09.03.2023, Schweiz, Schönenberg An Der Thur: THC haltige Cannabis-Pflanzen stehen in einer legalen Zuchtanlage in der Schweiz.
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Cannabis ab 18: "Aus neuropsychiatrischer Sicht kritisch"

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Cannabis ab 18: "Aus neuropsychiatrischer Sicht kritisch"

Cannabis-Konsum könnte in Deutschland bald legal sein. So plant es die Bundesregierung. Prof. Dr. Pogarell, Facharzt für Psychotherapie und Neurologie am LMU Klinikum in München, erläutert im Gespräch mit BR24 die Risiken von Cannabis.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Cannabis ist in Deutschland die am häufigsten konsumierte illegale Substanz. Die Ampelregierung will den Konsum nun legalisieren. Bayern droht jedoch mit einer Blockade der möglichen Legalisierung, was auch Thema bei der anstehender Landtagswahl werden könnte.

BR24 hat mit Prof. Dr. Oliver Pogarell, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie am LMU Klinikum in München, für das neue „Possoch klärt“ (Video oben und unten) über die gesundheitlichen Risiken von Cannabis und über die Folgen einer möglichen Legalisierung gesprochen.

BR24: Warum ist der Konsum von Cannabis so beliebt?

Oliver Pogarell: Cannabis kann leicht euphorisieren, es kann sedieren, es kann entspannen. Und es wirkt insgesamt auf das sogenannte endogene Verstärkersystem, das Belohnungssystem. Das bedeutet, da wird etwas im Gehirn stimuliert, was dafür sorgt, dass wir uns wohlfühlen. Das kann aber auch dafür sorgen, und da kommen wir schon zu den Problemen, dass wir immer wieder den Konsum wiederholen wollen. Da deutet sich schon so ein Abhängigkeitspotenzial an, was eben dem Cannabiskonsum innewohnt.

Im Video: Cannabis-Verbot: Hat Bayern Recht? Possoch klärt!

Cannabis "auf den ersten Moment gar nicht so gefährlich"?

BR24: Was für weitere Risiken können durch den Cannabis-Konsum entstehen?

Pogarell: Akut, kann man feststellen, ist es auf den ersten Moment gar nicht so sehr gefährlich, wenn man das mal mit anderen Substanzen vergleicht. Das heißt, es gibt eigentlich keine wirklich beschriebenen tödlichen Überdosierungen. Aber es kann eben auch Kreislaufreaktionen nach sich ziehen. Der Blutdruck kann sich verändern, der Puls kann sich verändern. Das kann bei Menschen, die eben schon Kreislaufprobleme haben, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, durchaus zu Problemen führen. Dann kann es akut sedieren, das heißt, es kann dämpfen. Das birgt natürlich dann Probleme, wenn wir gleichzeitig andere Tätigkeiten vornehmen müssen. Das heißt, wenn wir ein Fahrzeug lenken wollen, wenn wir mit Maschinen umgehen sollen. Akuter Cannabiskonsum und Auto fahren, also Verkehrstüchtigkeit, das passt nicht zusammen.

BR24: Und wenn man im hohen Maß konsumiert?

Pogarell: Dann können besonders vulnerable Personen durchaus nicht nur positive psychische Effekte verspüren, sondern auch Depressionen erleiden, Angstzustände erleiden, bis hin zu sogenannten Psychosen, dass eben Realitätsverzerrungen auftreten, dass man Halluzinationen erlebt, das heißt, dass man Dinge sieht oder hört, die tatsächlich nicht da sind. Das sind die akuten Effekte, die zeitlich begrenzt sind. Die würden dann auch wieder verschwinden, wenn man eben nicht mehr konsumiert.

Suchtgefahr bei Cannabis

BR24: Und dennoch besteht ja auch die Gefahr einer langanhaltenden Abhängigkeit?

