Die Hüllen entschärfter Mini-Bomben aus einer Rakete vom Typ MLRS-M26.
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Streumunition (Symbolbild): Das Trägersystem ist eine Rakete, eine Bombe oder eine Artilleriegranate. Ihr Inhalt: bis zu hunderte Bomblets.

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Streumunition für die Ukraine: Ist das richtig?

Die USA haben der Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland Streubomben geliefert. Allerdings: Streumunition ist international geächtet. Ist es dennoch richtig, dass die Ukraine Streumunition bekommt? Possoch klärt!

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Februar 2023, Münchner Sicherheitskonferenz: Der ukrainische Vizeregierungschef Olexander Kubrakow fordert die Lieferung von Streumunition für sein von Russland angegriffenes Land, zur Verteidigung. Die Aufregung war groß, Deutschland hatte direkt gesagt, dass es das nicht tue. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machte klar: "Wir liefern Artillerie und andere Arten von Waffen, aber keine Streubomben."

Jetzt haben die USA dennoch Streumunition an die Ukraine geliefert. Gerechtfertigt oder ein Fehler? Rafael Loss, Sicherheitsexperte vom European Council on Foreign Relations, eine Denkfabrik mit dem Fokus Außen- und Sicherheitspolitik, sieht im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" Streumunition ebenfalls kritisch: "Streubomben mit all ihren Konsequenzen sind kein Mittel erster Wahl irgendeines militärischen Kombattanten." Allerdings betont er: "Streubomben sind sicherlich im aktuellen Kontext, mit dem sich die Ukrainer konfrontiert sieht, das geringere Übel."

Wie funktionieren Streubomben?

Streumunition kann sowohl aus der Luft als auch vom Boden abgefeuert werden. Sie besteht aus zwei Teilen: Das Trägersystem ist entweder eine Rakete, eine Bombe oder eine Artilleriegranate. Kurz vor ihrem Ziel zerbricht diese noch in der Luft und gibt ihren Inhalt frei: Submunition, sogenannte Bomblets. Das können hunderte sein.

Diese Submunition verteilt sich vor dem Einschlag über eine große Fläche von etwa bis zu vier Fußballfeldern. Sie wird deshalb zum Beispiel gegen Fahrzeug-Konvois, Truppenansammlungen oder auch Landebahnen eingesetzt. Die Bomblets explodieren beim Aufprall. Ihre Metallteile können Fahrzeuge durchschlagen, Menschen und Tiere töten oder schwer verletzen.

Was macht Streumunition gefährlich?

Ein Teil der Submunition, also der Mini-Bomben, explodiert oftmals nicht und bleibt als Blindgänger im Boden stecken, so als wäre das gesamte Gebiet vermint. Auch nach Kriegsende können diese Blindgänger explodieren. Oft trifft es dann Kinder, weil sie Streubomben mit Spielzeug verwechseln. Auch Bauern werden Opfer, wenn sie bei der Feldarbeit auf Blindgänger stoßen. Wenn Menschen überleben, erleiden sie oft Verstümmelungen, Verbrennungen, oder erblinden.

Seit 2010 gilt die Convention on Cluster Munitions, das Übereinkommen gegen Streumunition. Alle Staaten, die daran teilnehmen, verpflichten sich, "unter keinen Umständen jemals Streumunition einzusetzen, zu entwickeln, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu lagern, zurückzubehalten oder an irgendjemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben".

111 Staaten haben diesen Vertrag bislang ratifiziert, dazu zählt auch Deutschland. 74 Länder haben das bisher nicht getan. Das sind unter anderem die Ukraine, Russland und die USA.

Im Video: Streubomben - Soll die Ukraine gegen Russland Streumunition bekommen? Possoch klärt!

Warum will die Ukraine Streumunition?

Für die Ukraine kann Streumunition im Zuge ihrer Gegenoffensive nützlich sein, erklärt Rafael Loss: Die russischen Truppen haben Verteidigungslinien mit kilometerlangen Schützengräben, gepaart mit Panzerfallen, Minen, Drachenzähnen gegen Panzer und Stacheldraht aufgebaut. Diese Verteidigungslinien konnten die ukrainischen Truppen bisher nicht durchbrechen, was sich mit Hilfe von Streubomben aber nun ändern könnte.

"Wenn man jetzt eine konventionelle Artilleriegranate hernimmt und versucht, solche Befestigungen zu bekämpfen und die Granate in einem Graben einschlägt, dann hat die nur eine sehr begrenzte Sprengwirkung. Wenn man das vergleicht mit dem Einsatz einer Streumunition, dann kann eine viel größere Fläche von Grabensystemen bekämpft werden. Man braucht also weniger Munition, was wiederum das Haushalten für die Ukraine mit der eigenen Artilleriemunition und den eigenen Artilleriesystemen vereinfacht", so Loss‘ Analyse.

Viel Kritik an US-Lieferung von Streumunition an die Ukraine

Weltweit gab es viel Kritik an der Entscheidung der USA, Streubomben zu liefern. Laut Amnesty International stellt Streumunition eine große Bedrohung für das zivile Leben dar, selbst lange nach dem Ende eines Konflikts. Eine Lieferung und ein Einsatz durch egal welches Land ist unser allen Umständen unvereinbar mit internationalem Recht.

Das US-Militär betont jedoch, dass die Blindgängerquote ihrer Streumunition sehr niedrig sei. Während es bei russischer Streumunition eine sogenannte "Dud Rate" von bis zu 30 Prozent gebe, liege diese bei den modernen US-Varianten unter drei Prozent.

Streubomben für die Ukraine, um Waffengleichheit herzustellen?

Ein weiteres Argument: Russland setze auch bereits Streumunition im Krieg gegen die Ukraine ein, internationale Organisationen klagen Russland sogar an, sie gegen die ukrainische Zivilbevölkerung eingesetzt zu haben. Die Beweislage ist hier bislang nicht offiziell geklärt. Doch: Rechtfertigt der Einsatz dieser geächteten Waffen auf der einen Seite den Einsatz auf der anderen?

"Nach allem, was ich mir von den Kampfhandlungen in der Ukraine anschaue, versucht die Ukraine systematisch, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Andersherum muss man Russland den Vorwurf machen, systematisch Kriegsverbrechen innerhalb eines verbrecherischen Krieges zu begehen und dafür auch Streumunition einzusetzen", argumentiert in diesem Zusammenhang Sicherheitsexperte Loss.

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