Die Morgensonne färbt den Himmel hinter den Anlagen eines Chemieunternehmens.
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Die Morgensonne färbt den Himmel hinter den Anlagen eines Chemieunternehmens.

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Bayerns Wirtschaft warnt: Deindustrialisierung beschleunigt sich

Die bayerische Wirtschaft befürchtet, dass sich die Deindustrialisierung in den kommenden Monaten beschleunigen wird. Denn es zeigt sich: Viele Firmen investieren lieber im Ausland als in Bayern. Schuld ist vor allem die teure Energie hierzulande.

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Ob Chemie-, Kunststoff- oder Papierindustrie – sie alle gelten als besonders energieintensiv. Und sie alle leiden besonders unter den gestiegenen Energiekosten. Schon heute investieren viele Betriebe lieber im Ausland. Eine Entwicklung, die sich wohl beschleunigen wird, befürchtet der Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages, Manfred Gößl. Von den größeren Industriebetrieben würden bereits 40 Prozent ins Ausland gehen und dort investieren, um zu wachsen. In Deutschland hingegen würden nur noch Ersatzinvestitionen stattfinden. Dies sei ein Warnruf.

"Schleichende Krankheit" Deindustrialisierung

Besorgt ist auch der Sprecher der Initiative "ChemDelta Bavaria", Bernhard Langhammer. Er vertritt die Unternehmen im bayerischen Chemiedreieck mit ca. 20.000 Beschäftigten rund um die Standorte Burghausen, Trostberg, Waldkraiburg und Burgkirchen. Er bezeichnet die Deindustrialisierung als "schleichende Krankheit", die man am Anfang überhaupt nicht sehe.

Zuerst würden Firmen nicht mehr reinvestieren und in Zukunft würden dann ausländische Investoren nur noch dort investieren, wo die Renditen gesichert seien. Und da sei es bei den heutigen Energiepreisen für einige Branchen unmöglich, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Dazu gehöre auch die energieintensive Chemie.

Erholung in Chemieindustrie nicht in Sicht

Langhammer rechnet damit, dass man eine Welle von Abwanderungen erst noch vor sich habe. Wie schlecht die Lage in der Chemie ist, zeigt eine aktuelle Umfrage des Münchner ifo-Instituts. Das vom ifo gemessene Geschäftsklima in der Branche stieg zwar leicht von minus 28,1 Punkten im Juni auf minus 25 Punkte im Juli. Die "rasante Talfahrt" in der Chemie sei damit zwar vorerst unterbrochen, eine baldige Erholung sei aber nicht in Sicht.

Auch die bayerische Metall- und Elektroindustrie warnt: So hätten in einer Umfrage unter den Betrieben 70 Prozent angegeben, dass sich die Standortbedingungen deutlich verschlechtert hätten. Beleg dafür seien schwache Inlandsinvestitionen zugunsten von Investitionen im Ausland. Auch der Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Wolfram Hatz, warnt vor einer Deindustrialisierung. Es sei jetzt elementar, dass sich Deutschland vom Reparaturbetrieb wieder zu einer Zukunftswerkstatt wandele.

Auftragsplus in der Industrie nur ein Strohfeuer?

Dabei hat sich deutsche Industrie diese Woche mit einem Paukenschlag zurückgemeldet. Im Juni wuchsen die Aufträge völlig überraschend um sieben Prozent im Vergleich zum Vormonat und damit so stark wie seit drei Jahren nicht mehr – vor allem wegen einiger Großaufträge, insbesondere aus der Luft- und Raumfahrt.

Allerdings deuten Frühindikatoren wie das ifo-Geschäftsklima darauf hin, dass die bereits drei Quartale in Folge nicht mehr gewachsene größte Volkswirtschaft Europas nach wie vor in einer Konjunkturflaute steckt. Und wenn man auf das gesamte zweite Quartal blickt, ist von Euphorie nichts zu spüren. Von April bis Juni haben die Bestellungen lediglich um 0,2 Prozent im Vergleich zur Vorperiode zugelegt. Die Lage bleibt also angespannt.

Kann der Industriestrompreis die Probleme lösen?

Was die Betriebe außerdem belastet: zu viel Bürokratie und ein Mangel an Fachkräften. Vor allem aber müssten die Energiepreise runter, um das Abwandern ins Ausland zu stoppen, so die Forderung der Wirtschaft. Der jetzt diskutierte vergünstigte Industriestrompreis sei dabei nicht die Rettung für den Standort Deutschland, so Manfred Gößl vom Bayerischen Industrie- und Handelskammertag. Stattdessen müssten etwa die Stromsteuern sinken, um so auch die kleinen und mittleren Unternehmen zu entlasten. Die Strompreise sollten für alle nach unten gehen.

Doch was passiert, wenn der Industriestrompreis nicht kommt? Dann wäre das für viele Unternehmen im bayerischen Chemiedreieck eine Katastrophe, befürchtet Bernhard Langhammer von "ChemDelta Bavaria". Eigentlich wolle man eine solche Maßnahme nicht, da sie ein Eingriff in den freien Markt sei. Aber ohne den Industriestrompreis könne eine Branche wie die Chemie nicht überleben. Deswegen sei die Entlastung dringend notwendig, bis in Summe der Umbau des Energiesystems gelungen sei.

Industrie fordert Aktionsplan von der Regierung

Man brauche jetzt so etwas wie eine Agenda 2030, meint Manfred Gößl. Der Kanzler müsse seine Leute zusammenrufen und auch darauf einstimmen, dass die Lage ernst sei. Das Paket müsse die Themen Energiepreise und Steuern umfassen.

Es müsse einen Anschub geben für Forschung und Entwicklung, so Gößl. Man brauche überhaupt den Geist, industrielle Wertschöpfung in Deutschland zu halten. Aktuell hätten die Industriebranchen in Deutschland das Zutrauen in die Bundesregierung verloren.

Im Video: Deindustrialisierung in Deutschland beschleunigt sich

Die Chemieindustrie leidet besonders unter den hohen Energiekosten.
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Die Chemieindustrie leidet besonders unter den hohen Energiekosten.

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