Besucher hält Ticket in die Höhe vor dem Festspielhaus
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Nicht mehr so begehrt: Karte für Bayreuth

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"Bin mit Sorge gekommen": Kartenkrise in Bayreuth

Der Andrang auf dem Grünen Hügel lässt deutlich nach: Hohe Preise, schlechte Inszenierungen und vor allem die fehlende touristische Infrastruktur lassen finanzkräftige Wagner-Fans zögern. Selbst die treuesten "Pilger" hadern mit den Festspielen.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Nicht nur der Bass-Sänger und Bayreuth-Star Georg Zeppenfeld reiste in dieser Saison mit äußerst gemischten Gefühlen zum Grünen Hügel in Oberfranken: Er wird als Gurnemanz eine tragende Rolle in der diesjährigen Neuproduktion "Parsifal" übernehmen, eine Inszenierung des Amerikaners Jay Scheib, der mit Augmented-Reality-Effekten arbeiten, also computergestützte digitale Welten schaffen will. Deshalb werden 330 der insgesamt knapp 2.000 Zuschauer eine entsprechende Brille auf der Nase haben. Um das gesamte Publikum technisch aufzurüsten, reichte das Geld nicht.

Augmented-Reality: Traditionalisten skeptisch

Wagner-Traditionalisten zeigten sich im Vorfeld äußerst skeptisch, was das Experiment betrifft. In der "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth", also unter den treuesten Wagner-Pilgern, hielt sich die Begeisterung sehr in Grenzen, auch was die Zusatzkosten betrifft.

Sänger Georg Zeppenfeld, der derzeit auf dem Grünen Hügel probt, konnte sich und andere allerdings im Gespräch mit dem BR beruhigen: "Ich bin mit der Sorge hergekommen, dass wir auf der Bühne nur arrangiert werden, um irgendwelche Zuspielungen oder visuelle Effekte nicht zu stören oder denen nicht im Weg zu stehen. Nach dem Motto: Geh mal nach links, damit man da ein Bild von irgendwas sehen kann. Das hat aber alles nicht stattgefunden, wir machen eine richtige Inszenierung. Das Stück findet auf der Bühne statt. Also die ungefähr 1.600 Zuschauer, die keine Brille haben, werden eine richtige 'Parsifal'-Inszenierung erleben."

Tickets zu teuer für jüngere Zuschauer

Der "Parsifal" ist als Neuproduktion ungeachtet der verbreiteten Bedenken wegen "Augmented Reality" ausverkauft, auch der populäre "Tannhäuser" und "Tristan und Isolde" füllen den Saal. Dagegen gilt der aktuelle "Ring des Nibelungen" als Kassengift. Die Ampel im Ticketshop steht auf "gelb", was bedeutet, dass noch Karten zu haben sind: Der Vierteiler wurde im vergangenen Jahr heftig verrissen. Auch der "Fliegende Holländer" stieß auf ein äußerst geteiltes Echo und ist daher nicht ausverkauft.

Das Problem der Festspielleitung: Katharina Wagner gilt als Fan von Regie-Wagnissen, doch für diejenigen, die solche Experimente ebenfalls schätzen, nämlich die jüngeren Zuschauer, sind die Tickets zu teuer. Unter 250 bis 300 Euro sind einigermaßen gute Plätze nicht zu bekommen, für die besten Reihen sind bis zu 460 Euro hinzublättern. Die Reise- und Hotelkosten gehen natürlich extra. Das bedeutet: Für den "Ring" werden pro Person locker 2.000 Euro fällig - zu viel Geld, nur um den "Mythos" Bayreuth zu genießen, finden immer mehr Wagner-Fans.

Im Bild: Alten Zeiten - 2010 zelteten Wagner-Fans vor dem Kartenbüro

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Alte Zeiten: Wagner-Fans im Jahr 2010

Internationale Gäste, vor allem die aus Übersee, schätzen ohnehin eine ausgesprochen traditionelle Bildsprache und zeigen sich nicht selten entsetzt über das, was sie in Bayreuth zu sehen bekommen. Das bezieht sich nicht nur auf die Inszenierungen: Die Stadt hat weder Luxushotels zu bieten, noch Spitzengastronomie oder Shopping-Erlebnisse, die es mit Salzburg oder München aufnehmen könnten. Die Bayreuther Pausen-Gastronomie galt wegen des rustikalen Angebots mal als "Kult", ist jedoch räumlich aus der Zeit gefallen: Der Sanierungsstau ist unübersehbar. Der Bahnhof hat nicht mal ICE-Anschluss, bis zum nächst gelegenen Drehkreuz Flughafen München ist man ein paar Auto-Stunden unterwegs.