Pogarell: Richtig. Cannabis wirkt eben ein auf dieses Sucht-System, auf das endogene Verstärkersystem, auch auf das Belohnungssystem, was eben dazu führt, dass wir mit dem Cannabis eine positive Erfahrung erleben. Und diese positive Erfahrung wird gleich vom Gehirn abgespeichert. Und das Gehirn merkt sich das, dass der Konsum eben ein angenehmes Gefühl verursacht hat, eine Euphorie oder eine Entspannung. Und dann meldet sich das Gehirn von Zeit zu Zeit und signalisiert: Diesen Zustand möchte ich wieder erleben. Und so kann eben dann eine Abhängigkeit entstehen. Und wir können die Risiken einschätzen und hochrechnen auf etwa neun bis zehn Prozent der Cannabis-Konsumenten, die eine entsprechende Cannabisabhängigkeit dann entwickeln können.

Prof. Dr. med. Oliver Pogarell, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Facharzt für Neurologie
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Prof. Dr. med. Oliver Pogarell

BR24: Eine Abhängigkeit, die dann zu weiteren Problemen führt?

Pogarell: Ja, es können dann auch langfristig mögliche Psychosen resultieren. Das heißt, Personen, die eben nicht mehr zwischen Realität und diesen Psychose-Zustand unterscheiden können, die dann häufiger sich bedroht, verfolgt fühlen, Ängste haben, obwohl das objektiv gar nicht begründbar wäre, die Halluzinationen erleiden, die Dinge hören, Töne, Stimmen, obwohl da eben niemand zu ihnen spricht. Und diese chronischen Psychosen beeinträchtigen dann auch besonders die Lebensqualität.

Und bei uns in der Klinik sehen wir eben immer wieder auch sehr junge Menschen, die durch den Konsum von Drogen, von Cannabis-Präparaten Probleme kriegen im Hinblick auf Beeinträchtigungen, psychische Störungen. Das kann eben im Extremfall auch eine Psychose sein.

Junge Menschen mit "bis zu dreifach erhöhtem Risiko" für einer Psychose

BR24: Also ist die Sorge vor Cannabis-Missbrauch bei jungen Menschen durchaus berechtigt?

Pogarell: Wir wissen, dass das Risiko, solche Psychosen zu erleiden, altersabhängig ist. Das heißt, insbesondere bei sehr jungen Menschen ist das Risiko durchaus höher als wenn wir erwachsene Personen haben, die gelegentlich mal Cannabis konsumieren. Und ja, man kann das zahlenmäßig eingrenzen auf ein durchaus bis zu dreifach erhöhtes Risiko, eine solche gefährliche chronische Psychose zu erleiden, wenn Menschen im jungen Alter konsumieren. In der Jugend und auch im frühen Erwachsenenalter ist das Gehirn noch nicht vollständig ausgereift. Tatsächlich gibt es Studien, die zeigen, dass sich bei Menschen, die in frühen Jahren Cannabis konsumieren, Umbauvorgänge entwickeln können, dass sich das Gehirn eben nicht korrekt ausbildet und ausreift.

Aus neuropsychiatrischer Sicht Konsum erst ab 25 Jahren unbedenklicher

BR24: Laut den Ampel-Plänen soll Cannabis nun aber ab 18 Jahren legal erworben werden können.

Pogarell: Aus Nervenärztlicher, neuropsychiatrischer Sicht würde man das durchaus etwas kritisch sehen. Mit 18 wird der Mensch im gesetzlichen Sinne volljährig. Aber die Hirnreifung geht noch weiter. Und da würden wir uns so ein Alter um 25, 26 wünschen, wo man eben mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass alle Hirnareale dann ausreichend ausgereift sind, und dass die Empfindlichkeit für solche Substanzen dann eben nicht mehr so groß ist.

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Was passiert eigentlich bei Cannabis-Konsum im Körper?

Legalisierung nur "mit intensiver Aufklärung"

BR24: Wie kann man dann den Legalisierungsplan der Ampel noch rechtfertigen?

