Populisten an der Macht: ja, und?! | Possoch klärt | BR24
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Populisten an der Macht: Analysen aus vier Ländern

Was passiert eigentlich in einem Land, das von Populisten regiert wird? Unsere Korrespondenten berichten aus Florida, Polen, Ungarn und Italien - und zeigen Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Possoch klärt!

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Populisten an der Macht: Wie verändern sie das politische System, die Kultur und die Gesellschaft? Die ARD-Korrespondenten Ralf Borchard, Sophie Rebmann, Wolfgang Vichtl und Rüdiger Kronthaler analysieren die Situation in Florida, Polen, Ungarn und Italien.

USA: Der Macher aus Florida 

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat in der Vergangenheit häufig mit populistischer Rhetorik provoziert. Erst diese Woche wurde er unter anderem wegen des Sturms seiner Anhänger auf das Kapitol in Washington angeklagt. Ein Gericht wird entscheiden müssen, ob der Ex-US-Präsident für diese Attacke eine Mitschuld trägt. Trump indes spricht von einer Kampagne der Regierung und plant, 2024 noch einmal als Präsidentschaftskandidat der Republikaner anzutreten.

Doch er hat Konkurrenz: Auch der Republikaner Ron DeSantis hat sich entschieden anzutreten. DeSantis ist Gouverneur im US-Bundesstaat Florida und wurde erst im vergangenen November mit 57 Prozent der Stimmen wiedergewählt. In Florida, so berichtet Ralf Borchard aus dem ARD-Studio Washington D.C., ist Ron DeSantis populär: Er gelte als Macher, der sich etwa bei den Aufräumarbeiten nach dem Hurrikan "Ian" engagiert, aber auch mit seinen Positionen in der Corona-Pandemie Anklang gefunden habe. DeSantis habe sich gegen die Corona-Schutzimpfung, die Maskenpflicht und Schulschließungen ausgesprochen.

DeSantis: "Anti-Woke" als Strategie

DeSantis schafft es jedoch nicht, seine Popularität im US-Bundesstaat Florida auf den US-Wahlkampf umzumünzen. "Er versucht jetzt, sozusagen 'Trump-Light' zu sein, Trump ohne das entsprechende Chaos. Seine Positionen sind eher noch weiter rechts als die Trumps," sagt Ralf Borchard. Der Republikaner DeSantis setzte vor allem auf eine "Anti-Woke"-Strategie: "Woke, das ist aus Sicht der Konservativen eine übertriebene Betonung von Minderheitenrechten der politischen Linken", erläutert Borchard.

In Florida hat DeSantis bereits restriktive Gesetze im Bildungswesen erlassen. An Schulen sollen unter anderem Themen wie die Rechte von Afroamerikanern, sexuelle Aufklärung sowie die Rechte Homosexueller nur noch eingeschränkt behandelt werden dürfen. Bei einer bestimmten Bevölkerungsschicht kommen diese Themen auch an, sagt Borchard. Dieser Rückhalt in seinem Bundesstaat ebnet DeSantis derzeit aber nicht unmittelbar den Weg ins Weiße Haus: " 'To out-trump Trump', wie hier Politikwissenschaftler sagen, also Trump mit seinen eigenen Mitteln schlagen zu wollen, das funktioniert nicht. Da bleiben die Leute eher beim Original." 

Im Video: Populisten an der Macht: Ja, und?! Possoch klärt!

Polen: Das Problem der Rechtsstaatlichkeit 

In Polen hält die rechtspopulistische Partei PiS (deutsch: Recht und Gerechtigkeit) seit Oktober 2015 in beiden Kammern des polnischen Parlaments die absolute Mehrheit. Seitdem habe sich in dem Land viel verändert, berichtet Sophie Rebmann aus dem ARD-Studio Warschau: "Die PiS hat zum Beispiel die sogenannte Justizreform verabschiedet, mit der sie die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht hat. Infolgedessen ist zum Beispiel das polnische Verfassungsgericht seit Monaten gelähmt."

Auch auf die Kultur und die Pressefreit hat die PiS massiven Einfluss genommen. Intendanten und Direktoren von Museen und Theatern wurden ausgetauscht, sagt Rebmann: "Genau das gleiche ist auch im polnischen Rundfunk passiert: Das polnische öffentliche Fernsehen und Radio klingen jetzt wie ein Sprachrohr der PiS." Die Frage sei, ob sich das wieder zurückdrehen lasse, selbst wenn eine neue Regierung gewählt würde, "weil die Urteile von diesen Gerichten ja jetzt erst einmal bestehen und sich dann die Frage stellt: Muss man die wieder zurücknehmen - oder nicht?"

Politische Stimmung in Polen: Hass und Verunsicherung 

Seit die PiS an der Macht ist, "ist der Hass gegen Minderheiten gewachsen", beobachtet die ARD-Korrespondentin: Die PiS habe gegen Flüchtlinge, gegen Deutsche und gegen die LGBTQ-Community gehetzt: "Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Menschen aus dieser Community." Zudem sei durch den Populismus eine wachsende Verunsicherung im Land zu beobachten: "Die Unzufriedenheit der Menschen ist groß: 50 Prozent der Menschen in Polen sagen, dass sie die Politik der aktuellen Regierung miserabel finden", berichtet Rebmann.