In Asien werden Wagner-Opern gekürzt

Die Zeiten, in denen die Reise nach Bayreuth noch als "Wallfahrt" betrachtet wurde, sind längst vorbei: Die "Pilger", die alle Texte mitmurmeln, alle Sänger kennen und jedes neue Wagner-Buch gelesen haben, sind im Vergleich zu früher dünn gesät. Das moderne Publikum ist immer mehr Event- und Lifestyle-orientiert und will seine Festspieltage mit standesgemäßem Rahmenprogramm verbringen. Das ist in Salzburg ohne Weiteres möglich, weshalb dort auch die ähnlich hohen Kartenpreise kein Problem sind. Außerdem gibt es dort keine "Wagner-Monokultur". Vorstellungen, die sechs Stunden Zeit in Anspruch nehmen, sind in Asien undenkbar. Bei Wagner-Gastspielen wird daher erheblich gekürzt, was hierzulande natürlich als "Sakrileg" gelten würde.

Verschärft wird die Kartenkrise in Bayreuth durch massive Konflikte hinter den Kulissen und ungelöste Organisationsprobleme. So bedauerte Katharina Wagner gegenüber dem BR, dass sie nicht mal eine Marketing-Abteilung habe. Sie will auch nur weitermachen, wenn die Verwaltung durchgreifend reformiert wird. Das wird Geld kosten und dauern. Im Herbst müssen sich die Verantwortlichen untereinander verständigen, ob sie Wagners Vertrag verlängern und ihre Forderungen erfüllen wollen. Kritiker hat die Festspielleiterin viele: So werfen ihr nicht wenige "Freunde" vor, dass sie Christian Thielemann vergrault habe, einen der besten Wagner-Dirigenten der Gegenwart, der bis Ende 2020 "Musikdirektor" auf dem Hügel war. Er gilt wegen seines ausgesprochenen Selbstbewusstseins im Umgang jedoch als "schwierig".

Bei den "Freunden" ist der Frust ist groß

Katharina Wagner lege zu wenig Wert auf musikalische Qualität und sei zu sehr an Regie-Experimenten interessiert, lautet der Haupteinwand ihrer Gegner, die in Hintergrundgesprächen darüber klagen, dass die Karten immer schwerer abzusetzen seien. So war die "Gesellschaft der Freunde von Bayreuth" jahrzehntelang ein treuer Vertriebspartner, doch dort ist der Frust bei vielen, wenn auch nicht allen, groß. Letztlich werden die Bayreuther Festspiele gerade in jeder Hinsicht "entzaubert" und die "Kartenkrise" wurde erstmals öffentlich wahrnehmbar.

Tatsächlich ist es schon seit Jahren schwer, die "Scheune" auf dem Grünen Hügel zu füllen. Dazu trägt auch bei, dass dieselben Sänger, die in Bayreuth auftreten, auch in Städten wie Berlin, München, Hamburg oder Dresden engagiert werden. Sogar in Landshut und Passau gab es kürzlich einen "Ring", die künstlerische Konkurrenz wird also immer schärfer. Manche Kritiker beklagen schon einen "Wagner-Overkill".

Kein Regisseur ist zuverlässig "genial"

Ebenfalls nachteilig: Die vielen kurzfristigen Absagen von Stars, aus unterschiedlichen Gründen. In dieser Saison musste kurzfristig US-Tenor Stephen Gould aus gesundheitlichen Gründen passen. Er sollte die Heldenpartien Tannhäuser, Tristan und Siegfried stemmen. Zuvor hatte der Sänger John Lundgren aus "persönlichen Gründen" abgesagt. Er war als "Holländer" vorgesehen. 2019 hatte Diva Anna Netrebko wenige Tage vor ihrem Einsatz als "Elsa" im "Lohengrin" erschöpfungsbedingt storniert. Das gab jedes Mal negative Schlagzeilen für die Festspiele, mit daran anschließenden Spekulationen.

Leichter dürfte es nicht werden, die Tickets loszuwerden: Wenn der vierteilige und schwer zu vermarktende "Ring" gerade nicht auf dem Spielplan steht, müssen zwangsläufig deutlich mehr Karten für Einzelwerke abgesetzt werden. Flops ziehen die Festspiele immer gleich mächtig nach unten, denn sie bieten ja nur eine Premiere pro Saison, und das jeweilige Musikdrama steht dann jahrelang auf dem Spielplan, im schlimmsten Fall als Ladenhüter. Staats- und Stadttheater verlassen sich dagegen auf einen Mix aus "gewagten" und populären Inszenierungen. Den Anspruch, immer und zuverlässig "geniale" Deutungen abzuliefern, können halt auch die allerbesten Regisseure nicht einlösen.

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