Rezession, Inflation, Wirtschaftskrise: Steht Deutschland vor dem Abstieg?
Bildrechte: Bildrechte: picture alliance / dpa | Britta Pedersen; dpa-Bildfunk | Boris Roessler; Montage: BR

Rezession, Inflation, Wirtschaftskrise: Steht Deutschland vor dem Abstieg?

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Ökonomen: Kurzfristige Lösungen helfen der Konjunktur nicht

Die IWF-Prognose für das Wirtschaftswachstum 2023 legt den Finger in die Wunde von Wirtschaft und Politik: Deutschland ist Schlusslicht. Dabei sind die Probleme hierzulande zum Teil sehenden Auges selbst verursacht, finden Wirtschaftsexperten.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Aufwind nach drei krisengeplagten Jahren? Die Juli-Prognose des Internationalen Währungsfonds IWF sagt für Deutschland 2023 ein negatives Wirtschaftswachstum voraus und hat gar die Prognose von April weiter nach unten korrigiert. Im neuen Wachstumsausblick des IWF ist die deutsche Volkswirtschaft unter den 22 untersuchten Staaten und Regionen die einzige, in der das Bruttoinlandsprodukt 2023 sinken soll – um 0,3 Prozent.

Doch den Grund dafür in der aktuellen Politik zu suchen, greift deutlich zu kurz, so das Fazit dreier Wirtschaftsexperten im neuen "Possoch klärt"-Video (Video oben, Link unten). Das eigentliche Problem der deutschen Wirtschaft sei durch schnelle und kurzfristige Lösungen nicht zu beheben. Es gelte, strukturelle Veränderungen anzustreben.

Die Abhängigkeit Deutschlands nach dem Ende der russischen Gaslieferungen hat hierzulande zu einer Energiekrise geführt. Ein Problem für das Industrieland Deutschland, in dem die Automobil-, die Maschinenbau-, Chemie- und Elektroindustrie besonders energieintensiv sind.

Energiewende: Doppelte Herausforderung für Industrie

Die großen Industrien in Deutschland stehen somit gleich vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits müssen sie derzeit die hohen Energiepreise schultern, andererseits ihre Produktion auf klimaneutrale Energieträger umstellen, wenn sie vermeiden wollen, erneut in ein Energie-Abhängigkeitsverhältnis zu rutschen. Die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen, die nicht zu Hürden für die Wirtschaft werden, meinen die Ökonomen.

Neben der Energiewende nennt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm auch den Bürokratieabbau sowie die Digitalisierung der Verwaltung als wichtige Stellschrauben, macht aber auch deutlich: "All diese Maßnahmen haben gemein, dass sie nicht sofort entlasten, sondern die zukünftigen Rahmenbedingungen verbessern und damit auch die Erwartungen, die ein Unternehmen hat, das in Deutschland dann investieren möchte." Denn kein Unternehmen würde jetzt in Deutschland investieren, wenn es nur kurzfristige Hilfsmittel gebe. Wichtiger für diese Entscheidung seien langfristig attraktive Standortbedingungen, so Grimm im BR24-Interview.

Industriestrompreis: Wichtige Subvention oder kurzfristige Scheinlösung?

Wirtschaftsverbände, wie etwa der Verband der Chemischen Industrie, fordern seit langem einen Industriestrompreis, also einen niedrigeren Strompreis für die Industrie. Grimm sieht darin aber die Gefahr eines zu kurzfristigen Wachstums, "ohne das langfristige Problem hoher Energiekosten tatsächlich konsequent anzugehen." Das wichtigste, sagt Grimm, sei es, "jetzt eben keine kleinteiligen, kurzfristigen Maßnahmen aufzusetzen, sondern langfristige strukturelle Maßnahmen."

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert wird in ihrer Kritik am Industriestrompreis noch deutlicher: "Er ist ökologisch und ökonomisch falsch, enorm teuer, zementiert eher vergangene Geschäftsmodelle, wirkt nicht dazu, dass man mehr Energie einspart, ist auch noch ungerecht und führt eben dazu, dass wir gerade die alten Geschäftsmodelle noch weiter zementieren." Von diesen sollte Deutschland laut Kemfert jedoch wegkommen.

Im Video: Rezession, Inflation, Wirtschaftskrise: Steht Deutschland vor dem Abstieg? Possoch klärt!

"Selfmade-Menschen" werden gefragt

Für langfristige und strukturumfassende Reformen braucht es laut dem Wirtschaftshistoriker Klemens Skibicki "neuen Mut". Dann hätte Deutschland als Wirtschaftsstandort auch Potenzial, "wieder mehr Selfmade-Menschen" anzuziehen, denn derzeit sind "die Werttreiber und Wohlstandsbringer des digital-vernetzten Zeitalters vor allen Dingen woanders."

Langfristig müssten die Rahmenbedingungen der Wirtschaft so gesetzt werden, dass "die Tüftler und die besten Köpfe der Welt hier hinkommen und die Geschäftsmodelle hier entwickeln wollen. Das sollten wir in den Fokus stellen, wenn wir tatsächlich den Wohlstand der Zukunft mitbestimmen wollen", sagt der Wirtschaftshistoriker.

Die letzte große Strukturreform mit langfristigen Auswirkungen in Deutschland war die Agenda 2010 unter der Rot-Grünen-Koalition 2003 bis 2005. Die Debatte darüber, ob die Agenda 2010 Erfolg oder Misserfolg war, scheidet die Geister bis heute und hat die Regierung unter Gerhard Schröder (SPD) schließlich das Amt gekostet. Wirklich langfristige Wirtschaftsreformen seien jedoch dringend notwendig, darin sind sich die Ökonomen einig.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!