“Ami go home” - eine Aussage, die in Deutschland sowohl in rechten als auch in linken Kreisen anschlussfähig ist.
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“Ami go home” - eine Aussage, die in Deutschland sowohl in rechten als auch in linken Kreisen anschlussfähig ist.

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#Faktenfuchs: Antiamerikanismus im russischen Infokrieg

Russland nutzt antiamerikanische Verschwörungserzählungen, um die eigene Verantwortung am Krieg in der Ukraine zu relativieren. Diese Narrative fallen nicht nur in rechten und linken Kreisen auf fruchtbaren Boden. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Der russische Präsident Wladimir Putin findet viele Wege, um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine scheinbar zu rechtfertigen, unter anderem diesen hier: Die USA beziehungsweise die NATO seien die eigentlichen Kriegstreiber in der Ukraine und Russland verteidige sich nur. Experten sehen darin eine antiamerikanische Verschwörungserzählung - und die ist in Deutschland für einige anschlussfähig, das zeigen Umfragen. Besonders Anhänger von AfD und Linke sind dafür empfänglich: Laut einer Umfrage des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) vom Oktober 2022, stimmten 48% der AfD-Anhänger und 32% der Linken-Anhänger der Aussage zu, die NATO habe Russland so lange provoziert, bis Russland in den Krieg ziehen musste. Bei Anhängern der anderen Parteien stimmten 16% der Befragten oder weniger der Aussage zu.

Doch auch über die politischen Ränder hinaus verfangen antiamerikanische Narrative. Das zeigt eine Umfrage, die im Rahmen der Leipziger Autoritarismusstudie der Heinrich Böll Stiftung von 2022 durchgeführt wurde: 29,7 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, Russland sei durch die NATO-Osterweiterung zu einem Angriff auf die Ukraine provoziert worden.

Auch ein oberbayerischer Gewerkschafter wandte sich an den #Faktenfuchs und berichtete von solchen und weiteren antiamerikanischen Verschwörungserzählungen speziell zum Krieg in der Ukraine, die er wiederholt von mehreren Betriebsratsmitgliedern gehört habe. Die Wege, die prorussische Desinformation nimmt, sind vielfältig - und sie treffen in Deutschland auf unterschiedliche Einstellungen. Doch welche Strategie steckt hinter prorussischer Desinformation und warum verfangen entsprechende Behauptungen? Eine #Faktenfuchs-Recherche.

Was ist Antiamerikanismus?

Antiamerikanismus ist eine Ideologie, die welterklärende Eigenschaften besitzt und sich dadurch von bloßer Kritik an den USA unterscheidet. “Ähnlich wie der Antisemitismus funktioniert auch der Antiamerikanismus so, dass das Weltgeschehen dadurch erklärt wird, dass es diese eine Gruppe gibt - oder in diesem Fall dieses eine Land -, das maßgeblich für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich ist”, sagt Andrej Steinberg von der Amadeu-Antonio-Stiftung, der gemeinsam mit seiner Kollegin Manja Vitter eine Abhandlung über prorussische Propaganda veröffentlicht hat und sich dabei auch mit Antiamerikanismus in russischer Desinformation auseinandersetzte.

Laut Steinberg werden die USA einerseits mit fortschrittlichen Werten identifiziert, die eine Bedrohung für traditionelle Lebensweisen darstellten. Andererseits werde behauptet, die USA arbeiteten darauf hin, das Weltgeschehen zu lenken und davon zu profitieren.

Die Historikerin Margit Reiter von der Universität Wien fasst in einem Beitrag auf der Webseite der Universität zusammen: Es würden beim Antiamerikanismus nicht einzelne politische Entscheidungen oder gesellschaftliche Entwicklungen kritisiert, sondern die USA als Ganzes - Platz für Differenzierung gebe es meist nicht.

Peter Stano, Sprecher von "EU vs. Disinfo", schreibt auf eine #Faktenfuchs-Anfrage: "Das antiamerikanische Element ist in russischer Desinformation und Propaganda omnipräsent." "EU vs. Disinfo" ist eine Kampagne des Europäischen Auswärtigen Dienstes, die kremlfreundliche Desinformation vorhersagen und ihr entgegenwirken will. Sozialwissenschaftler, Journalisten und Kommunikationsexperten im Team von "EU vs. Disinfo" analysieren die Desinformation.

Anknüpfen an bereits bestehende Vorstellungen

Antiamerikanische Narrative verfangen besonders gut bei denjenigen, die ohnehin schon eine skeptische Einstellung gegenüber den USA haben. Das hat auch kognitive Gründe. Sarah Pagung, Expertin für Sicherheit und russische Desinformation von der Körber-Stiftung, sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: "Desinformation funktioniert besonders gut, wenn sie an Inhalte anknüpft, die an bestimmte Vorstellungen oder bestimmte Weltbilder der Rezipienten (also der “Empfänger” einer Nachricht; Anm.d.R.) andocken." Der Fachbegriff dafür ist "confirmation bias", also: "Bestätigungsfehler". Auf diesen Fall übertragen: Wenn man die USA also schon als "böse" einordnet, treffen wahrscheinlich auch Verschwörungserzählungen zu den USA auf fruchtbaren Boden.

