Donald Trump, Viktor Orbán, Giorgia Meloni
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Donald Trump, Viktor Orbán, Giorgia Meloni: drei Politiker, die als Populisten gelten

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Populismus: "Volksparteien mit Repräsentationslücke"

Populisten an der Macht: In Italien, Ungarn, Polen ist das der Fall. Das pauschale Urteil: Das ist der Untergang. Aber stimmt das wirklich? Ein Experten-Gespräch über Ursachen und Folgen des Populismus.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Giorgia Meloni, Viktor Orbán, Donald Trump: Sie gelten als Populisten, behaupten für sich, im Namen des Volkes zu sprechen und zu regieren. In Italien gilt Meloni als beliebt, in Ungarn beklagen Beobachter eine Aushöhlung der Demokratie, Trump muss sich jetzt im Zusammenhang mit dem Sturm seiner Anhänger auf das US-Kapitol vor Gericht verantworten.

Populismus an der Macht – welche Folgen hat das? Für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) hat BR24 mit dem Populismus-Forscher Philipp Adorf vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn gesprochen.

BR24: Was für ein Bild von Staat, von Gesellschaft, von Demokratie haben Populisten?

Philipp Adorf: Populisten sehen die Gesellschaft eigentlich als sehr homogen an. Das heißt, das Volk hat einen Willen, und dieser Volkswille habe über allem zu stehen. Er soll nicht eingeschränkt werden von anderen Institutionen. Er soll nicht eingeschränkt werden von der Judikative beispielsweise, und das ist eben das problematische und potenziell antidemokratische Element, weil in einer liberalen Demokratie Kontrollmechanismen notwendig sind.

Demokratie sollte nicht bedeuten, dass zwei Wölfe und ein Schaf entscheiden, was es zu essen gibt, sondern Demokratie bedeutet auch immer, dass es einen gewissen Minderheitenschutz gibt. Und den lehnen Populisten mit ihrer majoritären Interpretation der Demokratie ab, in der eben der Volkswillen über allem zu stehen hat.

"Gefahr des Populismus in Teilen überschätzt"

BR24: Eine Gefahr also für die Demokratie. Was meinen Sie, wird diese Gefahr eher über- oder unterschätzt?

Adorf: Ich glaube schon, dass die Gefahr in Teilen überschätzt wird. Wenn Populisten an der Macht teilhaben, als Junior-Koalitionspartner, sieht man zumeist, dass eine Abschwächung oder ein Niedergang der Demokratiequalität überschaubar ist. Problematisch ist es eben, wenn Populisten die Instrumente des Staates wirklich für sich nutzen können, wie wir das im osteuropäischen Raum sehen, wie wir das teilweise auch bei Donald Trump gesehen haben.

Aber zumindest im mitteleuropäischen Kontext haben wir gesehen, dass Populisten dann auch akzeptieren, wenn sie abgewählt wurden. Deswegen, glaube ich, muss man sich jetzt keine Sorgen machen, dass eine populistische Regierung oder eine populistische Partei, die Teil einer Regierung wird, sofort innerhalb von drei bis vier Jahren die Demokratie zerstören wird.

Im Video: Populisten an der Macht - Wo ist das Problem? Possoch klärt!

"Demokratisierung wird zurückgebaut"

BR24: Was haben Populisten erreicht, wenn sie an der Macht waren?

Adorf: Ich glaube, die Vereinigten Staaten unter Donald Trump und Ungarn unter Orbán sind hier die besten Beispiele. Trump, der eine Wahl nicht anerkennen wollte, der aktiv versucht hat, ein Wahlergebnis annullieren zu lassen. Und mit Ungarn haben wir hier einen Staat, der ja gerade zu Anfang der Demokratisierung in Osteuropa sehr weit vorne war und der jetzt in den letzten Jahrzehnten zurückgebaut wurde, mit Einschränkungen für das System der Checks and Balances, mit Einschränkungen für die Opposition.

BR24: Was ist eigentlich der Kern des Populismus?

Adorf: Der Populismus sieht ganz grundlegend die zentrale Konfliktlinie in der Gesellschaft, nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen Volk und Elite. Und er sieht sich dabei auf der Seite des Volkes, während alle anderen Parteien auf der Seite der Elite stehen. Populisten argumentieren, dass die Politik immer den Volkswillen widerspiegeln soll.

BR24: Das klingt jetzt nicht allzu problematisch ...

Adorf: Für den Populisten steht der politische Gegner auf der Seite der Elite und versucht dementsprechend, die Umsetzung des Volkswillens zu verhindern. Und die Logik oder die Schlussfolgerung, die man als Populist dann zumeist zieht, ist, dass dementsprechend alles getan werden muss, um eine Machtübernahme oder einen Machterhalt der Gegner zu verhindern. Man selbst ist der einzige Repräsentant des Volkes, und dementsprechend kann eben der Volkswille nur umgesetzt werden, wenn man selbst an der Macht bleibt.

