müssen die meisten Akten in Nordrhein-Westfalen überprüft werden, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg (25.000).

Ging es bei jeweiligem Verstoß um Cannabis?

Der Gesetzentwurf der Ampel-Bundesregierung sieht vor, dass rechtskräftige und bisher nicht vollständig vollstreckte Strafen für Delikte, die vom 1. April an nicht mehr strafbar sind, erlassen werden. Eingetragene Verurteilungen sollen aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Für die Staatsanwaltschaften bedeuteten die Amnestiepläne, dass sie alle Strafakten mit Bezug zum Betäubungsmittelgesetz nochmals händisch daraufhin auswerten müssen, ob die betroffenen Sachverhalte nach der neuen Rechtslage straflos wären.

Sie müssen also ermitteln, ob es bei dem Betäubungsmittelverstoß (auch) um Cannabis ging und um welche Menge es sich dabei handelte. Das lässt sich nach Angaben von Staatsanwaltschaften und Richtern aber nicht einfach per Knopfdruck aus dem Bundeszentralregisterauszug herauslesen, denn darin ist die genaue Tathandlung und die Art des Betäubungsmittels in der Regel nicht notiert.

Staatsanwaltschaft München I muss 3.900 Fälle sichten

Die Staatsanwaltschaft München I teilte BR24 auf Anfrage mit, punktuell mögliche Entlastungen der Justiz würden durch umfangreiche Zusatzaufgaben - wie die Neufestsetzung noch nicht (vollständig) vollstreckter Strafen - aufgezehrt. Bei der Staatsanwaltschaft München I müssen in diesem Zusammenhang über 3.900 bereits abgeschlossene Verfahren gesichtet werden.

"3.900 (Verfahren) x 10 Minuten (Arbeitszeit) = 39.000 Minuten = 650 Stunden = Wochenarbeitszeit von rund 16 Arbeitskräften", rechnet Oberstaatsanwältin Anne Leiding vor. Dies sei der geschätzte Arbeitsaufwand, um Verfahren überhaupt zu identifizieren, bei denen eine Neufestsetzung in Betracht komme. Die Neufestsetzung selbst werde bei der Staatsanwaltschaft und bei Gericht ebenfalls erhebliche Kapazitäten binden.

Regensburg rechnet mit wochenlangen Überprüfungen

Die Staaatsanwaltschaft Regensburg teilte mit, dass 1.400 Altverfahren nochmals überprüft werden müssen. Im ersten Schritt seien alle Verfahren geprüft worden, in denen sich Verurteilte wegen eines Verstoßes gegen § 29 BtMG (Externer Link) in Haft befinden. Dies seien circa 200 Verfahren gewesen.

Aktuell würden alle Verfahren geprüft, in denen Verurteilte wegen eines entsprechenden Delikts verurteilt wurden und zur Festnahme ausgeschrieben seien. Im dritten Schritt werden den Angaben zufolge alle übrigen Verfahren wegen Verurteilungen gem. § 29 BtMG geprüft, in denen noch Geldstrafen vollstreckt werden. "Wir hoffen, die Prüfung in den kommenden zwei bis drei Monaten abschließen zu können", so der Regensburger Oberstaatsanwalt Thomas Rauscher.

Landshut überprüft 1.750 Akten

Die Staatsanwaltschaft Landshut muss etwa 1.750 Strafakten prüfen. Bei der Staatsanwaltschaft erfolge seit Mitte November 2023 eine Vorprüfung. Das heißt: Es werden demnach alle Akten mit noch nicht vollständig vollstreckten Strafen und Kosten aussortiert, in denen Taten enthalten sind, die nach dem neuen Cannabisgesetz nicht mehr strafbar sein werden.

In vielen Fällen, in denen ein Straftäter neben dem Besitz/Erwerb künftig erlaubter Mengen an Cannabis aufgrund weiterer Straftaten zu einer Gesamtstrafe verurteilt wurde, müssen diese Akten nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes an das Gericht geschickt werden zur Anpassung der Strafurteile. Dagegen können vom Verurteilten gegebenenfalls Rechtsmittel eingelegt werden. "Der Überprüfungsaufwand ist immens", so Oberstaatsanwalt Alexander Ecker.

Eine konkrete Zeitspanne lasse sich nicht abschätzen. Überdies sehe das Cannabisgesetz mehr als 30 Fallkonstellationen vor, die nunmehr als Ordnungswidrigkeiten verfolgbar sind. Ob eine solche Ordnungswidrigkeit vorliegt, die eine Weitervollstreckung des Urteils erlaubt, sei aufwendig anhand der Akte zu überprüfen. Die geschilderte Überprüfung müsse von Staatsanwälten und Rechtspflegern zusätzlich zur normalen Arbeitszeit bewältigt werden. Extrapersonal stehe dafür bei der ohnehin äußerst angespannten Personalsituation nicht zur Verfügung.

Aus Sicht der Justiz muss stark angezweifelt werden, ob das neue Gesetz überhaupt zu einer Entlastung führen wird, heißt es aus Landshut. Bereits bisher habe die Staatsanwaltschaft sehr viele Fälle des Besitzes bzw. des Erwerbs in geringen Mengen zum Eigenkonsum ohne großen Aufwand eingestellt. Wegen der Vielzahl der weiter bestehenden Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände nach dem Cannabisgesetz sei nicht mit einem spürbaren Rückgang der Arbeitsbelastung zu rechnen.