Insbesondere die Jugend sei unzufrieden: 40 Prozent der jungen Menschen sind in Polen bei der letzten Wahl nicht zur Wahl gegangen, weil sie sich einer Studie zufolge durch die politischen Entscheidungsträger oder die Spitzenpolitiker der Oppositionsparteien nicht repräsentiert fühlen. Denn nicht nur die PiS greift laut Rebmann zu Populismus, sondern auch die größte Oppositionspartei.

Ungarn: Rückbau der Demokratie unter Orbán 

Auch in Ungarn ist die politische Stimmung gespalten. Während Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán sich seit Jahren mithilfe von Dekreten und Notverordnungen mehr Regierungsfreiheiten im Inneren einräumt, ist das Land nach wie vor Mitglied in der Europäischen Union und der Nato. Sowohl Orbán als auch vielen Menschen in Ungarn sei die Mitgliedschaft in der EU wichtig, beobachtet Wolfgang Vichtl aus dem ARD-Studio Südosteuropa.

Orbán baue Ungarn um in eine 'Illiberale Demokratie', wie er es selbst nennt, "das heißt, er hat Wahlkreise so zugeschnitten, dass die größeren Parteien, sprich: seine Partei, die Fidesz-Partei, erhebliche Vorteile hat. Kleinere Parteien haben praktisch gar keine Chance. Er hat die Opposition, soweit es sie gibt, weitgehend mundtot gemacht. Die Medien, Presse, Online-Portale sind fest in der Hand von Orbán-Freunden," erklärt Vichtl den Rückbau der Demokratie Ungarns.

Dabei bediene Orbán sehr geschickt den Nationalstolz der Ungarn, pflege Feindbilder wie etwa Flüchtlinge und bedient das christliche Familienbild. Gleichzeitig spiele Ungarns Ministerpräsident damit, dass er Firmen und somit Arbeitsplätze bei Audi, BMW, Mercedes nach Ungarn geholt habe und gibt somit "den wirtschaftlich erfolgreichen Führer, der die Demokratie dann aushöhlt", analysiert Vichtl.

Italien: Schon immer politisch gespalten zwischen links und rechts 

Mit der Rechtspopulistin Giorgia Meloni hat die italienische Regierung seit den letzten Parlamentswahlen im Oktober 2022 eine neue Regierungschefin. Wie hat sich die politische Kultur und Stimmung in dem Land in den vergangenen Monaten verändert? "Italien war politisch schon immer relativ gespalten zwischen links und rechts, aber diese Spaltung hat sich nochmal vertieft, seit Meloni an der Macht ist", beobachtet Rüdiger Kronthaler, ARD-Studio Rom.

Zwar sei der befürchtete "ganz laute Knall" bislang ausgeblieben, doch es sei gesellschaftlich dennoch wahrnehmbar, dass auf der obersten politischen Bühne Politikerinnen und Politiker stehen, die keine liberale Haltung haben.

Italien: Minderheiten gesetzlich benachteiligt

Italien ist - ebenso wie Ungarn - Mitglied der EU und der Nato, arbeitet international weiterhin in den Staatenverbünden. Im Inland hingegen gab es bereits Veränderungen: "Zum Beispiel beim Thema zivile Seenotrettung," beobachtet Kronthaler, "dagegen ist Meloni relativ rasch vorgegangen, hat sie ganz stark eingeschränkt und mit schikanösen Gesetzen sozusagen ausgebremst".

Während diese Veränderungen kaum zu Protesten in Italien geführt hätten, brachte der Umgang der neuen italienischen Regierung mit gleichgeschlechtlichen Paaren mehr Debatten mit sich: "In Italien sind gleichgeschlechtliche Paare nicht mehr gleichberechtigt bezüglich ihrer Kinder", erklärt der ARD-Korrespondent. Es entstehe der Eindruck, so Kronthaler weiter, dass die Klientel von Meloni diese Politik von ihr erwartet habe oder sie zumindest toleriere, solange die internationalen Beziehungen stabil blieben.

Meloni schafft den Spagat und sorgt für Zuspruch

Eigentlich sei die Politikverdrossenheit in Italien grundsätzlich relativ groß, dennoch beobachtet der Rom-Korrespondent, dass die Menschen in Italien überwiegend zufrieden zu sein scheinen mit ihrer neuen Ministerpräsidentin: "Ihr gelingt es ganz gut, sowohl ihre Stammklientel bei Laune zu halten, also die rechtsextremen Stimmungen zu bedienen, und gleichzeitig aber auch in der politischen Mitte salonfähig zu sein und auch deren Themen aufzugreifen und für Kontinuität zu sorgen." Auch, dass Meloni sich kaum der Presse oder kritischen Fragen stelle, werde ihr teilweise zugutegehalten, so Kronthaler. Auch viele aus dem bürgerlichen Milieu würden sie eher positiv sehen.

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