Die Sichtweise der Populisten ist: Wenn ich verliere, dann verliert das Volk ebenso. Wenn meine Macht eingeschränkt wird, dann wird die Macht des Volkes eingeschränkt und daraus resultieren dann eben gewisse antidemokratische Tendenzen in den meisten populistischen Bewegungen.

Populismus: Stilmittel oder Ideologie?

BR24: Jeder Politiker, der die Phrase "Die da oben" verwendet, ist demnach Populist?

Adorf: Man kann schon sagen, dass die meisten Politiker zu verschiedenen Zeitpunkten mal populistische Stilmittel oder eine populistische Rhetorik anwenden. Das ist ganz normal. Der große Unterschied aber zwischen der Anwendung einzelner populistischer Stilmittel und einer echten populistischen Politik ist eben die Frage: Wie wird der politische Gegner betrachtet?

Es ist ein Unterschied, ob man manchmal sagt: "Wir brauchen mehr Einfluss des Volkes!" oder "Das politische System muss reformiert werden!" Oder ob man sagt: "Der politische Gegner ist illegitim, der politische Gegner kämpft gegen den Volkswillen!" Da sind dann schon die Differenzen zwischen der Nutzung von einzelnen populistischen Stilmitteln und einer echten populistischen Ideologie.

Im Audio: Populismus-Forscher Philipp Adorf vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn

Populismus-Forscher Philipp Adorf vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn
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Populismus-Forscher Philipp Adorf vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn

Erfolgreicher Populismus färbt auf andere Parteien ab

BR24: Gewöhnen wir uns an Populismus?

Adorf: Populisten leben davon, die gesellschaftliche Polarisierung zu verstärken, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Ansichten, Argumente oder Kommentare, die vielleicht vor Jahren noch inakzeptabel waren, werden verbreitet und finden dann auch eine größere Anerkennung oder werden zu einer gewissen Normalität.

Wir haben das auch in den Vereinigten Staaten gesehen. Dass Donald Trump versucht, die Wahl nicht anzuerkennen, wurde dann zu einem gewissen Vorbild für andere Mitglieder der Republikanischen Partei, die danach auch angefangen haben, Wahlergebnisse infrage zu stellen. Generell bei der republikanischen Wählerschaft in den USA sehen wir, dass Joe Biden weiterhin als illegitimer Präsident gesehen wird.

Das heißt, populistische Parteien sind schon in der Lage, die Diskussion in eine gewisse Bahn zu lenken. Und die Frage ist dann eben immer: Wie reagieren andere Parteien darauf? Übernehmen sie die Positionen der Populisten? Normalisieren sie damit diese Positionen? Oder argumentieren sie eher für ihre klassischen Positionen, für die Beibehaltung einer offenen Gesellschaft, für die Beibehaltung von vielleicht eher liberalen Einwanderungsregeln? Wir sehen schon, dass Populisten durch ihre dauerhaften Erfolge dazu beitragen, dass sich natürlich auch andere Parteien im Parteiensystem adjustieren und gewisse Narrative übernehmen.

"Repräsentationslücken stärken populistische Parteien"

BR24: Warum werden Populisten an die Macht gewählt?

Adorf: Wir sehen eine gewisse Konvergenz der Volksparteien bei verschiedenen Themen, insbesondere bei wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das heißt, dort sind zumeist die sozialdemokratischen und die konservativen Parteien nicht nur in Deutschland aufeinander zugegangen. All das hat zwei Dinge zur Folge gehabt: Erstmal hat es die Aufmerksamkeit gerade auf gesellschaftspolitische Themen gelenkt. Wenn bei wirtschaftspolitischen Themen die Differenzen geringer sind, dann finden die Diskussion eben in anderen Ebenen oder anderen Bereichen statt.

Und das ist ein Themenbereich, bei dem Rechtspopulisten traditionell stärker sind. Dazu kommt, dass die meisten Mitte-Rechts-Parteien auch bei diesen gesellschaftspolitischen Fragen Standpunkte aufgegeben haben. Das heißt, sie haben sich auch gemäßigt oder sind zur Mitte gegangen, und das hat dazu geführt, dass sich sogenannte Repräsentationslücken aufgetan haben, insbesondere beim Thema Migration.

Das heißt, es sind gewisse programmatische Positionen aufgegeben worden, die aber in der Bevölkerung weiterhin fortbestehen. Migration ist das Kernthema der Rechtspopulisten. Es ist ein Thema, bei dem sie auch gemeinhin als am kompetentesten gesehen werden. Das heißt, wenn Migration ganz oben auf der politischen Agenda steht, mit den damit verbundenen Themen wie Identität, das Selbstbild einer Nation, dann haben Populisten zumeist Erfolge.

"Es gibt keine Blaupausen"

BR24: Wäre die Union also konservativer und die SPD linker, gäbe es bei uns keinen Populismus?

Adorf: Wenn gewisse Felder wieder besetzt werden würden, könnte dies durchaus dazu beitragen. Wir sehen, dass beispielsweise in Österreich, als 2017 Sebastian Kurz die ÖVP nach rechts bewegt hat beim Thema Migration, dass die ÖVP zehn Prozentpunkte hinzugewinnen konnte, die FPÖ hat zehn Prozentpunkte verloren.