Staatsanwalt: Amnestie verfassungsrechtlich sehr bedenklich

Die geplante Amnestie sei zudem verfassungsrechtlich sehr bedenklich, da die Legislative stark in die Exekutive eingreife, wenn rechtmäßig ergangene und bereits rechtskräftige Urteile nicht mehr vollstreckt werden dürfen, so Oberstaatsanwalt Alexander Ecker von der Staatsanwaltschaft Landshut. Der Bundesgesetzgeber habe bisher von Amnestieregelungen abgesehen, weil ein Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip und damit in rechtskräftige Urteile nur bei außergewöhnlichen Umständen erlaubt sei. Solche lägen aber nicht vor, wenn der Gesetzgeber weiterhin grundsätzlich an der Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis festhalte und nur Erwerb und Besitz von bestimmten Mengen straflos stelle.

Auch der Bayerische Richterverein rechnet perspektivisch kaum mit einer Entlastung der Justiz, "weil das Gesetz Dutzende neue Ordnungswidrigkeiten einführt, die dann nach Einsprüchen wieder bei der Justiz landen". Zudem sei das Gesetz insgesamt ein "Bürokratiemonster", das zahlreiche Auflagen für den heimischen Anbau sowie aufwendig zu kontrollierende Abstandsregeln, Konsumverbotszonen, Konsumverbotszeiten etc. beinhalte. Polizei und Jugendbehörden, Ordnungsämter und die Justiz (Straf-, Zivil-, VG) würden mit einer Flut von Zweifels- und Streitfragen befasst sein, zumal der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bereits angekündigt hat, die Auflagen in Bayern streng kontrollieren zu wollen.

Deutscher Richterbund hofft auf Vermittlungsausschuss

"Es kann doch politisch nicht gewollt sein, dass die ohnehin stark belastete Strafjustiz durch rechtsstaatlich nicht gebotene, fragwürdige Amnestie-Pläne nun massiv zusätzlich unter Druck gerät und andere Strafverfahren deshalb liegen bleiben müssen", betonte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, vor Kurzem. Der Bundesrat solle aus seiner Sicht das Cannabisgesetz stoppen und den Vermittlungsausschuss einschalten. Die Länder seien gefordert, "zumindest die gegen alle fachlichen Bedenken durchgesetzte Amnestie-Regelung der Ampel wieder aus dem Gesetz zu kippen".

Lauterbach will für Legalisierung von Cannabis kämpfen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will ein mögliches Scheitern der Legalisierung von Cannabis abwenden. Er werde die gesamte Woche über dafür kämpfen, dass es eine Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat an diesem Freitag nicht gebe, sagte der SPD-Politiker am Montag in Berlin. Er verwies auf Äußerungen unionsgeführter Länder wie Bayern und Sachsen, eine Befassung im Vermittlungsausschuss zu verzögern oder zu sabotieren. Das Gesetz würde dann dort letztlich sterben. "Dann würden wir die einmalige Gelegenheit verlieren, hier die gescheiterte Cannabispolitik zu reformieren. Das wäre aus meiner Sicht ein Triumph für den Schwarzmarkt."

Lauterbach wies die Kritik der Länder, die eine Überlastung der Justiz fürchten, zurück. Der Minister sagte, es entstehe dadurch eine einmalige Mehrbelastung. Den Behörden sei aber keine Frist gesetzt, so dass man die Fälle in der benötigten Zeit abarbeiten könne, ohne dass Schadenersatzansprüche entstünden. Er wies zudem auf eine Entlastung der Justiz hin, wenn 180.000 Verfahren pro Jahr zu Cannabis-Konsumdelikten künftig entfallen.

Das Bundesgesundheitsministerium schätzt die Zahl der komplexen Verfahren, die kurzfristig gesichtet werden müssten, auf maximal 7.500 bundesweit. Dabei gehe es um Fälle, in denen Straffällige wegen mehrerer Delikte inhaftiert wurden und geklärt werden müsse, wie sich eine Amnestie auf das Gesamturteil auswirkt. Vom Deutschen Richterbund hieß es, die genannten geringeren Zahlen bezögen sich lediglich auf Haftfälle und beträfen damit nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Aufwandes.

Bayerisches Justizministerium erwartet Mehraufwand

Auch das Bayerische Justizministerium, das die Teil-Legalisierung kritisiert, erwartet einen Mehraufwand bei Staatsanwaltschaften und Gerichten: Der Zusatzaufwand durch den Cannabis-Gesetzentwurf sei für die Justiz bereits jetzt enorm. "Die Bundesregierung belastet die Justiz unnötig, statt sie zu entlasten", so Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Auch der Justizminister verweist auf die neuen Bußgeldtatbestände im neuen Gesetz: "Dadurch entsteht eine Flut neuer Rechtsfragen, die Straf- und Bußgeldverfahren künftig zusätzlich erschweren und verzögern", so Eisenreich.

Nach dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz sollen Besitz und Anbau der Droge mit zahlreichen Vorgaben für Volljährige zum Eigenkonsum vom 1. April an erlaubt sein. Erlaubt sein soll der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. In der eigenen Wohnung sollen Erwachsene bis zu 50 Gramm straffrei besitzen dürfen. Im öffentlichen Raum (unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon) soll Kiffen verboten sein. Das Gesetz kommt am 22. März in den Bundesrat. Dort ist es nicht zustimmungsbedürftig, aber die Länderkammer könnte den Vermittlungsausschuss anrufen und das Verfahren damit abbremsen.

Mit Informationen von dpa

Im Rahmen der Cannabis-Legalisierung soll auch in laufenden Verfahren rückwirkend Straffreiheit gelten und eingetragene Verurteilungen sollen aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden.
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Im Rahmen der Cannabis-Legalisierung soll auch in laufenden Verfahren rückwirkend Straffreiheit gelten.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!