Ein weiterer Grund, warum antiamerikanische Narrative so gut funktionieren, sieht Darius Harwardt von der TU Dortmund darin, dass manche von ihnen auf einem wahren Kern beruhen. Das sei das größte wirksame Mittel dieser Narrative, sagt Harwardt, der unter anderem zu Antiamerikanismus bei deutschen Rechtsintellektuellen promoviert hat. Ein Beispiel dafür ist der Irak-Krieg 2003. Der wird laut der Verschwörungserzählungs-Expertin und Buch-Autorin Katharina Nocun als "wahre Verschwörung" interpretiert. Denn die US-Regierung unter dem Präsidenten George W. Bush begründete ihn damals unter anderem damit, das Regime des Diktators Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen besessen. Eine Begründung, die sich als unwahr herausstellte.

Für Anhänger antiamerikanischer Verschwörungstheorien ist genau das eine Bestätigung ihrer Theorien, sagt Harwardt: "Man hat sich darin bestätigt gefühlt, dass die USA nun mal die Weltpolizei sei und im Zweifelsfall machen, was sie wollen", so Harwardt.

Ein fataler Trugschluss, sagt Nocun. "Wenn ich behaupte, hinter allem steckt eine Verschwörung, dann werde ich mit Sicherheit in 0,01 Prozent der Fälle richtig liegen. Ich werde aber auch in 99,99 Prozent falsch liegen, und das wird dann halt eben vergessen."

Antiamerikanismus in russischer Desinformation zum Ukraine-Krieg

Welche konkrete Rolle spielen antiamerikanische Narrative nun im Ukraine-Krieg? Der Antiamerikanismus ist fester Bestandteil russischer Propaganda und findet sich auch in den Reden des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des russischen Außenministers Sergej Lawrow. Zwar steht fest, dass Russland den Krieg in der Ukraine angefangen hat, nicht die USA. Die russische Führung stellt es aber so dar, als sei dies indirekt der Fall gewesen. Beispielsweise in Putins Rede vom 24. Februar 2022. Als er den Angriff auf die Ukraine ankündigte, sprach er von einer "Ausdehnung des Nato-Blocks nach Osten" und von der "Annäherung seiner militärischen Infrastruktur an die Grenze Russlands." (Transkript der Rede hier) Dies sei - so die Darstellung Putins - unrechtmäßig; angeblich habe der Westen Russland immer wieder zugesichert, es werde keine Osterweiterung der NATO geben. Fakt ist: Einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der eine solche Abmachung enthält, gibt es nicht, wie die Faktenchecker von Correctiv hier einordnen.

Laut Andrej Steinberg von der Amadeu-Antonio-Stiftung will Russland folgende (falsche) Botschaft verbreiten: Der Krieg in der Ukraine sei defensiv und es sei nicht einfach ein Krieg gegen die Ukraine, sondern vor allem ein Krieg gegen den Westen. Dazu passen Verschwörungserzählungen wie die, die Ukraine sei nur eine US-amerikanische oder westliche Marionette. Korrekt ist: Weder die EU oder die USA oder die NATO haben Russland den Krieg erklärt. Die NATO schreibt auf ihrer Webseite, sie sei ein Verteidigungsbündnis, dessen Zweck es sei, seine Mitgliedstaaten zu beschützen. Die offizielle Politik sei: Die NATO suche keine Konfrontation und stelle keine Bedrohung für die Russische Föderation dar. Sie sei nicht in der Ukraine einmarschiert, das habe Russland getan. Auf der deutschen Webseite der EU wird erklärt: Die EU und die USA leisteten der Ukraine militärische Unterstützung, damit diese sich verteidigen könne, sie seien jedoch nicht an den Kampfhandlungen beteiligt.

Die USA oder "der Westen" als Feindbild, Russland dafür als "die Guten". Dieses dualistische Weltbild sei typisch für die verschwörungsideologische Szene, sagt Katharina Nocun. "Wenn Amerika als feindlich betrachtet wird, fällt es natürlich viel leichter, Russland aufzuwerten als vermeintlich guten Gegenspieler." Dieses Muster wiederhole sich in allen Verschwörungsideologien, schreibt auch Steinberg in seiner Abhandlung. Es diene als "Gegenentwurf, an dem man das eigene, widerspruchsfreie Selbstbild verdeutlichen kann: Russland bewahrt die ‘traditionellen Werte’, ist idealistisch und beschützt Menschen vor Neonazis in der Ukraine."

  • Russland behauptet immer wieder, die Ukraine werde von Faschisten regiert, obwohl am Nazi-Vorwurf nichts dran ist. Die Hintergründe hat der #Faktenfuchs hier eingeordnet.

"Es geht viel um die Relativierung von Verantwortung", sagt Sarah Pagung von der Körber-Stiftung.