In Dänemark ist der interessante Fall, dass sich dort die Sozialdemokraten beim Thema Migration nach rechts bewegt haben und dort Wählerinnen und Wähler der Dänischen Volkspartei, der dortigen rechtspopulistischen Partei, für sich gewinnen konnten.

Also, eine stärkere Polarisierung zwischen den Volksparteien könnte ein gutes Mittel sein, um populistischen Parteien sowohl auf der Linken als auch auf der rechten Seite ein wenig den Sauerstoff zu entziehen. Aber man muss auch sagen: Es gibt keine wirklichen Blaupausen für den Erfolg oder für den Versuch, Populisten zu schwächen.

Man kann schon versuchen, Repräsentationslücken, die für populistische Erfolge verantwortlich sind, zu füllen. Aber das ist auch immer eine strategische Frage bei den Parteien: Wenn die CDU sich nach rechts bewegen und mehr Wähler in der Mitte verlieren, als rechts dazugewinnen würde, dann wird man natürlich so einen Kurs nicht umsetzen, wenn man das Gefühl hat, man wird dann schlussendlich schlechter dastehen.

Rechtspopulismus und Linkspopulismus – ein Unterschied?

BR24: Wie sieht das Verhältnis von Rechtspopulismus und Linkspopulismus aus, was sind da die Unterschiede?

Adorf: Bezüglich des Linkspopulismus ist der große Unterschied zum Rechtspopulismus die Interpretation des Volkes oder wie das Volk dargestellt wird. Da kann man schon sagen, dass der Linkspopulismus demokratisch etwas weniger problematisch ist. Man spricht auch in der Wissenschaft von einem inklusiven Populismus, das ist der linke Populismus, und einem exklusiven Populismus, also einem ausschließenden Populismus, das wäre der Rechtspopulismus.

Das heißt, Linkspopulisten interpretieren, wenn es um das Volk geht, eigentlich alle Teile der Bevölkerung. Bei Rechtspopulisten werden bestimmte Minderheiten nicht als Teil des Volks betrachtet. Das ist natürlich schon eine sehr problematische Sichtweise mit Blick auf die Demokratie, wenn man sagt: "Ihr seid nicht wirklich Teil des Volkes, ihr mögt vielleicht offiziell einen deutschen Pass haben, aber eure Ansichten zählen eigentlich nicht wirklich, weil ihr nicht einheimisch seid." Das ist das zentrale antidemokratische Element des Rechtspopulismus. Das sehen wir bei Linkspopulisten so nicht.

Man muss aber sagen, dass auch beispielsweise in Lateinamerika Linkspopulisten antidemokratische Schritte umgesetzt haben, wenn man an Hugo Chávez oder sein Nachfolger Maduro denkt. Der Grund dahinter ist die Grundlogik des Populismus. Das heißt, auch Linkspopulisten vertreten die Ansicht, sie seien die einzigen Vertreter des Volkes und sie kämpften gegen eine Elite. Das ist in diesem Fall dann hauptsächlich die Finanzelite oder eine internationale Elite wie die Vereinigten Staaten. Das heißt, man muss entsprechend der populistischen Logik dann auch alles Erdenkliche tun, um die Feinde des Volkes von der Macht fernzuhalten, sodass auch linkspopulistische Alleinregierungen durchaus keine gute Bilanz haben, wenn es um die Demokratiequalität geht.

"Woke" gegen "Anti-Woke"?

BR24: Man sagt: Die USA seien uns fünf bis zehn Jahre voraus, was gesellschaftliche Entwicklungen angeht. Werden wir in Deutschland dann auch in ein paar Jahren so einen ausgeprägten Kulturkampf erleben, "woke" gegen "anti-woke"?

Adorf: Ich glaube, was man in den USA ganz klar erkennen kann, ist auch diese zentrale Relevanz der sich verändernden Gesellschaft, der diverser werdenden Gesellschaft. Und das ist etwas, was die Wähler von Donald Trump angetrieben hat: Nicht unbedingt nur die Frage "woke" und Linksliberalismus, sondern es ist wirklich die Sorge darüber, wie der eigenen Status in der Gesellschaft ausschauen wird, wenn die Gesellschaft ethnisch erheblich diverser wird.

Das sind Entwicklungen, in denen mittel- und westeuropäische Staaten noch etwas weiter zurück sind. Aber ich glaube auch, dass das Thema Einwanderung, dass das Thema nationale Identität, so wie es jetzt in den USA schon eine zentrale Konfliktlinie darstellt zwischen den beiden Parteien, auch in Europa gesellschaftlich erheblich relevanter sein wird. Und das ist eigentlich für Rechtspopulisten von Vorteil, weil Migration ist ihr Kernthema. Es ist zu erwarten, dass sie dieses Thema weiterhin für sich nutzen können und es vielleicht sogar noch mit größerem Erfolg für sich nutzen können werden.

BR24: Danke für das Gespräch.

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