Der Bundesrat hat der Wahlrechtsreform zugestimmt. 106 Sitze im Bundestag sollen wegfallen. Zwei Parteien sorgen sich um ihre Mandate.
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Der Bundesrat hat der Wahlrechtsreform zugestimmt. 106 Sitze im Bundestag sollen wegfallen. Zwei Parteien sorgen sich um ihre Mandate.

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Neues Wahlrecht kommt – Söder will klagen

Deutschland bekommt ein neues Wahlrecht. Der Bundestag soll so kleiner werden. Der Bundesrat hat keinen Einspruch eingelegt gegen das Gesetz der Ampel. Bayerns Ministerpräsident Söder will jetzt dagegen klagen.

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Nur eine Hand geht nach oben. Es ist die von Bayerns Staatsminister für Bundesangelegenheiten Florian Herrmann (CSU). Der Bundesratsvorsitzende Peter Tschentscher (SPD) stellt nüchtern fest: "Das ist eine Minderheit."

Die Staatsregierung wollte am Vormittag erreichen, dass der Bundesrat ein Vermittlungsverfahren startet, um die Ampel-Pläne für ein neues Wahlrecht zu Fall zu bringen. Doch kein anderes Bundesland wollte sich anschließen. Überraschend ist das nicht: In 15 von 16 Bundesländern regiert mindestens eine Ampel-Partei mit.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte in seiner Rede in der Länderkammer seine Kritik an der Wahlrechtsreform wiederholt: Das Gesetz sei politisch falsch und verfassungswidrig. Es handele sich "um eine Art Wählertäuschung".

  • Zum Artikel: FAQ zur Wahlrechtsreform: Die Pläne im Einzelnen

Reform bringt CSU unter Druck

Zwei Dinge stören die CSU besonders an dem Gesetz: Das Prinzip der Zweitstimmendeckung und die Abschaffung der Grundmandatsklausel.

Die Grundmandatsklausel sichert Parteien unter der Fünf-Prozent-Hürde den Einzug ins Parlament, wenn sie drei Wahlkreise direkt gewinnen. Ohne diese Regel wäre die Linke jetzt nicht im Bundestag.

Die CSU tritt zwar nur in Bayern an. Weil sie aber eine eigenständige Partei ist, muss sie bundesweit über fünf Prozent der Stimmen kommen. Bei der letzten Bundestagswahl waren es 5,2 Prozent. Sollte sie die Fünf-Prozent-Hürde reißen, nützen ihr künftig auch ihre aktuell 45 Direktmandate nichts. Sie wäre nicht mehr im Bundestag.

Söder stellt in seiner Rede in Frage, ob es sich überhaupt noch um eine Wahl handele oder vielmehr um eine Zuteilung. Für den CSU-Chef passt die Wahlrechtsreform perfekt in seine Erzählung, die Ampel in Berlin benachteilige Bayern.

Ampel denkt über Änderungen nach

Nach Informationen von BR24 überlegen SPD, Grüne und FDP in Berlin momentan, wie sie Söder diese Munition für den Wahlkampf nehmen könnten. Eine Idee: Ein Gesetz könnte Listenverbindungen ermöglichen. CDU und CSU könnten bei einer Wahl gemeinsam antreten. Die CSU bräuchte sich nicht mehr um die Fünf-Prozent-Hürde zu sorgen. Doch die Partei lehnt das Modell vehement ab. Sie würde damit einen Teil ihrer Eigenständigkeit einbüßen.

Während die Abschaffung der Grundmandatsklausel für die CSU eigentlich nur ein theoretisches Problem ist, kann die vorgesehene Zweitstimmendeckung zu einem sehr realen Problem werden.

Weil es künftig keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben soll, müssen Wahlkreisgewinner eine zusätzliche Bedingung erfüllen, um in den Bundestag zu kommen: Ihre Partei muss ausreichend Zweitstimmen dafür mitbringen.

Wenn eine Partei zum Beispiel 40 Wahlkreise in einem Bundesland direkt gewinnt, aber nur Zweitstimmen für 30 Wahlkreise hat, gehen die zehn Kandidaten mit den schwächsten Erststimmenergebnissen leer aus.

Das wäre vermutlich vor allem im Osten Deutschlands so, wo das Rennen zwischen den Parteien besonders eng ist. Und in den großen Städten in Bayern. München, Nürnberg oder Augsburg wären für die CSU zum Beispiel ein schwieriges Pflaster. Mit den Erststimmenergebnissen der Bundestagswahl 2021 gerechnet, könnten Wahlkreisgewinner mit 25 bis 35 Prozent der Erststimmen leer ausgehen.

Söder wirft Ampel vor, ihre Macht auszunutzen

Söder nennt es im Bundesrat einmalig in der Nachkriegsgeschichte, dass sich eine Mehrheit bewusst zusammenschließe, und "ihre Macht ausnutzt, und durchdrückt, um andere vielleicht aus dem Parlament zu bringen oder zu schwächen."

Politiker der Ampel weisen solche Vorwürfe regelmäßig zurück. Aus ihrer Sicht sind grundlegende Wahlrechtsreformen in der Vergangenheit stets an der CSU gescheitert. Sie profitiert aktuell von einer Regel im Wahlrecht, wonach bis zu drei Überhangmandate bei anderen Parteien nicht ausgeglichen werden. Das hatten CDU, CSU und SPD in ihrer letzten Wahlrechtsreform 2020 so beschlossen. Die damaligen Oppositionsparteien Grüne, FDP und Linke klagen dagegen aktuell vor dem Bundesverfassungsgericht. Endgültig entschieden ist darüber noch nicht.

Bayern will gegen Wahlrechtsreform klagen

Die Ampel betont: Bei ihrer Reform büßen allen Parteien gleichmäßig Sitze ein. Der Bundestag werde verlässlich auf 630 Sitze geschrumpft. Aktuell sind es noch 736. Aus Sicht von SPD, Grünen und FDP ist die Reform fair und verfassungskonform.

Ob dem so ist, werden die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entscheiden. Bayerns Ministerpräsident Söder erneuerte im Bundesrat seine Ankündigung, gegen das Gesetz klagen zu wollen. Auch die Unions-Bundestagsfraktion und die Fraktion "Die Linke" erwägen das.

  • Zum Artikel: Das sagen Juristen zur Wahlrechtsreform
Der Bundesrat hat der Wahlrechtsreform zugestimmt. 106 Sitze im Bundestag sollen wegfallen.
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Der Bundesrat hat der Wahlrechtsreform zugestimmt. 106 Sitze im Bundestag sollen wegfallen.

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