Pogarell: Diese Legalisierungspläne, die da vorgelegt wurden, müssen natürlich - und so sind nach meiner Information durchaus auch die Absichten - mit intensiver Aufklärung, mit intensiver Schulung einhergehen. Die Frage ist natürlich: Wie gut kann man das bewerkstelligen? Wir wissen das vom Nikotin, wir wissen das vom Rauchen, dass Aufklärungs-Kampagnen über lange Jahre bzw. Jahrzehnte nur mäßig erfolgreich waren. Allerdings ist in letzter Zeit im Kontext des Tabakkonsums doch einiges geglückt. Das ist deutlich zurückgegangen, gerade auch bei den jungen Menschen.

Bestrafung kann Depressionen verursachen

BR24: Bisher wird versucht junge Menschen mit der Androhung von strafrechtlicher Verfolgung vom Cannabis-Konsum abzuhalten.

Pogarell: Bestrafungsmechanismen können die Betroffene dann auch wieder in Schwierigkeiten bringen, in berufliche Schwierigkeiten, in Probleme mit ihrer Lebensplanung und können natürlich auch psychische Beeinträchtigungen im Sinne von Ängsten und Depressionen und dergleichen nach sich ziehen. Und das sind natürlich die Schattenseiten.

Bei Legalisierung: "Zunehmender Konsum möglich"

BR24: Bei einer Legalisierung von Cannabis wäre diese Schattenseite dann passé.

Pogarell: Was durchaus positive Aspekte einer Legalisierung wären, wäre eben, dass die Bestrafung wegfällt, aber auch dass man die Substanzen dann noch besser kontrollieren könnte, dass man möglicherweise ausschließen könnte, dass illegale, besonders giftige Substanzen auf den Markt kommen. Das Kontra-Argument ist natürlich: Wenn etwas freigegeben wird, wird möglicherweise auch mehr konsumiert. Und wir haben in anderen Ländern gesehen, dass in bestimmten Altersgruppen der Konsum nach einer Legalisierung durchaus zunehmen kann. Und mit einem zunehmenden Konsum können natürlich auch die betroffenen Personen, die von Risiken betroffenen sind, in der Zahl größer werden.

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LMU Klinik für Erwachsenenpsychiatrie

Alkohol: "Langfristig genauso bedrohliche Folgen"

BR24: In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum in München wird allerdings auch Alkoholismus behandelt. Im Vergleich zu Cannabis ist Alkohol jedoch legal. Ist das richtig?

Pogarell: Alkohol ist im Alltag in Europa, in den westlichen Kulturen seit vielen Jahrtausenden präsent. Da gibt es einen bestimmten Erfahrungshorizont im Umgang und eine bestimmte Gewöhnung an diese Substanz. Aber korrekterweise muss man natürlich sagen: Unter den ganzen abhängigkeitserzeugenden Suchtmitteln spielt Alkohol zahlenmäßig natürlich schon die größte Rolle. Etwa 1,7 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Alkoholabhängigkeit. Und ein problematischer Umgang mit Alkohol, wo zumindest ein Beratungsbedarf bestünde, liegt sicherlich bei bis zu 12 Millionen Menschen in Deutschland vor. Das heißt, es ist schon eine problematische Substanz, die langfristig genauso bedrohliche Folgen haben kann.

Präventionsangebote für Cannabis und Alkohol notwendig

BR24: Können Sie die Folgen nochmal erläutern?

Pogarell: Großer Alkoholkonsum kann zu psychischen Beeinträchtigungen führen, kann auch Psychosen auslösen. Aber im Vordergrund stehen beim Alkohol natürlich auch die körperlichen Beeinträchtigungen, die Leberfunktionsstörungen, die Störungen auf das Gedächtnis, auf viele unterschiedliche Körperfunktionen, sodass wir natürlich auch den Alkohol besonders im Fokus haben müssen. Ich denke, wir müssen uns um den Alkohol kümmern. Wir müssen uns auch um alle anderen Substanzen kümmern. Und sinnvoll sind natürlich Präventionsangebote, eine gute Aufklärung, um irgendwann hier bezogen auf alle Substanzen, die Risiken möglichst gering zu halten.

BR24: Danke für das Gespräch.

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