Es geht darum, den Westen zu schwächen

Antiamerikanische Narrative spielten in russischer Desinformation schon vor dem Krieg in der Ukraine eine Rolle: Laut dem deutschen Verfassungsschutzbericht von 2021 (Seite 278) zielen russische - auch staatliche - Akteure darauf ab, die Allianzen der westlichen Bündnispartner, insbesondere EU und NATO, zu spalten. "Darüber hinaus stellten russische Akteure – wie in den vergangenen Jahren – die NATO und die USA als Bedrohung für Russland und den Weltfrieden dar."

Das bekräftigt auch Sarah Pagung. "Es geht natürlich auch darum, den politischen Westen - egal ob das jetzt die NATO ist, die EU oder insgesamt - zu schwächen. Das können sie sehr gut machen, indem sie innere Zentrifugalkräfte fördern." Gerade die Beziehung zu den USA, die in Europa teils ein umstrittenes Thema sei, eigne sich dafür.

Doch wen erreichen diese Botschaften? Und wer verbreitet sie?

Desinformation über Ländergrenzen hinweg

Laut Andrej Steinberg werden viele antiamerikanische Narrative durch russische Inlandsmedien verbreitet. "Es ist wichtig zu betonen, dass russische Propaganda grenzüberschreitend ist. Wir leben im Zeitalter des Internets - das heißt, dass sich diese Meldungen auch auf russischer Sprache über Ländergrenzen hinweg verbreiten." Eine wichtige Rolle nähmen zweisprachige Desinformations-Akteure wie Alina Lipp ein. "Sie leisten Übersetzungsarbeit. Sie übertragen Falschmeldungen aus russischen Inlandsmedien, aber genauso auch aus russischen Telegramkanälen ins Deutsche und reichern sie mit eigenem Content an", so Steinberg.

Antiamerikanismus als ideologische Brücke zwischen Putin-Befürwortern

In beiden Lagern - sowohl bei der extremen Rechten als auch bei der extremen Linken - sei der Antiamerikanismus präsent, erklärt Sarah Pagung. Man lehne Kapitalismus und die gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Moderne sowie die liberale Demokratie ab, für die die USA stünden. Das sei eine Erklärung dafür, warum man dort so viel Antiamerikanismus beobachte, so Pagung.

Der Professor für Soziologie Heiko Beyer von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf formulierte es in einem Interview mit "Belltower News", einem Projekt der Amadeu-Antonio-Stiftung so: "Heutige Neonazis boykottieren genauso McDonalds wie linke Antiimperialist*innen. Sie lehnen die Globalisierung ab, die sie mit Amerika identifizieren."

Ein Stichwort in diesem Zusammenhang ist die "Querfront", also der Schulterschluss scheinbar gegensätzlicher politischer Strömungen, der sich durch gemeinsame, vereinfachte Feindbilder ergebe, so definiert es die Amadeu-Antonio-Stiftung auf ihrer Webseite.

"Man kann schon sagen, dass Antiamerikanismus irgendwo auch eine Brückenfunktion zu rechten Mythen einnehmen kann", sagt Verschwörungserzählungs-Expertin Nocun. "Wir sehen immer wieder Akteure aus dem politisch eher linken Spektrum, die eine gewisse Nähe zu einer Querfront haben, die sich von rechts nicht abgrenzen, manchmal sogar offen rechte Narrative verbreiten."

Diese Querfront kann man aktuell auch in Teilen der Friedensbewegung beobachten. Die Washington Post berichtete, es sei das ausdrückliche Ziel des Kreml gewesen, Deutschlands Rechte und Linke zusammenzuführen, um eine Anti-Kriegsstimmung in Deutschland zu schüren und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Das legten Dokumente eines europäischen Geheimdienstes nahe, die der Zeitung vorlägen.

Innerhalb der Friedensbewegung habe der Antiamerikanismus das größte Mobilisierungspotential, reiche auch bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, sagte der Soziologe Heiko Beyer dem Tagesspiegel.

Das habe man auch in der Friedensbewegung der 1980er Jahre gesehen. Da habe es Demonstrationen in Westeuropa mit hunderttausenden Teilnehmern gegeben. Im Interview mit Belltower News sagte Beyer: "Dieses Mobilisierungspotential sieht man bei keinem anderen Thema. Wenn es gegen Amerika geht, werden Demonstrationsteilnehmer*innenzahlen erreicht, die sonst utopisch wären." Verschwörungstheoretische Elemente fänden sich fast immer im Antiamerikanismus.

Fazit

Antiamerikanische Verschwörungserzählungen zum Ukraine-Krieg sind zentraler Bestandteil russischer Propaganda. Russland nutzt diese Verschwörungserzählungen, um die eigene Verantwortung am Krieg in der Ukraine zu relativieren.

Diese Narrative fallen besonders bei jenen auf fruchtbaren Boden, die den USA feindselig gegenüberstehen. Hier wirkt der “confirmation bias” oder Bestätigungsfehler. (Des-)Information bleibt dann besonders gut hängen, wenn sie an bereits bestehende Vorstellungen und Weltbilder anknüpft.

In Deutschland verfangen die von Russland gestreuten antiamerikanischen Erzählungen vor allem am rechten und linken Rand und spielen auch in Teilen der Friedensbewegung eine große Rolle.

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