Söder und Aiwanger
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Hubert Aiwanger (l, Freie Wähler), stellvertretender Ministerpräsident und Markus Söder (r, CSU), Ministerpräsident von Bayern (Archivbild).

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Bei Koalitionsbruch: Müsste auch Söder zurücktreten?

Hubert Aiwanger hat die 25 Fragen zur Flugblatt-Affäre beantwortet. Nun liegt der Ball bei Markus Söder. Für den Ministerpräsidenten ist die Zukunft Aiwangers nicht nur eine politisch schwierige Entscheidung, sondern auch eine verfassungsrechtliche.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

25 Fragen hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinem Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nach den Vorwürfen um ein antisemitisches Flugblatt gestellt. Der hat sie inzwischen beantwortet, einen Entlassungsgrund sieht er nicht. Nun muss Söder entscheiden. Für heute 11 Uhr hat der Ministerpräsident eine Pressekonferenz angekündigt.

BR24 hat über das Dilemma des Ministerpräsidenten mit dem Verfassungsrechtler Professor Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg gesprochen. Aus seiner Sicht wäre eine Entlassung Aiwangers verfassungsrechtlich verzwickt.

BR24: Die Oppositionsparteien haben für kommenden Donnerstag eine Sitzung im Landtag in der Causa Aiwanger beantragt. Kann die Opposition Aiwanger entlassen?

Josef Franz Lindner: Nein, die Entlassung eines Staatsministers setzt voraus, dass der Ministerpräsident ihn entlässt und für die Entlassung die Zustimmung des Landtags erhält. Ohne geht es nicht. Es muss beides erfolgen. Der Ministerpräsident muss die Entlassung aussprechen, und der Landtag muss zustimmen. Es ist anders als im Bund. Da kann der Bundeskanzler einen Minister entlassen, ohne dass er die Zustimmung des Bundestages braucht. Das ist aber in der Bayerischen Verfassung anders geregelt.

BR24: Das heißt, Markus Söder müsste Aiwanger selbst entlassen?

Lindner: Wenn Herr Aiwanger nicht von sich aus zurücktritt und damit sein Amt endet, müsste der Ministerpräsident ihn entlassen. Damit ist die Entlassung aber noch nicht wirksam, sondern es bedarf der Zustimmung des Parlaments.

BR24: Die Freien Wähler würden einer Entlassung nicht zustimmen. Wäre das dann schon ein Koalitionsbruch?

Lindner: Dann müsste sich der Ministerpräsident die Mehrheit für die Entlassung anderweitig holen. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Freien Wähler dann den Koalitionsvertrag mit der CSU kündigen.

BR24: Und was würde dann passieren, wenn der Koalitionsvertrag gekündigt wird?

Lindner: Dann würde die im Vertrag getroffene Verabredung, dass man im Parlament grundsätzlich als CSU und Freie Wähler Projekten gemeinsam zustimmt oder sie gemeinsam ablehnt, nicht mehr tragen. Die Staatsregierung hätte keine eigene parlamentarische Mehrheit mehr. Wenn aber eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staatsregierung und Landtag nicht mehr möglich ist, dann muss der Ministerpräsident zurücktreten. So steht es ausdrücklich in der Verfassung. Das ist der typische Fall für den Artikel 44 Abs. 3 Satz 2. Nun ist es so, dass das vier Wochen vor der Wahl eintritt. So eine Situation hatten wir in Bayern bisher noch nicht. Aber das ändert an der Existenz der in der Verfassung geregelten Rücktrittpflicht nichts.

BR24: Das heißt, wenn Markus Söder Hubert Aiwanger entlässt, müsste er dann auch selbst zurücktreten?

Lindner: Er müsste es im Grundsatz, doch es gibt noch einen Ausweg. Der Ministerpräsident könnte sagen: Ich habe zwar jetzt nicht mehr die Freien Wähler als Koalitionspartner. Aber nach meiner Einschätzung ist es so, dass mich Teile der Opposition zumindest noch bis zum Ende der Legislaturperiode unterstützen würden. Das ist das, was man als sogenannte Minderheitsregierung bezeichnet. Aber wenn sich Herr Söder von der Opposition dulden lässt, dann müsste er wahrscheinlich der Opposition auch etwas anbieten.

BR24: Die bayerische SPD hat diese Lösung Markus Söder nach eigenem Bekunden angeboten. Scheinbar trotzdem eine sehr kniffelige Situation für den bayerischen Ministerpräsidenten?

Lindner: Ja, es ist nicht ganz einfach, wobei ich noch dazu sagen muss, dass es überhaupt umstritten ist, ob der Artikel 44 der Bayerischen Verfassung eine Minderheitsregierung überhaupt zulässt. Es gibt also durchaus Stimmen, die sagen, aus dem Art. 44 Abs. 3 folge die Unzulässigkeit einer Minderheitsregierung. Das würde ich so generell aber nicht vertreten. Aber es muss doch eine gewisse politische Stabilität für eine Minderheitsregierung geben. Nun wird man vielleicht sagen, so kurz vor der Wahl – muss man das tun? Klar ist, die Vorschriften der Verfassung – auch Art. 44 Abs. 3 – gelten bis zum Ende der Legislaturperiode.

BR24: Dann wäre es für Markus Söder am einfachsten, Aiwanger nicht zu entlassen. Oder welches Szenario wäre noch denkbar?

Lindner: Wenn Herr Aiwanger jetzt von sich aus zurücktreten würde, wäre das verfassungsrechtlich eine unproblematische Lösung. Dann müsste auch der Landtag nicht zustimmen. Ein Rücktritt des Ministers hätte auch keine weiteren Konsequenzen für den Bestand der Staatsregierung, nur das Amt des Wirtschaftsministers müsste neu besetzt werden. Aber für die kurze Zeit bis zur Landtagswahl am 8. Oktober wird das vielleicht nicht erfolgen.

Im Audio: Fall Aiwanger - Warten auf Söders Entscheidung

In der Affäre um ein antisemitisches Hetzblatt hat Bayerns Vize-Regierungschef Aiwanger inzwischen den Fragenkatalog von Ministerpräsident Söder beantwortet.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Uwe Lein
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Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in Aschau.

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